„Die Leidtragenden sitzen im Süden“

Mikrokredite können helfen, die weltweite Armut zu begrenzen, meint Beatrix Tappeser, hessische Umwelt-Staatssekretärin, die heute die Fair Finance Week in Frankfurt eröffnet

Landbesitzerin dank Mikrokredit: Muliratu Gairba aus Ghana Foto: Jason Florio/Redux/laif

Interview Lukas Dörrie

taz: Frau Tappeser, heute startet die Fair Finance Week mit den 17 Sustainable Development Goals (SDG) als Themenschwerpunkt. Das erste Ziel ist die Beseitigung von Armut bis 2030. Im Moment leben allerdings noch 767 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze.

Beatrix Tappeser: Ich finde, es ist unsere gesellschaftliche Pflicht, daran mitzuwirken, dass Armut und Hunger reduziert werden. Bei der Fair Finance Week geht es nicht um direkte Projektförderung, sondern um die Ausrichtung von Investitionen, dass die Lebensbedingungen der Menschen verbessert werden und nicht die Renditen der Investoren. Geld wäre genug da. Bei der Kreditvergabe oder der Beteiligung an Firmen, die in den Ländern des Südens arbeiten, sollten bei der Entscheidung immer Kriterien angewendet werden, die die Aspekte Erhaltung der natürlichen Umwelt, soziale Stabilität und regionale Wertschöpfung einhalten.

Wo funktioniert das jetzt schon gut?

Es gibt sozial-ökologische Investmentfonds, die sich an den genannten Kriterien orientieren oder auch den Mikrofinanzbereich. Da werden mithilfe von Kleinkrediten Menschen unterstützt, sich eine eigenständige Existenz aufzubauen, wie zum Beispiel die Näherin in Bangladesch, der eine Nähmaschine finanziert wird.

Muss sich eine Bank nicht an kurzfristigem ökonomischem Handeln orientieren, um Profit zu erwirtschaften?

Banken müssen, wie alle anderen Wirtschaftsbetriebe auch, Geld verdienen. Das hat aber mit kurzfristigem Handeln wenig zu tun. Kurzfristige spekulative Geschäfte nutzen wenigen auf Kosten von vielen. Hier ist ein Umdenken und Umsteuern nötig. Das ist ja gerade das Anliegen der Fair Finance Week. Es gibt sehr große Kapitalmengen, und diese sollten möglichst so eingesetzt werden, dass wir den Planeten nicht ausplündern, sondern innerhalb seiner Grenzen arbeiten. Die eigentliche Aufgabe von Banken ist die Dienstleistung für nachhaltiges wirtschaftliches Arbeiten und nicht Geld mit Geld zu verdienen.

Foto: S. Feige

Beatrix TappeserStaatsse­kretärin im Hessischen Ministerium für Umwelt, Aufsichtsrätin der GLS Bank.

Sie sind ja nicht nur Staatssekretärin im Landesumweltministerium, sondern auch Aufsichtsrätin bei der GLS. Wenn ich bei so einer sozial-ökologisch genannten Bank mein Geld anlege, ist die Rendite relativ gering. Oder?

Das ist ein Märchen. Viele nachhaltige Aktienfonds haben gleiche oder sogar bessere Renditen. Unternehmen, die sich in ihren Produkten und Dienstleistungen mit Zukunftsthemen auseinandersetzen, sind meist sehr innovativ – und das zahlt sich auch in der Performance aus.

Die Rolle solcher nachhaltigen Banken ist ja relativ klein. Können sie dennoch zu einer nachhaltigen Veränderung der Wirtschaft beitragen?

Davon bin ich fest überzeugt. Die Bilanzsummen der nachhaltigen Banken sind zwar noch Peanuts im Vergleich zu großen Geldinstitutionen. Aber das Wachstum etwa der GLS Bank zeigt den Erfolg – seit mehr als zehn Jahren wächst die GLS Bank um mehr als 10 Prozent jährlich.

Was kann denn eine Landesregierung zu Fair Finance beitragen?

Die Fair Finance Week findet vom 13. bis 17. 11. in Frankfurt am Main statt. Eine Woche lang werden „praktisch erprobte Lösungen und Überlegungen verschiedener Experten“ vorgestellt und diskutiert. Eingeladen hat das Fair Finance Network Frankfurt. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von in Frankfurt ansässigen nachhaltigen Finanzinstituten. Mitglieder sind die lokalen Filialen der Evangelischen Bank und der GLS Gemeinschaftsbank, außerdem die Triodos Bank und Oikocredit Förderkreis Hessen-Pfalz e. V.

Ein Beispiel, eine Möglichkeit ist: das Kapital, über das die Stiftungen eines Landes verfügen, nachhaltig anzulegen. Da hat sich die Landesregierung bereits aufgemacht. Lange Zeit wurde da nicht hingeschaut. Generell müssen wir uns alle bankkundiger machen. Weil wir natürlich mit dem Geld, das wir investieren, nachhaltige oder eben nicht nachhaltige Entwicklungen weltweit unterstützen.

Jetzt mal ehrlich: Glauben Sie, dass man mit Fair Finance eins der 17 Nachhaltigkeitsziele erreichen kann?

Nur mit Fair Finance geht das. Wir sollten das in alle wirtschaftlichen Handlungen integrieren. Sonst scheitern wir. Der Abstand zwischen Arm und Reich wächst. Und wir als Industrienationen sind Hauptverursacher des Klimawandels. Die Leidtragenden sitzen allerdings im Süden. Die Finanzwirtschaft darf sich nicht mehr ausschließlich an Renditen orientieren, sondern muss Entwicklungen stärken, sodass Menschen sich aus der Armut herausarbeiten können.