Mehr Husum als Storm

Journalist Tilman Spreckelsen macht Theodor Storm zum Ermittler. Mittlerweile sind drei Bände der Krimireihe erschienen. Für den ersten gab es einen Preis

Von Daniel Trommer

Der größte norddeutsche Dichter ermittelt wegen einer falschen, in Tierblut getränkten Leiche. Das ist die Versuchsanordnung von Tilman Spreckelsen in seinem Buch „Das Nordseegrab – ein Theodor-Storm-Krimi“ – dem ersten der mittlerweile drei Bände.

Storm, der dieses Jahr 200 geworden wäre, als unfreiwilligen Kommissar in seiner Heimat Husum, der geliebten „grauen Stadt am Meer“ – kann das gut gehen? Wer feine, dem Dichter nachempfundene Sprache erwartet, wird enttäuscht. Wer Verbindungen zwischen seinen Gedichten und Novellen und dem Kriminalfall möchte, wird nicht fündig.

Der große Name mag Erwartungen wecken, doch stattdessen wacht der Leser in einem gewöhnlichen Krimi auf. Mühsam schleppt er sich durch die erste Hälfte des Buchs: Viele Orte, Namen und Dörfer werden eingeführt, wichtige Kaufleute Husums werden bedroht. Schließlich gibt es einen ersten echten Toten und darum herumgebaut ist ein mysteriöser Schiffsuntergang. Dessen Zusammenhang mit dem Rest der Geschichte darf der Leser erst am Ende erfahren– so will es die konventionelle Krimi-Dramaturgie.

Fahrt nimmt die Geschichte erst bei einer unglaubwürdigen, geradezu einfältigen Wendung auf: Anwalt Storm will in ein versiegeltes Lagerhaus einbrechen. Das traut er seinem Schreiber Söt, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, und sich selbst nicht zu. Also tut er das Naheliegendste: Er schmuggelt einen Mandanten, der sich aufs Einbrechen versteht, aus dem Gefängnis, in dem dieser gerade sitzt. Klar, der Gefangene, nur mit Storm und Söt unterwegs, wird auf keinen Fall fliehen, sondern sich brav in das dunkle Verließ zurückstecken lassen. Der Einbruch klappt, die dabei gewonnenen Erkenntnisse bringen die Ermittlungen voran und – Überraschung – der Einbrecher-Gefangenen-Mandant flieht. Hat man diesen Brandbeschleuniger verdaut und das Buch anschließend noch nicht zur Seite gelegt, wird es im weiteren Verlauf der Geschichte sogar noch so spannend, wie es sich für einen Krimi gehört.

Insgesamt aber vertut Spreckelsen das Potenzial der Geschichte: Durch Söts Augen wird die Distanz zu Storm zu groß. In den entscheidenden Situationen ist man bei dem Erzähler Söt und selbst in den Momenten, als dieser in Lebensgefahr steckt, bleibt die Intensität der Gefühle und Beschreibungen seltsam blass. Beinahe beiläufig übersteht er die schlimmsten Situationen und der Leser bleibt ungerührt zurück. Außerdem bleibt die Verbindung zum Werk Storms dünn, obwohl der Krimi-Storm im Buch traditionelle Sagen und Erzählungen für das tatsächlich mit den Mommsen-Brüdern veröffentlichte „Liederbuch dreier Freunde“ sammelt.

Und obwohl Spreckelsen im Nachwort verrät, dass er sich bei Beschreibungen Husums sowie zweier Szenen von Storms Originaltexten hat inspirieren lassen, bringt er wenig davon rüber. Der Krimi-Storm wirkt wie ein gewöhnlicher, etwas verpeilter, junger Anwalt, der noch vor der Karriere als Schriftsteller steht.

Die Stars des Buches sind, der Titel lässt es erahnen, die Nordsee mit seinen Möwen, den Kaufleuten, den Schiffen sowie die detaillierten Recherchen Spreckelsens, der für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt.

Dabei wirkt es oft so, als stehe eine Szene nur im Buch, damit der Autor stolz seine Rechercheergebnisse präsentieren kann. Welche Regeln das Kartenspiel „L’Hombre“ hat und wie genau man einen sogenannten „Möwenschiss“ trinkt, sind da noch die positiven Ausnahmen. Die Unterzeile „Ein Husum-Krimi“ wäre daher passender gewesen.

Der Theodor-Storm-Preis, den Spreckelsen für das Manuskript erhielt, wird darum wohl zu Recht nur alle vier Jahre vergeben. Ein Storm-Fan sollte darum lieber direkt, wenn vielleicht auch zum zehnten Mal, zum „Schimmelreiter“ greifen, anstatt von der zähen Husum-Geschichte enttäuscht zu werden.