„Ich war ziemlich traurig“

Gisbert zu Knyphausen hat sich „vor der Musik verkrochen“, nachdem sein Freund und Bandkollege Nils Koppruch überraschend starb. Jetzt ist ein neues Album erschienen und Knyphausen wieder auf Tour

„Ich musste erst eine neue Liebe dazu finden, wieder Gisbert zu Knyphausen sein zu wollen in der Öffentlichkeit“, sagt Gisbert zu Knyphausen Foto: Ksenia Les

Interview Thomas Winkler

taz: Herr zu Knyphausen, ist Musik doch nicht scheiße?

Gisbert zu Knyphausen: Nein, Musik war eigentlich nie scheiße. Ich fand den Aufkleber halt lustig. Das war vielleicht eine etwas schräge Art von Humor.

Sie hatten den Sticker „Musik ist scheiße“ lange auf Ihrer Gitarre kleben. Jetzt nicht mehr.

Im Zuge meines Neuanfangs habe ich vor zwei, drei Jahren nicht nur diesen, sondern alle Aufkleber von der Gitarre gerissen.

Die Gitarre hat den Neuanfang aber überlebt?

Ja, die benutze ich weiter. Die hat für gezupfte Sachen nach wie vor einen wunderbaren Klang. Ich muss sie nur noch mal überholen lassen vor der nächsten Tour.

Warum war dieser Neuanfang nötig?

Um es mal platt zu sagen: Ich war ziemlich traurig nach dem Tod von Nils.

Der Hamburger Songwriter Nils Koppruch, der Ihr Partner war bei der Band Kid Kopphausen, starb überraschend im Oktober 2012.

Nils’ Tod hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich bin jemand, der eh leicht aus der Bahn zu werfen ist. Aber es war auch das erste Mal, dass in meinem Umfeld jemand starb, der ungefähr so alt war wie ich. Man wird zurückgeworfen auf sich selbst. Man denkt über die Endlichkeit des Lebens nach. Ich hatte schon immer eine depressive Seite – und Nils’ Tod war wie ein Katalysator. Das war eine scheiß Zeit, aus der musste ich mich erst rauswurschteln. Ich hab mich verkrochen vor der Öffentlichkeit und vor der Musik. Dann habe ich in meinem Privatleben aufgeräumt, um festeren Boden unter die Füße zu kriegen, als ich das in den Jahren zuvor hatte.

Was heißt das, Sie haben sich verkrochen vor der Musik?

Ich habe ein Jahr lang fast keine Musik gemacht, auch für mich allein nicht. Es hat mich schon traurig gemacht, wenn ich die Gitarre nur in die Hand genommen habe. Dieser tragische Tod und dass diese Band, die mir so viel Spaß gemacht hatte, so plötzlich zu Ende ging, das war schwer auszuhalten. Ich hab dann wieder Musik gemacht, bin als Bassist in der Band von Olli Schulz eingestiegen, aber hab halt lange keine eigenen Songs schreiben können. Ich habe eine ganze Zeit gebraucht, ein Bedürfnis zu entwickeln, wieder als Gisbert zu Knyphausen auf die Bühne zu gehen. Das hatte sich zuvor manchmal nur noch wie eine hohle Geste angefühlt. Ich musste erst eine neue Liebe dazu finden, wieder Gisbert zu Knyphausen sein zu wollen in der Öffentlichkeit.

Hatten Sie sich von Ihrer eigenen Kunstfigur entfremdet?

Irgendwie schon. Man wird zu der Person, die aus den Liedern spricht. Aber das ist – wie bei anderen Musikern auch – eben nur ein Teil meiner Persönlichkeit. Man sollte meinen, dass man sich mit den Jahren daran gewöhnt. Aber ich brauchte erst einmal den Abstand zu meiner eigenen Bühnenpersona. Und ich musste lernen, damit umzugehen, dass man ständig mit einem Bild seiner selbst konfrontiert wird, das man für unvollständig hält. Ich finde es zwar immer noch seltsam, dass man so gnadenlos reduziert wird, aber ich kann mittlerweile besser damit leben.

Sven Regener hat einmal gesagt, Element-of-Crime-Fans, die ihn kennenlernen, seien oft schockiert, was für ein Bauer er sei.

Ja, den Effekt kenne ich. Viele denken, ich sei 24 Stunden am Tag ein poetisches Sensibelchen.

Der Tod von Nils Koppruch scheint wie ein Schatten über dem neuen Album zu hängen, Sterben und Älterwerden sind wiederkehrende Motive.

Ja, klar, der Tod hängt über diesem Album. Sterben, Älterwerden, die Suche nach dem Sinn des Lebens, diese Themen haben mich eine ganze Zeit lang beschäftigt.

