Theoretikerinim Bau-Diskurs

1967 wurde die Zeitschrift für Architekturund Städtebau, „arch+“, gegründet. Ergo feiertsie ihr 50. Jubiläum, so ideenreich wie eh und je

Von Brigitte Werneburg

Der Theoretiker, so ist in der neu erschienenen „Architekturtheorie“ von Dietrich Erben zu erfahren, war in der Antike ein Berichterstatter, von der Polis entsandt, um über ferne Feierlichkeiten zu erzählen. Er war also kein unmittelbarer Teilnehmer am Geschehen, aber doch ein direkter Beobachter der Ereignisse. Damit dürfte ziemlich genau beschreiben sein, welcher Rolle die Zeitschrift arch+ im Architekturdiskurs einnimmt. Sie ist eben die Theoretikerin im Architekturdiskurs und nicht die Dienstleisterin der Architektengemeinde und des entsprechenden Baugeschehens.

Dagegen steht schon ihre Herkunft: 1967 an der Universität Stuttgart gegründet, war sie zunächst akademisches Revoluzzerblatt mit einer antiautoritären Redaktionsgruppe in Aachen und einer marxistischen in Westberlin. Erstere sympathisierte mit Systemtheorie und druckte 1971 eine Diplomarbeit, die Habermas folgend eine kommunikative Theorie des Planens und Bauens entwarf. Letztere trennte sich 1977 von der Zeitschrift mit dem Vorwurf, die Aachener hätten arch+ zu einer bürgerlichen Zeitschrift gemacht.

Das war sie, im akademischen Milieu geboren, natürlich von Anfang an. Und als Theoretikerin beschäftigte sie dann der Strukturalismus, später dessen Gegenströmung Postmoderne und Dekonstruktivismus. Daneben setzte sich das Redaktionsteam um Mitherausgeber Niklaus Kuhnert, der 1972 zu arch+stieß, schon früh mit Fragen von Ökologie und Nachhaltigkeit, also zeitaktuellen gesellschaftlichen Fragen, auseinander. Zuletzt beobachtete sie etwa die Erscheinung einer logistischen Landschaft in der Provinz, mit den riesigen Lagerhallen oder Serverfarmen, der entsprechenden Verkehrsinfrastruktur bzw. Sicherheitsanlagen.

Immer war arch+nicht nur großartige Beobachterin und Berichterstatterin, sondern auch Ideengeber und Provokateur. Auch jenseits der Architektur denkt man an Bazon Brock, der in der Ausgabe Nr. 71 im Oktober 1983 die nie nachgewiesene Behauptung aufstellte, 1944 habe die Abi­turfrage im Fach Deutsch in Schleswig-Holstein gelautet: „Hätte H. v. Kleist auch Selbstmord begangen, wenn er SS-Offizier gewesen wäre?“ Ihre schöne, wilde Form der Bild-Text-Collage ist unter der Art Direction von Mike Meiré sehr viel gesitteter und lesbarer geworden, wobei die illustrative, erhellende Verschränkung von Bild und Text von beispielhaft medialer Gestaltungskunst ist.

Deutlich ein Bekenntnis zum Print, in Zeiten einer durch die Digitalisierung stark verunsicherten Medienlandschaft. Zeitschriften haben das Monopol als Informationsquelle verloren, weiß Mitherausgeber Anh-Linh Ngo. Ihre Funktion verändert sich, arch+ sieht sich daher heute wieder als die aktivistische Plattform, die sie teilweise in ihren Anfängen war. Und so entwickelt die drei- bis fünfmal pro Jahr erscheinende Zeitschrift Ausstellungen, Publikationen, Diskussionsveranstaltungen und Wettbewerbe, immer in direkter Anbindung an das jeweilige Heft, das dann Katalog, Konferenzband oder Monografie ist, wie im Fall des Julius Posener gewidmeten Hefts Nr. 210, 2013. Dass arch+ Vorlesungen des Zeitgenossen der Zwischenkriegsmoderne schon 1980 zum Thema machte, brachte ihr damals den Durchbruch. Darf sich neben der neuen Aktivistin weiterhin die damals gereifte Theoretikerin zu Wort melden, wie Beiträge von Marco de Michelis, Dietmar Steiner oder Jean-Louis Cohen im aktuellen Heft 229 vermuten lassen, muss man sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen.

arch+, Nr. 229, arch+ Verlag Aachen 2017, 22 Euro; Dietrich Erben: „Architekturtheorie. Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart“. C. H. Beck, München 2017, 128 S., 9,95 Euro