Debatte Rassismus in Deutschland: Ist der Ruf erst ruiniert

Ost wie West sind mittlerweile vereint im Rassismus – nur ist das Etikett Nazi den Menschen im Osten der Republik zunehmend egal.

Polizisten und Demonstranten, von denen einige den Hitlergruß zeigen

Nicht Dresden, sondern Köln: Pegida-Anhänger im Januar 2016 Foto: dpa

Die Scheinwerfer in Richtung Osten sind angeknipst. Mal wieder. Deutschland hat gewählt, im Gebiet der ehemaligen DDR verstärkt die AfD. In Sachsen ist die rechte Partei sogar stärkste Kraft geworden. Die anschließende Frage kommt so reflexhaft wie erwartbar: Was läuft im Osten schief?

Auf der Suche nach Antworten meinen manche, die fehlende Demokratieerfahrung der ehemaligen Staatsbürger*innen der DDR sei der Grund. Andere, dass das Wahlverhalten auch Ergebnis der schlechten Wendeerfahrung sei. Für ein Gefühl des Nichtdazugehörens ist die Wendeerfahrung eine Erklärung. Aber auch für die Wahl der AfD? Hier wird es diffus.

Worüber sprechen wir, wenn wir das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl mit Blick auf die Deutsche Einheit diskutieren? Über den Frust vieler Ostdeutscher, noch immer weniger zu verdienen als ihre westdeutschen Mitbürger*innen? Über die zurückgebliebenen Männer? Oder sprechen wir über Rassismus? Wenn die Scheinwerfer angeknipst sind, vermischen sich die Ebenen – zwischen den strukturellen Unterschieden zwischen Ost und West und einer Entwicklung, die gesamtdeutsch ist.

Am 24. September haben sich 12,6 Prozent der Wähler*innen in Deutschland für die AfD entschieden. Eine Partei, die völkisch-nationalistischen und rassistischen Positionen ein Dach bietet. Sie warnt vor „Überfremdung“ und fordert „konsequente Abschiebungen“. Den Ton dieser Forderungen übernehmen auch andere Parteien. Etwa die „Obergrenzen“-CSU. Die „Gastrecht verwirkt“-Linke. Jetzt neu auch die „harte Konsequenzen“-SPD.

Alle balgen sich um das Kernthema der AfD, geben ihm dadurch Relevanz und vermitteln den Eindruck, Geflüchtete seien tatsächlich gerade Deutschlands größtes Problem. Der häufig dahinter liegende Rassismus, „Deutschland den Deutschen“, wird dabei klein gemacht, umbenannt und als „Angst“ neu gelabelt. Und diese Angst sei okay, das heißt doch: Ein bisschen Rassismus ist okay. Die AfD wählen solle man aber trotzdem nicht. Warum? Weil man das nicht macht. Eine rechte Partei wählen. So schlicht.

Diese Argumentation funktioniert über Etiketten. Niemand will ein Nazi sein, nicht einmal die Demonstrant*innen der -gidas dieser Republik. Was aber, wenn den Leuten Etiketten egal sind? Spätestens seit Pegida gilt Sachsen als rechtes Nest. Der Nazi-Stempel klebt fest. Da kann der besorgte Bürger von Dresden auch AfD wählen.

Fehlende zivilgesellschaftliche Struktur

Die AfD hat es geschafft, dass das Etikett Nazi manche nicht mehr abschreckt. Mehr noch im Osten als im Westen. Sind die AfDler mit ihrer anscheinend berechtigten Kritik nicht genauso marginalisiert in der politischen Debatte wie die Ostdeutschen? Dieses Nichtverstandenfühlen verbindet manche Menschen im Osten mit der AfD. Das Wort „Nazi“ ist dann nur noch ein Etikett, mit dem sich beide nicht gesehen fühlen. Also verliert das Wort an abschreckender Wirkung. Am Ende bleibt eine Haltung nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Besonders in Sachsen.

