1. Gehört der Kommunismus auf den MülIhaufen der Geschichte – oder ist noch etwas recycelbar?
2. Welche Revolution wird die nächste sein?

„Die nächsten Revolutionen müssen gleichzeitig sozial, feministisch, ökologisch und antirassistisch sein“

Emily Laquer

Straßen­handel ist offiziell verboten Foto: Daniel Biskup/www.salzundsilber.de

Foto: dpa

1. Die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in der alle alles besitzen – den gesellschaftlichen Reichtum, die gleichen politischen Rechte und Freiheiten –, das ist Kommunismus. Dieser Hunger ist viel älter als das „Kommunistische Manifest“ oder die Oktoberrevolution, er existiert, seit es Armut und Reichtum gibt, Herrscher und Beherrschte. Er hat die autoritären Irrwege des Stalinismus überdauert und er wird Menschen immer wieder antreiben, bis er gestillt ist.

2. Ich kann die nächsten Revolutionen nicht prophezeien, aber ich bin überzeugt, dass sie gleichzeitig sozial, feministisch, ökologisch und antirassistisch sein müssen. Sie müssen das Nationale überwinden, grenzenlos demokratisch sein, aber auch grenzenlos entschlossen, die neue Welt gegen alle Widerstände zu schaffen. Die globalen Funken unserer revolutionären Ungeduld sind schon jetzt in den multiplen Aufständen unserer Zeit sichtbar: vom Tahrir-Platz zum Gezipark, in Katalonien, in der US-Anti-Trump-Bewegung, über die Berge Rojavas bis zu den G20-Protesten auf den Straßen Hamburgs.

Emily Laquer ist politische Aktivistin bei der Interventionistischen Linken

Foto: ap

1. Das Problem ist ja, dass, wenn wir heute das Wort „Kommunismus“ benutzen, eigentlich an den späten Lenin und an Stalin denken: an Industrialisierung, Kollektivierung, universalistisch überhöhten Nationalismus, sozialistischen Realismus. Das ist spießbürgerlicher Quatsch und Teil der Verfallsgeschichte der Idee. Inspirierend und recycelbar ist jedoch die heute fast vergessene Frühphase des Kommunismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Identitätspolitik und das grundsätzliche Nein zum Kapitalismus, also Haupt- und Nebenwidersprüche zusammenkamen: Wer weiß heute noch, dass Bebel nicht nur für die Arbeiterklasse, sondern auch für die Entkriminalisierung der Homosexualität eintrat? Hier müssen wir wieder ansetzen.

2. Was wir brauchen, ist eine Revolution der Institutionen. Der globalisierte Kapitalismus muss auf globaler Ebene eingehegt werden, wir brauchen demokratische Weltinstitutionen: ein Weltparlament, einen Weltwirtschaftsgerichtshof, ein Weltbürgerrecht. Die europäische Grenzpolitik beispielsweise ist aus globaler Perspektive nicht nur dysfunktional, sie ist illegal. Denn wenn Gleichheit und Gerechtigkeit nicht für alle gilt, dann gilt sie für niemanden. Diesen Zustand müssen wir überwinden.

Milo Rau ist Schweizer Regisseur und Theaterautor. Vom 3. bis zum 5. November läuft in der Berliner Schaubühne sein Stück „General Assembly“

Foto: dpa

1. Der real existierende Sowjetkommunismus ist ohne jeden Zweifel auf ganzer Linie gescheitert. Hinter der ursprünglichen Idee des Kommunismus steckte jedoch der Versuch, die Ungerechtigkeiten der Indus­trialisierung zu beseitigen. Und auch wenn die Ausprägungen heute andere sein mögen, gibt es ähnlich elende Verhältnisse in vielen Teilen der Welt auch jetzt noch. Die Grundidee, dieser Ungerechtigkeit etwas entgegenzusetzen und zu bekämpfen, ist jedenfalls nichts für den Müllhaufen.

