Unvermeidliche Suizide

Mehrere Selbsttötungen in Hamburgs Gefängnissen hält die Justizbehörde für nicht verhinderbar. Doch es fehlten Personal und Freizeitangebote für die Gefangenen

Deprimierende Aussichten: Häftling hinter Gittern in „Santa Fu“ Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Von Adèle Cailleteau

Die Justizbehörde hat keine Lösung, um Suizide in den Hamburger Gefängnissen komplett zu verhindern. Viele Zellen seien inzwischen so konstruiert, dass es „fast unmöglich sei, sich umzubringen“, sagt Marion Klabunde, Sprecherin der Hamburger Justizbehörde. Fast unmöglich, weil Menschen „sehr kreativ“ seien, wenn sie nicht mehr leben wollen, fügt Klabunde hinzu.

Seit Januar haben sich in Hamburg drei Gefangene erhängt, einer hat sich erstickt mit einem Müllbeutel. Es sei aber unmöglich, solche Vorfälle zu verhindern, so Klabunde. In den vergangenen Jahren wurden verstärkt Beobachtungs- und Sicherheitszellen eingerichtet – Zellen ohne Steckdose, mit nur einem in der Wand verankerten Bett und einer festen Metalltoilette. Gürtel und Schuhe mit Schnürsenkeln sind hier verboten. Manche Räume sind zudem noch mit einer Kamera ausgestattet, womit eine rund-um-die-Uhr-Beobachtung möglich ist.

Alle Gefangenen können aber solche Zellen nicht haben, da es ein „immenser Eingriff ins Persönliche“ bedeute, der langfristig nicht möglich sei, betont Klabunde. Nur Gefangene, deren Suizidgefährdung bekannt ist, werden in solchen Zellen untergebracht und auch das nur für eine kurze Zeit.

Doch letztlich bilden alle Gefangenen eine besonders suizidgefährdete Bevölkerungsgruppe, erklärt Peer Birken, der Leiter des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie an der Uniklinik Eppendorf (UKE). Die Inhaftierung greife familiäre und freundliche Beziehungen an und gefährdete Wohnung und Arbeit. Dazu sei die Gefängnisbevölkerung öfter von psychischen Störungen betroffen und drogen- oder medikamentenabhängig, als der Rest der Bevölkerung. Bei Chris Z., der sich Anfang September in der U-Haft erhängte, war beispielsweise eine Betäubungsmittelabhängigkeit bekannt.

Nach einer Häufung von Suiziden hatte die Justizbehörde 2012 Peer Birken und ein Team vom UKE beauftragt, die Suizidprävention des Hamburger Vollzugs zu untersuchen. Das UKE empfahl die Erweiterung der psychiatrischen Versorgung und die Erhöhung der Angebote zur Weiterbildung, Schulung und Freizeitgestaltung.

Von 1962 bis 1995 gab es in Hamburgs Gefängnissen 120 Suizide.

Von 1996 bis 2012 haben sich 41 Gefangene selbst getötet.

2014 haben sich keine, 2015 zwei, 2016 einer und 2017 vier Suizide in Hamburger Gefängnissen ereignet.

2013 wurde das sogenannte Suizidscreening eingeführt. Mit der am UKE entwickelten Befragung, die bei der Aufnahme ins Gefängnis durchgeführt wird, soll die Suizidgefahr des Neuinhaftierten eingeschätzt werden. Die Beurteilung erfolgt nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ mit einer psychologischen Fachkraft und einem vollzugserfahrenen Bediensteten.

Die Wirksamkeit des Programms ist fraglich. Der 25-jährige Anton G., einer der vier Gefangenen, die sich in diesem Jahr das Leben nahmen, hatte etwa während des Screenings Suizidgedanken geäußert, weshalb er in eine Sicherungsstation gebracht wurde. Nach Beobachtung wurde er als stabil eingestuft und in einem normalen Haftraum untergebracht, wo er sich mit Bettlaken erhängte – nur wenige Stunden nach seiner Inhaftierung.

Ende August und Anfang September fanden zwei Suizide in der Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis statt. In diesem Zeitraum wurde weder die Einzelsportbetreuung noch die Gruppensportbetreuung gewährleistet, da der Sportbeamte Urlaub hatte. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine CDU-Anfrage hervor. Weiterer Personalmangel führte dazu, dass es an manchen Tagen keine Besuchsabteilung, keine Vater-Kinder-Gruppe und auch keine Möglichkeit für die Gefangenen gab, zu telefonieren. Das widerspricht eklatant den Empfehlungen der Suizidpräventions-Studie.