Schweden und die Folgen von Tschernobyl: Strahlende Schweine

31 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind schwedische Wildschweine noch radioaktiv. Das Fleisch ist zehnmal so belastet wie erlaubt.

Ein dreieckiges Straßenschild, auf dem die Umrisse eines Wildschweines zu sehen sind

Im schwedischen Trollhättan warnt ein Schild vor Wildschwein-Wildwechsel Foto: imago/Kamerapress

STOCKHOLM taz | „Nach diesen Meldungen wird vielen Jägern wohl die Motivation vergehen“, vermutet Torsten Nilsson, Vorsitzender des Jägerverbands der Region Uppsala. Und er gesteht, dass es auch für ihn „schon etwas schockierend“ war: „Solange ist das her und noch immer werden solche Werte gemessen.“ Das Fleisch von Wildschweinen aus manchen Regio­nen Schwedens ist mehr als zehnmal so hoch radioaktiv belastet wie für den Verzehr zulässig.

Mehr als 31 Jahre sind seit der Atomkatastrophe von Tschernobyl vergangen. In den Jahren danach mussten in Lappland über 100.000 Rentiere notgeschlachtet und drei Meter tief im Erdboden vergraben werden. Tonnen von Elchfleisch wurden wegen zu hohen Gehalts an radioaktivem Cäsium vernichtet. Den SchwedInnen wurde empfohlen, beim Genuss von Waldbeeren und Pilzen zurückhaltend zu sein.

Aber zwischenzeitlich schien sich die Situation zu entspannen. Das galt auch für einen Korridor vom mittelschwedischen Ostseeufer nordwestwärts bis nach Lappland. Hier, zwischen Uppsala, Gävle und Sundsvall hatte es in den letzten April- und den ersten Maitagen des Jahres 1986 kräftig geregnet – es war strahlender Regen mit teilweise 70 Kilobecquerel Radioaktivität pro Quadratmeter. Laut Internationaler Atomenergiebehörde IAEA gilt ein Gebiet mit mehr als 40 kBq als radioaktiv kontaminiert.

Und von hier stammt auch das Wildschweinfleisch, von dessen Verzehr nun abgeraten wird. Es wurden nämlich Cäsium-137-Werte von bis zu 16.000 Becquerel gemessen. Das ist mehr als das Zehnfache des sowieso recht hohen Grenzwerts von 1.500 Bq/Kilo, mit dem Wild, Beeren und Pilze in Schweden noch in den Handel gelangen dürfen. Von 30 bislang untersuchten Proben lagen nur 5 unter diesem Wert, der als unbedenklich gilt. Personen, die bereits größere Mengen Wildschweinfleisch zu sich genommen haben, erhielten für kommende Woche Untersuchungstermine, bei denen die Becquerel-Werte im Körper gemessen werden sollen.

Warum strahlen gerade Wildschweine? Sie hätten sich erst in den letzten Jahren nach Norden hin in Gegenden mit besonders belasteten Böden ausgebreitet, erläutert Nilsson: Sie wühlten tief in der Erde und fräßen große Mengen an Pilzen und Wurzeln. Ulf Frykman, der in der Gävle-Region seit drei Jahrzehnten Cäsiummessungen vornimmt, rechnet für die nächsten Jahre mit möglichen Werten von 30- bis 40.000 Bq im Fleisch der Tiere. „Wildschweine sind die reinsten Cäsium-Magnete“, bekräftigt Robert Weimer, der an der schwedischen Landwirtschaftsuniversität zu Cäsium-Trends in der Natur forschte.

Pål Andersson von der staatlichen Strahlenschutzbehörde SSM warnt vor übertriebener Furcht. Die Strahlendosis, die man über solches Fleisch zu sich nehme, stelle keine akute Gefahr dar. Aber natürlich erhöhe jede Strahlung, der man ausgesetzt werde, das Krebsrisiko: „Und von Fleisch mit über 10.000 Bq/Kilo sollte man schon die Finger lassen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.