2. Die nächste Revolution ist die digitale Revolution. Wir erleben, dass sich in Deutschland eine Art digitales Prekariat heranbildet – Menschen arbeiten im Zuge der Digitalisierung vielleicht nicht unter lebensbedrohlichen Bedingungen, aber zumindest unter existenzbedrohenden. Es wird Zeit, dass auch die Arbeiterinnen und Arbeiter des Digitalen aufstehen und für ihre Rechte kämpfen. Das wäre eine digitale Revolution von unten.

Johanna Uekermann ist Vorsitzende der Jusos

Foto: dpa

1. Der imaginäre Ort eins „Kehrrichthaufens der Geschichte“, auf den Trotzki im Herbst 1917 die nichtbolschewistischen Linken werfen wollte, ist eine autoritäre Fantasie. Die unerhörte Idee aus dem „Kommunistischen Manifest“ von 1848, dass der Kapitalismus durch eine „Assoziation“ ersetzt gehört, in der „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, steht Entsorgungsgedanken jeder Art entgegen. Der zitierte emanzipatorische Gedanke des „Kommunistischen Manifests“ hingegen braucht kein Recycling. Er ist zeitlos aktuell, gerade weil er im real existierenden Kapitalismus genauso wenig vorkommt wie im nicht mehr existierenden Realsozialismus.

2. Wenn es einen Bereich gibt, in dem in vergangenen Jahrzehnten im positiven Sinne kulturelle-revolutionäre Umwälzungen bewirkt wurden, dann sind es die Geschlechterverhältnisse. Die Sehnsüchte vieler Menschen und das Unterdrückungsverhältnis Patriarchat stehen miteinander im Konflikt. Dies erklärt auch die Heftigkeit, mit der heute Feminismus und Frauenrechte von rechts angegriffen werden. Bei diesen aggressive Roll-back-Bemühungen handelt es sich schlichtweg um den Versuch einer kulturellen Konterrevolution.

Katja Kipping ist Vorsitzende der Linkspartei

Foto: Uwe Dettmar

1. Die einen sagen ja, die andern nein. Diese Vielfalt der Meinungen recycelt Fragen, Antworten und überhaupt alles, was man so denken und reden kann, dermaßen oft und gern, dass es wahrscheinlich schon überhaupt keinen Müllhaufen der Geschichte mehr gibt. Wir leben im unvergänglichen Dauer-Recycle-Müll, ist das nicht schön?

2. Bestimmt was Kulturelles. Wahrscheinlich passiert es im Radio, im Kino oder in „Texte zur Kunst“ und ist schon deshalb sehr wichtig.

Dietmar Dath ist Autor, Journalist und Übersetzer

Foto: Rosa-Luxemburg-Stiftung

1. „Kommunismus“ mag sich für viele Menschen heute wie ein irrelevanter Begriff anhören. Aber mehr als jedes andere Wort in unserem politischen Vokabular ist der Kommunismus die radikale Negation des herrschenden Regimes, welches Ausbeutung und Ungleichheit zelebriert. Die Kommunismen, die im Schwarzen Loch von 1989–1991 verschwunden sind, beinhalten die heroische Wiederherstellung von Gemeinschaften ohne Eigentum, kommunale indigene Gesellschaften, Realsozialismus mit seinen Errungenschaften und Verbrechen. Sie beinhalten die lange Geschichte antifaschistischen Widerstands, egalitären Mystizismus, die dialektische Abschaffung des Kapitalismus durch seine inneren Dynamik und die unerforschten, unausbeutbaren Reserven des Widerstands, die sich der Kapitalismus nicht aneignen kann. Und sie beinhalten ebenso die bereits heute präsente humane Solidarität und Kameradschaft, die Menschen überall teilen, und den politischen Vorschlag der Emotion namens „Liebe“.

2. Die Vernichtung der Revolution als menschliches Ziel war das vorherrschende politische Projekt des vergangenen halben Jahrhunderts. Es wird eine Revolution geben, sogar eine Reihe von ihnen, das ist offensichtlich. Die Frage ist: Wie sollen wir uns organisieren, damit wir die Errungenschaften dieser Revolutionen verteidigen können, sobald sie ausbrechen?

Joshua Simon, Direktor des MoBY (Museum of Bat Yam, Israel) und Kurator der Ausstellung „The Kids want Communism“, derzeit im Bethanien, Berlin