berliner szenen
: So ist das, wenn man drei Jobs hat

Ich entscheide, dass ich etwas geleistet habe, für das mir eine Belohnung zusteht, und genehmige mir den neuen „Blade Runner“ in 3-D. Das kostet zwar doppelt so viel wie ein Besuch im normalen Kino, aber, hey – vornehm geht die Welt zugrunde.

Um das Gefühl von Dekadenz noch zu steigern, gehe ich am hellen Mittag ins Kino, zu einer Zeit, zu der die Mitbürger am Schreibtisch oder an der Supermarktkasse sitzen. Wofür ist man denn Bohemien, wenn nicht, um während der Geschäftszeiten den süßen Müßiggang zu pflegen? In der Tat kann man kurz glauben, aus der Welt des Hamsterrads ausgestiegen zu sein, wenn man in einem gigantischen Kino mit einer Handvoll Nerds mit 3-D-Brillen auf der Nase Ryan Gosling dabei zuguckt, wie er Replikanten jagt.

Leider hat die Welt des Hamsterrads ihre eigenen Mittel und Wege, den Kurzurlauber an seine Existenz zu erinnern. Als ich mir einen Kaffee an der Theke im Foyer hole, will ich die Bedienung an meiner gechillten Grundentspannung teilhaben lassen und lobe, dass der Espresso in einer Tasse und nicht im Pappbecher ist. Sie freut sich und sagt: „Tja, wir sind hier eben im …“ Dann Pause, leeres Gesicht, Verwirrung – offensichtlich fällt der jungen Frau der Name ihres Arbeitgebers nicht ein, obwohl er auf die Brusttasche ihrer Uniform gedruckt ist.

„Meinen Sie vielleicht ‚in einem 3-D-Kino‘?“, versuche ich ihr auf die Sprünge zu helfen. „Genau“, sagt sie und nimmt meinen 5-Euro-Schein. „So ist das, wenn man drei verschiedene Jobs hat.“ Ich erfahre, dass sie noch kellnert und Nachhilfe gibt, wenn sie nicht im Kino Popcorn verkauft. „Ach so, und studieren tue ich auch noch“, fügt sie hinzu, während sie mir mein Wechselgeld gibt. „Erklären Sie das mal dem Finanzamt.“ Ich gucke nach einer Spardose fürs Trinkgeld. Aber es gibt keine.

Tilman Baumgärtel