GesamtdeutscheWidersprüche

Detlev Gumm und Hans-Georg Ullrich, die Regisseure der Langzeitbeobachtung „Berlin – Ecke Bundesplatz“, stellen weitere emphatische Dokumentationen vor

„Friede, Freude, Katzen­jammer“: Beschäftigte des früheren VEB Denkmalpflege in der Wendezeit Foto: absolut medien

Von Lukas Foerster

„Das ist ein Motivationslehrgang hier, vielleicht motivieren wir Sie zu irgendwas.“ Diesen Satz sagt ein ziemlich hilfloser Motivationstrainer zu den noch viel hilfloseren, von Entlassung bedrohten Angestellten, die im Rahmen einer Weiterbildungsmaßnahme lernen sollen, sich auf eine ungewisse Zukunft vorzubereiten. Man darf den Satz in Gedanken wohl so fortsetzen: „Und wenn nicht, dann haben Sie immerhin einen Motivationslehrgang absolviert.“

Die Szene ist eine der bittersten in „Friede, Freude, Katzenjammer“, einem klugen, vielschichtigen, aber zumindest phasenweise eben auch ziemlich niederschmetternden Film über die Nachwendezeit, gedreht 1990/91. Es geht in ihm um eine Firma, die „Paul Schuster GmbH, Fachbetrieb für Bau und Denkmalpflege“. Gegründet im 19. Jahrhundert, wurde sie in der DDR verstaatlicht und ging im VEB Denkmalpflege auf.

Hans P. H. Schuster, der Enkel des Gründers, übernimmt nach der Wende die Leitung des Unternehmens, das fortan auch wieder unter altem Namen firmiert. Wenn der Film einsetzt, ist Schuster außerdem gerade über die Landesliste der FDP in den Bundestag gewählt worden. Während er in Bonn gegen Windmühlen kämpft, fühlt sich die Belegschaft nicht nur von ihm im Stich gelassen.

Das Sujet ist genial gewählt. Eine Firma, die sich einerseits um den Erhalt von Geschichte kümmert (oder auch ums Umschreiben: gleich zu Beginn wird gezeigt, wie ein Metallrelief, das den Sowjetsoldaten für die Befreiung vom Faschismus dankt, eingeschmolzen wird – der Rohstoff wird für eine Unternehmerbüste gebraucht), die aber andererseits auch selbst eine hochinteressante Geschichte hat. Und die sich außerdem auf gleich mehreren Ebenen mit den Widersprüchen der gesamtdeutschen Gegenwart konfrontiert sieht. Kurzum: Detlev Gumm und Hans-Georg Ullrich, die beiden Regisseure des Films, können aus dem Vollen schöpfen. Wunderbar ist dann aber gerade, dass ihr Film nichts Hysterisches hat, nicht die Konfrontation (und die zugehörigen Wutreflexe) sucht.

Stattdessen hören Gumm und Ullrich allen Beteiligten aufmerksam zu. Mit Hans Schuster besuchen sie eine ehemalige DDR-Strafanstalt, in der er als anfangs aufsässiger „Klassenfeind“ eine Weile eingesperrt war, bevor er lernte, sich mit den neuen Mächtigen zu arrangieren. Man sieht arbeitslose Neonazis am Würstchenstand. Dann sitzen die Regisseure mit einer jungen Frau am Küchentisch einer Wohnung in einem besetzten Haus mit apokalyptischem Wasserschaden und lassen sich erzählen, warum die Begeisterung über den demokratischen Neuanfang schon nach einem guten Jahr Wiedervereinigung verpufft ist. Und einmal stehen sie am Würstchenstand neben zwei arbeitslosen Jugendlichen, die ihre nationalsozialistischen Schlüsse aus der Misere gezogen haben.

Da kann man sich schon heute mit einiger Sicherheit drauf festlegen: Nicht die allgegenwärtigen Krimiserien, schon gar nicht irgendwelche Spielfilme, sondern das Dokumentarfilmschaffen wird einmal das zentrale Erbe des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens sein. Vor dem Formatierungswahnsinn ist man zwar auch dort nicht sicher, aber es gibt, vielleicht wegen des vergleichsweise geringen Finanzbedarfs, gewisse Freiräume, die über die Jahre eine lange Reihe erstaunlicher Projekte ermöglicht haben. Gumm und Ullrich, die über die Jahre an mehr als 100 TV-Dokumentationen gearbeitet haben, sind vor allem durch die dichte, emphatische, mosaikartige Langzeitbeobachtung „Berlin – Ecke Bundesplatz“ (1986–2012, 62 Folgen) bekannt geworden.

Nicht weniger spektakulär sind die fünf außerhalb dieser Reihe entstandenen Filme, die die bei absolut Medien erschienene DVD-Edition „Berlin – Ecke Bundesrepublik“ versammelt, und die derzeit auch in Berliner Kinos zu sehen sind. Ein Katalog der Deutschlandbilder, der sich nicht an den großen Erzählungen, sondern an den Texturen des Alltags abarbeitet. Neben Denkmalschützern lernt man Kaninchenzüchter kennen, es geht um Versandhauskataloge, einen „Stadterklärer“ – und um einen Brezelverkäufer am Bahnhof, der seinen Kunden das Gebäck durchs Wagenfenster reicht und darauf achten muss, rechtzeitig sein Geld zu kassieren, bevor der Zug sich wieder in Bewegung setzt.

„Friede, Freude, Katzenjammer“ wird in Anwesenheit der Regisseure zur Vorstellung der DVD mit fünf Filmen am 8. 10. um 15.30 Uhr im Bundesplatz-Kino gezeigt. Um 18.30 Uhr folgt dann die Eröffnung der Ausstellung zur Entstehung ihrer Filme im konzeptraum für kunst und design, Weimarische Str. 6a. Weitere Infos zur DVD: absolutmedien.de