Separatisten steckenin der Zwickmühle

Die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien wollten die Zentralregierung in Madrid in einen langwierigen Konflikt verstricken. Nun brauchen sie eine neue Strategie

Blickfang am Rückspiegel eines Demo-Teilnehmers Foto: Yves Herman/reuters

Aus BarcelonaReiner Wandler

„Unabhängigkeitsbewegung in Trance“, titelte die katalanische Tageszeitung El Periódico auf ihrer Internetseite und traf es damit auf den Punkt. Nach den Feiern am Freitag, als das katalanische Autonomieparlament die Unabhängigkeit Kataloniens verabschiedete, herrscht Ruhe – mit Ausnahme einer Großdemonstration für die Einheit Spaniens am Sonntag in Barcelona. Denn der letzte Zug der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy kam unerwartet und saß.

Er enthob nicht nur mit dem Verfassungsartikel 155 die gesamte katalanische Regierung unter Carles Puigdemont ihres Amtes – das war zu erwarten. Sondern er löste auch das Autonomieparlament auf und setzte für den 21. Dezember Neuwahlen an. Damit ist die Strategie der Unabhängigkeitsbewegung hinfällig. Sie wollte Madrid in einen langanhaltenden Konflikt „Zentralregierung gegen zivilen, katalanischen Ungehorsam“ verstricken.

Nun stellen die Wahlen die Unabhängigkeitsbewegung vor ein grundlegendes Problem. Sie werden von Madrid organisiert. Eine Beteiligung käme der Anerkennung der spanischen Gesetzlichkeit und damit einer Absage an die soeben verkündete unabhängige Katalanische Republik gleich. Aber ein Wahlboykott birgt die Gefahr, zur völligen Belanglosigkeit zu verkommen.

Das stürzt die Parteien in die Krise. Die Entscheidung, ob und mit wem sie bei der Wahl antreten, muss bald fallen. Listen müssen bis spätestens am 6. November eingeschrieben werden.

Katalanische Medien berichten von der Suche nach „einfallsreichen Lösungen“: Eine „Bürgerliste gegen den Artikel 155“ mit bekannten Persönlichkeiten sei im Gespräch. Doch eine Mehrheit ist nur möglich, wenn die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) mitmacht. Aber die neigt zum Boykott.

Eine solche Bürgerliste würde auch zur Ansprache Puigdemonts vom Samstag passen. Der abgesetzte Regierungschef reiste nach der Unabhängigkeitserklärung nach Girona, wo er einst Bürgermeister war. Mit ihm reiste das offizielle Rednerpult. Mit einer katalanischen und einer europäischen Fahne an der Seite rief Puigdemont im Fernsehen nicht etwa zum „Ungehorsam“ auf, sondern zur „demokratischen Opposition“. Alles, was Madrid auf der Grundlage des Artikels 155 tue, „seien Entscheidungen, die dem Willen, den die Bürger unseres Landes an den Urnen zum Ausdruck gebracht haben, widersprechen“, erklärte Puigdemont, der sich weiter als Regierungschef sieht.

Alles, was Puigdemont fortan mache, sei nur noch gerichtlich verwertbar, lautete die Antwort aus Madrid. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft wird am Montag Klage wegen „Rebellion“ gegen Puigdemont und seine Regierung einreichen. Darauf stehen bis zu 30 Jahre Haft.

Ein Wahlboykott birgt die Gefahr,zur völligen Belanglosigkeitzu verkommen

Der Sprecher der spanischen Zentralregierung, Inigo Mendez de Vigo, wiederum schlug in einem Interview am Samstag gemäßigtere Töne an: Er sei „ziemlich sicher, dass Puigdemont, sollte er an diesen Wahlen teilnehmen, seine demokratische Opposition“ ausüben könne.

Während die Unabhängigkeitsbewegung noch über die Wahlbeteiligung berät, riefen am Sonntag Hunderttausende in der Innenstadt von Barcelona schon „Wir werden wählen“ und „Puigdemont ins Gefängnis“. Sie schwenkten spanische, katalanische und europäische Fahnen und demonstrierten für die Einheit Spaniens. Laut Stadtpolizei folgten 300.000 Menschen dem Aufruf der Organisation mit dem Namen „Katalanische Zivilgesellschaft“ (SCC). Die Regierung in Madrid zählte 1,3 Millionen.

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