Die AfD hat es geschafft, dass das Etikett Nazi manche Wähler*innen nicht mehr abschreckt

Sachsen ist speziell. In diesem seit 1990 von der CDU regierten Bundesland wurde Pegida groß. Rassistische Gewalt ist hier auffallend häufig zu verzeichnen. Hier konnten Mitglieder des NSU für Jahre untertauchen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Auch für diese Situation gibt es keine finale Erklärung. Sachsen sei schon immer braun gewesen, ist eine kurze.

Eine andere spielt in der Nachwendezeit. In den Neunzigern, als die Skinheads Sächsische Schweiz die netten Jungs von nebenan gaben und ehrenamtliche Jugendarbeit leisteten. So besetzten Rechtsradikale eine Lücke, die die Politik zurück gelassen hatte. Den Mangel an Staat gleichen andernorts zivilgesellschaftliche Vereine oder die Kirche aus – wie etwa in der Flüchtlingshilfe. In Ostdeutschland fehlen diese Strukturen häufig.

Aufgrund der DDR-Geschichte fehlt im Osten ein starkes Netz kirchlicher Träger. Insgesamt engagieren sich in Ostdeutschland weniger Menschen ehrenamtlich. Frauen übernehmen eher ein Ehrenamt als Männer. In Ostdeutschland arbeiten mehr Frauen als in Westdeutschland, doppelt so viele Mütter in Vollzeit. Da ist wenig Zeit für Ehrenamt. Eine Erklärung, warum gerade in der Sächsischen Schweiz in den Neunzigern eine so starke Neonaziszene entstanden ist, ist das nicht.

Im Rassismus vereint

Ost und West unterscheiden sich. Aber nicht alle Unterschiede erklären automatisch das Wahlverhalten. Am 24. September haben 15,5 Prozent der Wähler*innen in Rostock ihre Zweitstimme der AfD gegeben – und 15,4 Prozent im Wahlkreis Main-Kinzig. 17,5 Prozent der Stimmen bekam die AfD im Kreis Erfurt-Weimar, 19,2 Prozent in Deggendorf in Bayern. In anderen Regionen ist der Unterschied größer.

So gewann die AfD in Mecklenburg-Vorpommern 18,6 Prozent der Stimmen, in Baden-Württemberg 12,2 Prozent. Diese 6 Prozentpunkte kann man groß machen, oder einfach feststellen, dass wir ein gesamtdeutsches Problem haben.

Dieses Problem hat in Ost und West verschiedene Gesichter. Für eine Schwarze Person sind die Straßen Freibergs in Sachsen unsicherer als die Straßen Freiburgs in Baden-Württemberg. Im Osten übersetzt sich Rassismus stärker in Gewalt. Aber die Vorstellungen von Menschsein, die dahinter stecken, finden sich auch im Westen, wie wir nun wissen.

Dass nicht alle AfD-Wähler*innen die Partei trotz des dahinter liegenden Rassismus gewählt haben, ist eine interessante Vorstellung. Erst dieses Wochenende bemühte Sachsens Ministerpräsident Tillich dieses Bild. Doch selbst wer sich nicht an der „Ausländer raus“-Rhetorik dieser Partei stört, muss doch sehr aktiv die völkisch-nationalistischen und rassistischen Äußerungen einzelner Parteimitglieder überhört haben.

27 Jahre nach der Deutschen Wiedervereinigung leben wir noch immer in einem geteilten Land, ökonomisch und kulturell. Im Rassismus, den die 12,6 Prozent Wähler*innen der AfD offenbaren, scheint Deutschland 2017 allerdings vereint.­

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Stellvertretende Chefredakteurin der taz seit April 2016. Vorher Chefredakteurin des Missy Magazine. Aufgewachsen in Dresden. Schreibt über Kultur, Feminismus und Ostdeutschland. In der Chefredaktion verantwortlich für die digitalen Projekte der taz. Jahrgang 1985.

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