Großes Marionettentheater

Weil Kroatien vor dem letzten Spiel heute in der Ukraine die WM-Teilnahme zu verpassen droht, bricht das Chaos aus. Die Hoffnung ruht auf einem neuen Coach mit mäßigem Ruf

Augen zu und durch: Luka Modric beim Abgang nach dem 1:1 gegen Finnland Foto: reuters

Von Tobias Schächter

Miroslav Blazevic, den alle „Ciro“ nennen, braucht keine Rücksichten mehr zu nehmen, er ist 82 Jahre alt und eine Trainerlegende. Man könnte auch sagen: Er hat Narrenfreiheit. Mit Blazevic als Trainer feierte die kroatische Fußball-Nationalmannschaft ihren größten Erfolg, den dritten Platz bei der WM 1998. Aus dem Schatten dieser erfolgreichen Spielergeneration um Davor Suker, dem heutigen Präsidenten des kroatischen Fußballverbandes, zu treten will der aktuellen Na­tio­nalmannschaft um den Weltstar Luka Modric von Real Madrid partout nicht gelingen. Nach dem lahmen 1:1 der „Vatreni“, der Feurigen, am Freitagabend in Rijeka gegen Finnland steht sogar die Qualifikation für die WM in Russland in Frage.

Mit nur vier Punkten aus den letzten vier Spielen verspielten die Kroaten die Tabellenführung. Gewinnt der neue Führende Island (19 Zähler) heute gegen den bislang sieglosen Außenseiter Kosovo, reisen die Nordeuropäer direkt und erstmals zur WM. Und verlieren die Kroaten zeitgleich in der Ukraine (beide 17 Punkte), verlieren sie auch noch Rang zwei, der zu den Playoff-Spielen berechtigt.

Afrika

Nigerias Präsident Muhammadu Buhari gratulierte zum „süßen Sieg“. Mit 1:0 gewann das Nationalteam gegen Sambia und machte damit die Qualifikation für die WM in Russland perfekt. Damit sind die „Super Eagles“, die vom deutschen Trainer Gernot Rohr betreut werden, bereits zum sechsten Mal bei einer Weltmeisterschaft dabei. Alex Iwobi, der schon im Hinspiel getroffen hatte, erzielte in der 73. Minute das Tor für den dreimaligen Afrika-Meister. Geplatzt ist der WM-Traum dagegen für Gabun und BVB-Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang. Sein Team verlor 0:3 gegen den neuen Tabellenführer Marokko und hat keine Chance mehr.

Europa

Island fehlt nach dem 3:0 in der Türkei am Montag nur noch ein Sieg gegen Außenseiter Kosovo, um sich erstmals für eine Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Die Türkei dagegen hat keine WM-Chance mehr. Lediglich theoretischer Natur sind noch die Chancen der Niederlande, 2018 in Russland dabei zu sein. Beim abschließenden Gruppenspiel am Dienstag müsste man mit sieben Toren Differenz gegen Schweden gewinnen, um wenigstens noch die Playoffs zu erreichen. Griechenland dagegen hat einen Playoff-Platz sicher, wenn das Team von Michael Skibbe am Dienstag Gibraltar schlägt.

Nun herrscht Panik in Kroa­tiens Fußball, nachdem am Freitag einem finnischen Länderspieldebütanten namens Pyri Soiri in der 90. Minute der Ausgleich gelang. Am Samstag wurde Nationaltrainer Ante Cacic gefeuert, zu spät, wie Kritiker finden. Vom altväterlichen Cacic wird wohl vor allem in Erinnerung bleiben, wie er sich am Freitag während des Spiels ungelenk die Brille putzte: Fehlenden Durchblick suggerieren diese Bilder. Dieser Trainer war als Dompteur der Starauswahl überfordert. Auch Blazevic wurde gefragt, ob er sich vorstellen könne, noch einmal der erste Trainer des Landes zu werden. Er sei 80, gab der 82-Jährige zu Protokoll, und noch nicht dement: „Aber verdammt noch einmal: Das wäre nun doch absurd.“

Wobei die prompte Berufung von Zlatko Dalic ähnlich irre erscheint. Dalic war einst ein mittelmäßiger Mittelfeldspieler, der die letzten sieben Jahre als Trainer auf der Arabischen Halbinsel verbrachte und 2006 kurz Assistenztrainer bei der kroatischen U21-Auswahl war. Angesprochen auf die Inthronisierung des 50-Jährigen, erklärte Blazevic mit dem Ernst eines Clowns: „Ich habe einen besseren Vorschlag, nein, sogar zwei: Davor Suker und Zdravko Mamic sollten selbst übernehmen.“ Wie Vorgänger Cacic gilt auch Dalic als ein ergebener Zuarbeiter von Zdravko Mamic, jenem Mann, der in Kroatiens Fußball die Strippen zieht. Auch Verbandspräsident Suker gilt als Marionette des Paten. Suker erklärte, man habe neben Cacic auch dessen Assistenten entlassen müssen: „Sonst wäre das keine Schocktherapie.“ Dass aber Torwarttrainer Marijan Mrmić bleiben durfte, begründete er so: „Wir wollten den neuen Trainer nicht allein auf der Bank lassen, das wäre nicht seriös.“

Der neue Coach Zlatko Dalic hat die letzten sieben Jahre als Trainer auf der Arabischen Halbinsel verbracht

Mit der Seriosität aber ist es so eine Sache im kroatischen Fußball. Der Fußball im Land ist geprägt von Korruptions-, und Bestechungsvorwürfen. Derzeit steht Zdravko Mamic vor Gericht, der Prozess belastet auch die Nationalmannschaft. Der langjährige, ehemalige Präsident des Serienmeisters Dinamo Zagreb und ehemalige Verbandsvize und dessen Bruder Zoran sowie ein Verbandsfunktionär und ein Steuerbeamter sollen den Staat um mindestens 17 Millionen Euro geprellt haben. Bei Wechseln von Spitzenspielern von Dinamo ins Ausland soll sich der Mamic-Clan bereichert haben. So etwa am Transfer von Modric 2008 zu den Tottenham Hotspurs (Ablösesumme: 21 Millionen Euro). Als Modric zuletzt im Prozess aussagte, widerrief der auf dem Platz so pfiffige Spielmacher stotternd eine vorher gemachte Aussage und entlastete so Zdravko Mamic.

Nun hat Modric ein Verfahren wegen möglicher Falschaussage am Hals. Das Mafiastück treibt seither immer neue Blüten. Zdravko Mamic, der sich als Opfer inszeniert, wurde kurz drauf am Grab seines Vaters angeschossen, posierte aber nur einen Tag danach lächelnd für die Kameras in der Klinik. Obwohl Mamic wegen des Prozesses seine Ämter bei Dinamo und im Verband 2016 niedergelegt hat, mischt er weiter als „sportlicher Berater“ bei Dinamo mit. Nach Modrics zweifelhafter Aussage vor Gericht erklärte Zdravko Mamic übrigens: „Ich wusste, dass Luka ein ehrlicher, anständiger Junge ist.“