Anhörung deutscher Geheimdienstchefs: Top Secret im Bundestag

Erstmals werden die Geheimdienstchefs im Bundestag angehört. Fehler ihrer Behörden weisen sie zurück. Lieber werben sie in eigener Sache.

Drei Männer in Anzügen

Wollen „vollen Werkzeugkasten“: Hans-Georg Maaßen, Christof Gramm und Bruno Kahl (v. l. ) Foto: dpa

BERLIN taz | Die vergangenen Monate waren für die deutschen Geheimdienstchefs nicht gerade problemfrei. Der Verfassungsschutz musste sich fragen lassen, warum auch ihm der Berlin-Attentäter Anis Amri durchrutschte. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) blamierte sich mit dem Fall des terrorverdächtigen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als Asylbewerber registriert hatte. Und gleich zwei Untersuchungsausschüsse im Bundestag, zur NSA-Affäre und zum NSU-Skandal, knöpften sich Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz vor.

Am Donnerstag nun mussten die Geheimdienstchefs erneut zum Rapport im Bundestag anrücken – zu einer Premiere. Diesmal wurden die Präsidenten vom Parlamentarische Kontrollgremium der Geheimdienste vorgeladen, und zwar erstmals öffentlich. Das Gremium tagt sonst nur hinter verschlossenen Türen, ihr Abgeordneten müssen darüber schweigen, was ihnen die Präsidenten mitteilen. Nun öffneten sich die Türen. Die Anhörung – in den USA längst Usus – ist Teil einer 2016 beschlossenen Reform der Geheimdienstkontrolle.

Fragen nach Fehlern aber weisen die Präsidenten zurück. Für den Fall Amri sei die Polizei zuständig gewesen, sagt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Dort sei der Tunesier als Gefährder geführt sowie als Asylbetrüger und Drogendealer erkannt worden. Und auch beim NSU hätten die Informationen bei den Landesämtern gelegen, nicht in seinem Bundesamt, behauptet Maaßen – und schweigt über eigene V-Leute, die sein Amt im NSU-Umfeld führte. Auch wie viele Spitzel das Bundesamt heute führt, will er nicht sagen.

Christof Gramm, Präsident des Militärischen Abschirmdienstes, relativiert die jüngst bekannt gewordenen 391 rechtsextremen Verdachtsfälle in der Bundeswehr. Nach dem Fall Franco A. habe es schlicht einen „Ruck“ an Meldungen gegeben. Tatsächlich enttarne man jährlich etwa fünf Rechtsextreme, zudem drei Islamisten.

Lobbyismus in eigener Sache

Auch BND-Chef Bruno Kahl betont, dass die Kontrollen in seinem Dienst nach der NSA-Affäre funktionierten. Der Grüne Christian Ströbele fragt nach, ob der BND denn noch europäische Institutionen ausspähe? Neue Fälle gebe es nicht, beteuert Kahl.

Passend dazu vermeldet die Bundesanwaltschaft am Donnerstag, ihre Untersuchungen in der NSA-Affäre eingestellt zu haben. Belastbare Hinweise, dass US-Geheimdienste in Deutschland „zielgerichtet“ und „rechtswidrig systematisch“ überwachen würden, hätten sich nicht ergeben. Keine der für Spionageabwehr zuständigen Behörde habe dafür Belege gefunden. Für weitere Ermittlungen sei deshalb „kein Raum“.

Die Geheimdienstchefs schalten in der Anhörung lieber auf Lobbyismus in eigener Sache. Kriege, Terror und Cyberattacken seien die „größten Herausforderungen seit Jahrzehnten, zählt BND-Chef Kahl auf. Maaßen sagt, sein Amt habe allein 1.800 Terrorgefährder im Blick. Unisono fordert das Trio mehr Personal. Indes: Schon in der letzten Legislatur bekamen sie einen Zuwachs von je rund 10 Prozent.

Mehr Zentralisierung gewünscht

Maaßen fordert auch einen „vollen Werkzeugkasten“ für die Dienste: Er hätte gerne Zugang zu verschlüsselten Messengerdiensten und möchte wissen, wer in Deutschland gerade Enthauptungsvideos schaut, sagt der Verfassungsschützer. Kahl verteidigt das Projekt eines eigenen Spionagesatelliten, 400 Millionen Euro teuer. Nur so komme man unabhängig von ausländischen Diensten zu eigenen Erkenntnissen.

Die Geheimdienstchefs plädieren auch für mehr Zentralisierung hin zu ihren Bundesämtern. Eine Steuerung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum fehle. Auch drifteten die Rechtslagen der Länder zuletzt noch weiter auseinander, so Maaßen. Einen europäischen Geheimdienst lehnen die Präsidenten dagegen ab.

Clemens Binninger (CDU), Chef des Kontrollgremiums, lobt die Premiere. „Sehr informativ, sehr substanziell.“ Für Ströbele dagegen, der die Anhörung eigentlich schon vor der Bundestagswahl wollte, wurden die Geheimdienstler zu einsilbig, wenn es konkret wurde. „Das muss besser werden.“

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