Hat die Musik Ihnen geholfen, über den Tod von Nils und ihre Depressionen hinwegzukommen?

Nein, da hat mir die Musik nicht geholfen. Das Album ist eher eine nachträgliche Reflexion über die Zeit, keine Therapie.

Sie haben Musiktherapie studiert.

Ja, aber ich wusste schon damals, als ich studiert habe, dass ich lieber Musiker werde und nie in diesem Beruf arbeiten werde.

Ist man als Musiker, gerade als Liedermacher, nicht immer Therapeut seiner Zuhörer?

Das werde ich oft gefragt. Ich glaube: Ja, das ist so, aber kein bewusster Ansatz. Manchmal denke ich zwar: Vielleicht hilft das ja auch dem einen oder anderen, der in einer ähnlichen Situation ist oder war. Aber das darf nie zur Maxime des Schreibens werden.

Sie haben aber sicher auch schon Briefe oder E-Mails bekommen, in denen Fans ihr Herz ausschütten.

1979 als Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen in Wiesbaden geboren. Er wächst auf dem Weingut seiner Familie im Rheingau auf. Sein Debütalbum „Gisbert zu Knyp­hausen“ kommt 2008 heraus, mit dem zwei Jahre später erscheinenden „Hurrah! Hurrah! So nicht“ gelingt ihm der Durchbruch.

Mit Nils Koppruch von der Hamburger Band Fink gründet er die Band Kid Kopphausen, die ihr Ende findet mit dem Tod von Koppruch im Oktober 2012. Knyphausen beginnt zu reisen. Mit Hilfe des Goethe-Instituts fährt er in den Iran. Es entstehen Stücke mit der Teheraner Band Pallet, der Startschuss für sein drittes Solo-Album „Das Licht dieser Welt“.

Gisbert zu Knyphausen: „Das Licht dieser Welt“ (PIAS Germany/Rough Trade) Live: 27. + 28.10., 20 Uhr, Lido, Kreuzberg

Das ist ein schwieriges Thema. Natürlich freut es mich, wenn mir Menschen mitteilen, dass meine Musik ihnen über schlechte Zeiten hinweggeholfen hat. Aber ich möchte es auch nicht allzu detailliert wissen. Manche sind hemmungslos und rollen die ganze Lebensgeschichte vor einem aus. Denen fehlt da die Distanz. Aber man muss das verstehen: Die schütten mir ihr Herz aus, weil ich ja in meinen Liedern ihnen mein Herz ausgeschüttet habe. Aber damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich hatte noch nie wirklich negative Erfahrungen mit Fans.

Auf dem neuen Album spielen und singen Sie „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“. Das ist ein bislang unveröffentlichter Song von Nils Koppruch. Wusste er, dass er sterben würde, als er ihn geschrieben hat?

Nein, der Song ist bereits während der Arbeit zum dritten Kid-Kopphausen-Album entstanden, aber Nils hatte ihn dann für das Album verworfen. Ich hab den Song wieder ausgegraben, weil ich ihn damals schon so mochte.

Obwohl Sie ihn singen, sticht der Song heraus auf dem Album. Ist Nils Koppruchs Songwriting-Handschrift unverwechselbar?

Ja, der Song hebt sich ab. Ich musste den musikalisch auch ändern, um den überhaupt selbst singen zu können. Nils’ Art, etwas zu singen, ist gar nicht so leicht nachzumachen. Textlich ist der Song nur eine simple Aufzählung, das war typisch für Nils, er hat die Sachen gern einfach gehalten. Er erzählte nie direkt aus seinem Leben, hat immer den Umweg über Bilder und Figuren gesucht, um über sich selbst zu schreiben. Das habe ich mir mittlerweile abgeguckt für den einen oder anderen Song: dass man Geschichten nicht immer aus der Ich-Perspektive schrei­ben muss.

So ist dann wohl ein Song entstanden wie „Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand“, der von einem alten Mann erzählt, der vereinsamt.

Ja – ist eine sehr private, persönliche Geschichte, die aber allgemeine Fragen stellt und eine gesellschaftliche Aussage trifft: Wie gehen wir mit unseren alten Menschen um?

Was wäre der nächste Schritt nach diesem Perspektivenwechsel? Politische Songs?

Ich wünsche mir das zwar manchmal, aber ich habe es noch nicht geschafft, den richtigen Ansatz zu finden. Ich neige dazu, bei gesellschaftlichen Themen so viele Seiten mit zu bedenken, dass es mir schwer fällt, die alle in einen kurzen Song zu packen. Aber dafür gibt es doch eine Band wie Kettcar. Deren Songs, die sich auf euphorisch-kritische Art mit politischen Themen auseinandersetzen, finde ich echt gut.