Platten aus der Fischkonservenfabrik

Seit 15 Jahren behauptet sich die Hamburger Indie-Plattenfirma Tapete Records. Eine kleine Labelgeschichte

Sind seit ihrem 2010er-Album „Glücksmaschinen“ bei Tapete: die Düsseldorfer Post-Punks von Fehlfarben Foto: Tapete Records

Von Jan Paersch

Es waren noch ganz andere Zeiten, damals im Jahr 2002: Gerhard Schröder wurde wiedergewählt, Grönemeyer veröffentlichte seinen „Mensch“ und das ganze Land tanzte einen Sommer lang zum „Ketchup Song“ der spanischen Girlgroup Las Ketchup. Musik bezog man vorwiegend auf CD und wer überhaupt online hörte, nutzte Myspace. Die Schließung der Musiktauschbörse Napster im Herbst konnte das Unweigerliche kaum hinauszögern: die große Krise der Musikindustrie.

In dieser Zeit trafen sich vier Hamburger*innen, um all jenen eine Heimat bieten zu können, die talentiert waren und trotzdem keine Plattenfirma finden konnten. Fehlte nur noch ein Name für das von Gabi Dörr, Gunther Buskies, Dirk Darmstaedter und Niels Frevert gegründete Musiklabel. „Jeder sollte seine Vorschläge auf einen Zettel schreiben“, erinnert sich Buskies. „Bei Niels stand nur ‚Tapete‘ auf der Liste.“ Immer schon habe er vorgehabt, seine Firma so zu nennen, wenn er die Chance bekommen würde, eine zu gründen.

Tapete Records also, mit Buskies und Darmstaedter als Geschäftsführer, nahm die noch unbekannten Bands Tele und Erdmöbel unter Vertrag. Darmstaedter und Frevert nutzten das Label, um sich nach der Zeit mit ihren Bands eine Solokarriere aufzubauen. Man zog nach Bahrenfeld, in die Stahltwiete 10, auf den verwinkelten Dachboden einer alten Fischkonservenfabrik. Nach Fisch habe es zum Glück nicht gerochen, sagt Buskies. „Aber als wir einmal umbauten, haben wir hinter Rigipsplatten noch alte Konservendosen-Etiketten entdeckt. Feinster deutscher Kaviar aus Seehasenrogen.“

Heute ist Tapete das größte unabhängige Label Deutschlands, beschäftigt zehn feste Mitarbeiter. Buskies, heute alleiniger Geschäftsführer, zählt die größten Erfolge auf: „Hallo, wer kennt hier eigentlich wen?“ von Anajo, „Xenophobie“ von Fehlfarben oder „Wer bringt mich jetzt zu den Anderen“ von Die Höchste Eisenbahn. Und einige Alben von Lloyd Cole und Robert Forster.

Dass es gelungen ist, einen Briten und einen Australier, die mit ihren Bands Lloyd Cole and The Commotions respektive The Go-Betweens international erfolgreich waren, dauerhaft an ein deutsches Indie-Label zu binden, führt Buskies auf die umfangreichen Netzwerke zurück, die man schnell aufgebaut habe.

Und: „Wir stopfen uns nicht die Taschen auf Kosten der Künstler voll.“ In den ersten Jahren machte Buskies seinen Job als Geschäftsführer noch ohne Bezahlung, mittlerweile sind die ganz mageren Jahre vorbei. Auch weil man den Unwägbarkeiten der Branche mit realistischer Planung begegnet: Buskies erstellt einen Jahresplan mit den Szenarien „Worst Case“, „Realistisch“ und „Alles super“. Nur fünf bis zehn Prozent der Projekte liefen richtig gut, verrät er, „der Rest pendelt zwischen worst und realistisch“.

Zwischen 20 und 35 Platten erscheinen heute pro Jahr, darunter auch der schräge Performance-Trash des Kollektivs HGich.T und Elektronisches auf dem Sub-Label Bureau B, das den Back-Katalog von Krautrock-Größen wie Conrad Schnitzler und Hans-Joachim Roedelius verwaltet.

Trotz des Erfolgsist bis heute hanseatische Bescheidenheit angesagt

Auch mit den weniger risikobehafteten Bereichen Musikverlag und Booking verdient Tapete Geld; die Konzerte jedes Label-Künstlers bucht man im eigenen Haus. „Das war eher aus der Not heraus geboren“, sagt Buskies, der als Keyboarder der Band Die Liga der Gewöhnlichen Gentlemen auch selbst auf der Bühne steht. „Es war nicht leicht, jedes Mal eine Agentur zu finden, wenn wir einen Künstler aufbauen wollten“, sagt er. Aber: „Konzerte sind unabdingbar, denn wenn jemand nicht auftritt, ist auch Schluss mit der Verbreitung der Musik.“

Trotz des Erfolgs ist bis heute hanseatische Bescheidenheit angesagt. Auch zur Feier des 15. Geburtstags wurde keine Großraumhalle angemietet. Im Knust, mit dem Tapete seit Jahren eng verbunden ist, stehen neun Bands auf der Bühne. Dabei sind neben alten Helden wie Fehlfarben auch die zum ersten Mal seit sechs Jahren wiedervereinigten Tele, der Ex-NDW-König Andreas Dorau in Begleitung von Die Liga der Gewöhnlichen Gentlemen, aber auch das jüngste Signing des Labels: die Shoegazer von Jaguwar.

Und die nächsten 15 Jahre? „Ich würde mich freuen, wenn es so weiterginge“, sagt Buskies schlicht. „Und wir eine Band namens ‚Seehasenrogen‘ gründen könnten.“

Jubiläumskonzert am Fr, 10. 11., 19.30 Uhr, Knust

www.tapeterecords.de