Paradise-Papers-Enthüllungen: Die legale Steuerflucht

Journalisten decken auf, wie Firmen und Privatleute weltweit den Fiskus um Einnahmen prellen. Die Politik gibt sich machtlos.

Blick auf eine Bucht mit Booten, Schatten von Palmenblättern sind am Uferrand zu sehen

Paradiesisch: 2012 haben US-Konzerne auf den Bermudas mehr Gewinne gemeldet als in Japan, China, Deutschland und Frankreich zusammen Foto: dpa

BRÜSSEL/BERLIN taz | Paris am Montag: Experten aus aller Herren Länder besprechen, wie einer der häufigsten Steuertricks von weltweit agierenden Konzernen abgestellt werden kann – die Gewinnverlagerung in Länder, die kaum Steuern erheben. Apple baut iPhones in China, verkauft sie in Deutschland und versteuert die Gewinne mit einem Satz von 0,005 Prozent in Irland.

Es ist reiner Zufall, dass die OECD ausgerechnet jetzt daran arbeitet, solche Missstände abzustellen – nur einen Werktag nach den Enthüllungen rund um die Paradise Papers. Das ist der Name, unter dem die 13,4 Millionen Dokumente der Anwaltskanzlei Appleby und der kleineren Treuhandfirma Asiaciti bekannt werden, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt wurden. Die SZ hat sie in Kooperation mit anderen internationalen Medien sowie NDR und WDR ausgewertet.

Sie zeigen, wie Geld international verschoben wird, um es – meist legal – nicht oder kaum versteuern zu müssen. Rund 120 Politiker aus fast 50 Ländern tauchen darin auf, darunter ein Vertrauter des kanadischen Premierministers Justin Trudeau, US-Handelsminister Wilbur Ross, Queen Elizabeth II, U2-Barde Bono, Exbundeskanzler Gerhard Schröder.

Die Summen, die Staaten jährlich entgehen, sind gewaltig. Die NGO Tax Justice Network, die seit 2003 gegen Steuerflucht ankämpft, schätzt den jährlichen weltweiten Steuerverlust durch Gewinnverschiebung multinationaler Konzerne auf über 600 Milliarden Dollar. 21 bis 32 bis Billionen Dollar privaten Vermögens würde laut den Experten in Steuerparadiesen gebunkert, bei einer konservativen Rendite von 3 Prozent entgeht den Staaten so weltweit weitere 189 Milliarden Dollar an Steuern im Jahr. Besonders betroffen sind Entwicklungsländer mit schwachen Steuerverwaltungen.

Die neuen Enthüllungen platzen mitten hinein in eine Reihe internationaler Reformen oder besser gesagt: Reformbemühungen, wie etwa auf der Konferenz der OECD, die noch bis Dienstag in Paris stattfindet. Es geht um eine neue Version eines über 600 Seiten dicken Standards, der zeigt, wie Staaten Konzerne besteuern sollten, die Gewinne über Grenzen verschieben.

Schwachsinnige Sonderregeln

Den Standard allerdings gibt es in anderer Fassung seit 1995 – gebracht hat er wenig. Warum? Zwar gibt es eine Menge effektiver Ideen und Instrumente. Die werden aber auf internationaler Ebene bereits verwässert verabschiedet, und bleiben dann auch noch freiwillig.

Ein Beispiel ist die schwarze Liste der G20-Staaten mit Steueroasen. Darauf stand auf dem letzten G20-Gipfel in Hamburg Trinidad und Tobago. Das war der einzige Staat, der sich bis dato geweigert hatte, an einem internationalen Datenaustausch unter Finanzbehörden teilzunehmen.

Bis September 2018 sollen 204 Staaten und Jurisdiktionen mitmachen – also auch die klassischen Steueroasen, die meist zu Großbritannien gehören, aber aufgrund schwachsinniger Sonderregeln ihre eigenen Steuersätze haben.

Das Problem an dem Datenaustausch: Der deutsche Fiskus kann sich zwar fein säuberlich ausrechnen, wie viel Steuern fehlen, weil Konzerne oder Privatpersonen ihre Gewinne ins Ausland verschieben – aber gegen die niedrigen Steuersätze in anderen Staaten kann er nichts tun. Niedrige Steuersätze sind nicht illegal, Gewinnverschiebung ist es auch nicht.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam listet regelmäßig die wildesten Blüten der Steuervermeidung auf: 2012 haben US-Konzerne auf den Bermudas mehr Gewinne gemeldet als in Japan, China, Deutschland und Frankreich zusammen. Die französische Bank BNP Paribas hat 2015 auf den Kaimaninseln 134 Millionen Euro Gewinn verbucht – ohne Angestellte vor Ort.

