Der Horrorals Freakshow

Der kürzlich verstorbene Regisseur Tobe Hooper experimentierte mit einer Ästhetik des Künstlichen. Der Filmrauschpalast widmet ihm einen Filmabend

Auch „Eaten Alive“ (1977) basiert im Grunde auf dem bewährten „Hänsel und Gretel“-Narrativ Foto: Promo

Von Thomas Groh

Wer Ende August die Nachrufe auf Tobe Hooper las, hätte leicht auf die Idee kommen können, dass der US-Horrorregisseur nur einen einzigen Film gedreht hat: Das „Texas Chain Saw Massacre“, ein wie zuvor Hitchcocks „Psycho“ auf dem realen Fall des Serienmörders Ed Gein basierender, nicht nur wegen seines drastischen Titels stilbildender Sla­sherfilm. Mit dem Kettensägen-Schurken Leatherface schenkte er dem Genre eine bis heute wirkmächtige Ikone – so kommt jetzt gerade ein neuer Film in die US-Kinos, der die Vorgeschichte dieser Figur erzählt.

Dass Hooper noch weitere Filme gedreht hat, davon kann man sich nun in einer drei Filme umfassenden Hommage überzeugen, die die Reihe „Bahnhofs­kino“ im Filmrauschpalast Moabit zu Ehren des Verstorbenen ins Programm geholt hat. Das „Texas Chain Saw Massacre“ darf dabei natürlich nicht fehlen – ohne Mühe zu scheuen, hat man sogar aus den USA eine 35-mm-Kopie des in Deutschland lange Zeit verbotenen Klassikers besorgt. Dass Hoopers bekanntester Film in seiner grenzdokumentarischen Rohheit und manischen Zugespitztheit die beiden im weiteren gezeigten Filme „Eaten Alive“ (1977) und „The Funhouse“ (1981) überstrahlt, lässt sich dabei zwar schwer leugnen. Interessant sind beide dennoch.

Sie lassen sich nämlich als Variationen des „Texas Chain Saw Massacre“ begreifen, basieren doch alle drei Filme im Grunde auf dem bewährten „Hänsel und Gretel“-Narrativ: Eine Gruppe Leute gerät an ein entlegenes, rätselhaftes Haus, dessen sonderbare Bewohner sich bald als Gefahr für Leib und Leben entpuppen. Die Kettensäge weicht in „Eaten Alive“ indessen einer Sense, die hier der Redneck Judd schwingt. Im Tümpel neben seiner irgendwo im Nirgendwo gelegenen, zur Gastherberge deklarierten Hütte hält er sich obendrein einen riesigen Killer-Alligator mit gesegnetem Appetit.

„Eaten Alive“ lief seinerzeit als „Blutrausch“ in den deutschen Kinos, was insofern passt, da das Bild über weite Strecken tatsächlich ins knallige Knallrot der Straßenbeleuchtung getaucht ist. Der Film entspricht in etwa den Vorstellungen, die man vom „Texas Chain Saw Massacre“ aufgrund des Titels haben könnte: Viehische Gewalt, rustikale Wucht und hinterwäldlerische Verkommenheit bestimmen das Geschehen – was jedoch merkwürdig ausgebremst wird durch die sonderbare Puppenhaushaftigkeit, die den Film kennzeichnet. Anders als das „Texas Chain Saw Massacre“, das unter haarsträubenden Bedingungen on location gedreht wurde (online nachzulesen in einer fantastischen Reportage bei „Texas Monthly“) und ästhetisch eher New Hollywood nahesteht, ist „Eaten Alive“ von radikal-künstlicher Studiokulissenhaftigkeit. Selbst der sumpfige Killer-Alligator ist eher Budenzauber aus der Geisterbahn als reale Bedrohung.

Experimentierte Hooper hier bewusst mit einer Ästhetik des Künstlichen? Zu dem Eindruck kann man jedenfalls gelangen, wenn man im Kontext noch „The Funhouse“ sieht, im Filmrauschpalast ebenfalls in 35 mm gezeigt. Hier verschlägt es junge Leute auf eine Kirmes, wo sie auf die wenig gute Idee kommen, sich nachts in der Geisterbahn einzusperren. Deren Betreiber und dessen Assistent entpuppen sich bald als zwielichtige Gestalten – eins kommt zum anderen und die Hatz beginnt.

„The Funhouse“ spielt über weite Strecken komplett in besagter Geisterbahn, wodurch sich das Geschehen auf reizvolle Weise von der Alltagsrealität entkoppelt – mehr noch als in „Eaten Alive“. Zugleich ist er Hoopers reflexivster Film: Sichtlich experimentierfreudig hantiert er mit den Insignien und Ikonen des Genres – angefangen von der ersten Sequenz des Films, die eine gelungene Doppelparodie von Hitchcocks „Psycho“ und John Carpenters „Halloween“ darstellt, arbeitet sich Hooper vom modernen Horrorfilm über den klassischen Gruselfilm der Universal-Studios zurück bis an die Ursprünge des Horrorgenres in der morbiden Sensationsästhetik der Jahrmärkte und Freakshows.

Gemein ist allen drei Filmen ein an Paranoia grenzendes Unbehagen gegenüber Hinterwäldlertum und provinzieller Stiernackigkeit – gegenüber jenen gärenden Kräften also, die in den geopolitischen Hotspots in den letzten Jahren für Trouble gesorgt haben. Hoopers Bahnhofskino erweist sich als ungebrochen aktuell.

Bahnhofskino – Tobe Hooper: Filmrauschpalast, Lehrter Str. 35, 13. 10., 22 Uhr, 6 €