Sie nennen ihn Weißarsch

Mit seinem Debütroman „Kleines Land“ über eine Kindheit in Burundi hat der Rapper Gaël Faye Frankreich erobert

Tutsi, Ruander, Franzose, schwarz und weiß. In seinem Debüt geht es um Identitäten: Gael Faye Foto: Chris Schwagg

Von Morgane Llanque

Chili auf einem Buttercroissant“, singt er in einem seiner Lieder über sich selbst. Gael Faye ist halb Ruander, halb Franzose, aufgewachsen im Burundi des Bürgerkrieges. Mitte der 90er Jahre kommt er als Kriegsflüchtling nach Frankreich. Er studiert, bringt es zum Investmentbanker, nur um kurz darauf die Börse gegen eine Hiphop-Karriere einzutauschen: In seinen Liedern beschreibt der Rapper, 35 Jahre alt, den Alltag eines melancholischen „Métis“ in Paris. Ein junger Mann, der sich mal nachdenklich, mal wütend gibt, der zwischen den Welten von Bujumbura und Paris festklemmt und sich aus verschiedenen Identitätssplittern etwas Ganzes zu puzzeln versucht.

Als der erfolgreiche Rapper im vergangenen Jahr sein erstes Buch veröffentlicht, überschlägt sich Frankreich. Er bekommt für „Kleines Land“ den renommierten Prix Goncourt des lycéens verliehen. Der Band wird bald mehr besprochen als sein aktuelles Album.

In seinem stark autobiografisch gefärbten Roman, der auf Deutsch nun bei Piper erschienen ist, begibt sich Faye auf die Suche nach seiner ostafrikanischen Vergangenheit. „Ich wollte mich befreien von der Erfahrung eines Krieges“, erzählte er vor Kurzem auf dem Blauen Sofa der Bertelsmann Stiftung in Berlin. „Ich war klein. Ich konnte nicht verstehen, was damals geschah, ich konnte es nur fühlen.“ Er erzählt von Erfahrungen von Rassismus und Flucht. Doch geht es in seiner Geschichte weniger um den Verlust der Heimat, sondern vor allem um den Verlust der Kindheit.

Die ist kompliziert. Und anstrengend. Fayes Held und Alter Ego Gabriel baut mit elf lieber Baumhäuser und stiehlt Mangos, als die politischen Wirren in seiner Heimat Burundi zu verfolgen. Er genießt die weiße Welt, der sein französischer Vater angehört: Seine Spiegeleier bekommt er von Dienern serviert, und er fährt ein rotes BMX-Rad. Die Jungs am anderen Ende der Reichensiedlung nennen seinesgleichen Weißarsch.

Seine Mutter, eine Überlebende der ersten Pogrome in Ruanda, lässt Gabriels Umfeld jedoch nie vergessen, dass er auch ein halber Tutsi ist. Ihr Sohn kann mit dem Poker um seine Zugehörigkeit jedoch nichts anfangen. Aus Verlegenheit versichert er seinen wesentlich pa­trio­tischeren Freunden, dass er sich als Ruander sehe. In Wirklichkeit interessiert ihn das Nachbarland genauso wenig wie die anstehende, erste demokratische Wahl in Burundi im Jahr 1993. Die rassistischen Tendenzen seines Vaters nimmt Gabriel aufmerksam, aber ohne Kritik zur Kenntnis. Er ist ein Kind. Und das Kind ist eigentlich recht glücklich.

Das Salz der Besessenheit

Vom Fischen im Fluss mit seiner Bande über Familienausflüge zur Besichtigung der Pygmäen spielt sich sein Alltag in einer kuscheligen Blase im noch sehr kolonialen Burundi ab. Er verliebt sich in seine französische Brieffreundin. (Die Briefe, die er ihr schreibt, klingen wie etwas zu erwachsene Songtexte.) Und er staunt darüber, dass die Nachbarjungs ohne Wissen der westlichen Verwandtschaft von ihren Tutsi-Verwandten beschnitten wurden.

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Gael Faye: „Kleines Land“.

Aus dem Französischen von Brigitte Große und Andrea Alvermann. Piper Verlag, München 2017. 224 Seiten, 20 Euro

Faye schreibt angenehm ungeschliffen über diese Kindheit. Wie in seinen HipHop-Texten mischt er poetische Sprache mit derbem Straßenjargon. Das Kind „Gaby“ beschreibt die Kakihemden der aufgeblasenen Lokal-Oligarchen als „gänsekackfarben“, der erwachsene Gabriel fühlt sich in Paris nicht mehr lebendig, weil ihm das „Salz der Besessenheit“ fehlt.

Die Erinnerungen eines sehnsüchtigen Exilanten fasst der Autor in viele kurze Anekdoten. Es fesselt und verstört zugleich, wie die ohnehin schon schwierige Pubertät eines Jungen in einem Land zwischen aufkeimender Demokratie, Kolonie und Diktatur gegen seinen Willen politisiert wird. Man ist absolut nicht darauf vorbereitet, dass nach mehr als der Hälfte des Buches auf einmal der Krieg einbricht und in Ruanda der Genozid an den Tutsi beginnt. Der kleine Junge versteht die Welt nicht mehr, als seine Freunde sich mit 13 Kalaschnikows kaufen und seine Mutter, vom Kriegsgeschehen traumatisiert, spurlos verschwindet.

Stilistisch brillant, aber brutal lässt Faye Gabriels Kindheit in sich zusammenfallen. „Ich wollte die Geschichte eines verlorenen Paradieses schreiben“, sagt der Autor. „Bevor wir uns als ein Haufen Versprengter in allen Teilen der Welt wiederfanden.“ Mittlerweile hat Faye Paris den Rücken gekehrt. Er lebt nun in Kigali, Ruanda.