Kein öffentlicher Druck

In den in Paris diskutierten Richtlinien ist unter anderem auch vorgesehen, dass Unternehmen künftig ihre Bilanzen nach Staaten getrennt vorlegen müssen. Damit wäre leicht zu sehen, wo sie zwar riesige Gewinne machen, aber kaum Umsätze verbuchen – ein klarer Hinweis auf Steuerflucht. Aber diese Berichte sollen nicht öffentlich sein – womit auch kein öffentlicher Druck auf die Konzerne ausgeübt werden könnte.

Am Beispiel der EU zeigt sich, warum die Regeln nur halbherzig umgesetzt werden: Weil einige der verantwortlichen Politiker selbst Teil des Systems sind. Bei den LuxLeaks, dem Panama-Skandal und nun den Paradise Papers beteuerte die EU-Kommission stets, den Vorwürfen nachgehen und die Lücken schließen zu wollen.

Das war von Anfang an wenig glaubwürdig: Schließlich zielten die Enthüllungen der LuxLeaks schon 2014 auf niemand Geringeren als Jean-Claude Juncker, den Chef der EU-Kommission. Als Luxemburger Regierungschef soll er einst mitgeholfen haben, Unternehmen mit massiven Steuervergünstigungen anzulocken.

Selbst das Europaparlament scheiterte bei seinen Nachforschungen, da sich Juncker und seine Mitstreiter wenig kooperativ zeigten. Bei den Panama Papers hatten die EU-Abgeordneten zwar mehr Glück. Es gelang ihnen sogar, Juncker vor den eigens eingesetzten Untersuchungsausschuss zu zitieren. Die vorläufige Bilanz fällt jedoch vernichtend aus: Einige EU-Staaten hätten durch ihre Blockadehaltung den Steuerbetrug erst ermöglicht, klagten die Abgeordneten Ende Oktober an. Da die 28 EU-Staaten in Steuerfragen einstimmig entscheiden müssen und ein Veto genügt, um alles aufzuhalten, seien wichtige Reformen blockiert worden.

Viele Vorschläge der EU-Kommission wurden im EU-Ministerrat zerrieben. Ein im Januar 2016 vorgelegtes „Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung“ zeigt deshalb bis heute keine durchschlagende Wirkung. Nicht einmal eine verbindliche schwarze Liste der Steuerparadiese hat Brüssel bisher hervorgebracht. Seit Monaten streiten die EU-Staaten über die Frage, was das überhaupt ist – ein Steuerparadies. Selbst ein Steuersatz von null soll nach Ansicht mancher EU-Länder nicht ausreichen, um von einem „Paradies“ zu sprechen. Neben Luxemburg hätten auch Irland und Großbritannien eine Einigung verhindert, berichten EU-Diplomaten.

Klare Ansage der deutschen Regierung nötig

Großbritannien spielt eine besonders unrühmliche Rolle. Schließlich unterliegen einschlägig bekannte Inseln wie Jersey, Guernsey oder die Britischen Jungferninseln der britischen Verwaltung. Negativ fallen auch immer wieder die Niederlande auf. Bei „Panama“ waren sie ebenso dabei wie nun bei den Paradise Papers. So soll der Sportartikelkonzern Nike in den Niederlanden ein System aufgebaut haben, das dem Unternehmen Milliarden Euro an Steuern sparte. Briefkastenfirmen in Amsterdam oder Den Haag machen es möglich.

Am Montag hielten sich die Steuersünder und ihre mutmaßlichen Komplizen bedeckt. Selbst den EU-Politikern hat es die Sprache verschlagen. Der Paradise-Skandal war der EU-Kommission zunächst keinen Kommentar wert. Für die EU- und Euro-Finanzminister, die sich seit Montagnachmittag in Brüssel treffen, war er offiziell kein Thema. Um so wütender reagierten die Europaabgeordneten. „Die Steuer­diplomatie im Rahmen der OECD und der EU ist gescheitert. Es ist Zeit für die Kavallerie“, schimpft Fabio De Masi, bis Oktober Europaabgeordneter der Linken. Jetzt könnten nur noch „saftige Quellen- beziehungsweise Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen“ helfen.

Verärgert zeigt sich auch Markus Ferber von der CSU. Kommission und Mitgliedstaaten müssten endlich anerkennen, dass es auch innerhalb der EU ein Problem mit Steueroasen gebe. „Das reicht vom Vereinigten Königreich und den zugehörigen Überseegebieten über Malta bis hin zu Madeira.“

Ein Schritt wäre dazu natürlich eine klare Ansage der deutschen Jamaika-Regierung, sollte sie kommen. „Wenn wegen der Enthüllungen jetzt der öffentliche Druck steigt, dann gibt uns das Rückenwind auch für die Sondierungen, wo wir uns für echte Transparenz einsetzen, um Licht in die Schattenfinanzzentren zu bringen“, hofft der Grüne Finanzexperte Gerhard Schick. Doch der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, winkt bereits ab: Nach seiner Lesart ist Deutschland bereits Reformmotor. „Jetzt müssen die beschlossenen Maßnahmen auch Zeit bekommen, um wirken zu können“, sagt er.

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