Kleinvieh macht auch Mist

Nachlese Von ÜberraschungssiegerInnen und zu Geld Gekommenen – was die Wahl republikweit für ParteienvertreterInnen und Kleinstparteien bedeutet

No-Go Jamaika: die Kreuzberger Grüne Canan Bayram Foto: Steffi Loos

Kein Kançler, aber Kohle

Eindeutiger Gewinner, auch ohne Kançler: Die PARTEI verfünffacht ihr Ergebnis im Vergleich zur letzten Wahl, sie holt 1,0 Prozent der Stimmen. Finanziell lohnt sich das – die Höhe der Zuschüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung hängt vom jeweils letzten Wahlergebnis ab. Schon bei der Europawahl und einigen Landtagswahlen hat die PARTEI bereits Geld vom Staat bekommen, doch jetzt steht ihr deutlich mehr zu. Stark sind die Politsatiriker vor allem in Großstädten und dort in innerstädtischen Wahllokalen. „Kançler“ Serdar Somuncu kommt im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg sogar auf 7,2 Prozent der Erststimmen – mehr als jeweils FDP und AfD. In einigen Wahllokalen überholt er sogar CDU und SPD.

Bayram rockt Kreuzberg

Mit einem winzigen Vorsprung holt Canan Bayram bundesweit das einzige grüne Direktmandat im Berliner Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Der war bis jüngst Beritt des Grünen-Urgesteins Christian Ströbele. Lange war unklar, ob nicht Pascal Meiser von den Linken an Bayram vorbeizieht. Bayram kriegte am Ende 26,3 Prozent, Meiser 24,9. Zweitstimmen holen die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg deutlich mehr als im Bund. Ströbele hatte viermal das Direktmandat geholt – mit teilweise bis zu 40 Prozent der Stimmen. Seine Nachfolgerin Bayram steht ihm politisch nahe; der Bezirk wendet sich aber wohl langsam von den Grünen ab. Obwohl Bayram sich im Vorfeld entschlossen gegen Jamaika stellte, dürfte der Flirt mit CDU/CSU viele linke Stammwähler verschreckt haben.

BA-WÜ bleibt grün

EindeutigerGewinner, auch ohne Kançler: Die PARTEI verfünffacht ihr Ergebnis

Wenn Canan Bayram bei den Grünen ganz links steht, dann ihr Parteispezi Boris Palmer am anderen Ende des Spektrums: Eine Koalition mit CDU/CSU ist für ihn trotz der Flüchtlingspolitik der Christsozialen kein Problem. Im Wahlkreis Tübingen, wo Palmer Oberbürgermeister ist, holen die Grünen 18 Prozent der Stimmen, in ganz Baden-Württemberg 13,5 Prozent – bestes Landesergebnis für Grün. In Freiburg gibt es sogar 21,2 Prozent – bestes Wahlkreisergebnis.

Null Promistatus

Andrea Nahles, Cem Özdemir, Sahra Wagenknecht, Alexander Gauland, Alice Weidel, Heiko Maas, Ursula von der Leyen und Ulla Schmidt: Keiner von ihnen kann ein Direktmandat im Wahlkreis holen. Alle kommen aber über die Landesliste in den Bundestag.

NPD und Piraten versunken

Piraten und NPD ähneln sich in ihrer finanziellen Niederlage nach der Wahl. Mit jeweils 0,4 Prozent (–1,8 bei den Piraten, –0,9 bei der NPD) gibt es deutlich weniger Staatsknete – nur durch bessere Ergebnisse bei Europa- und Landtagswahlen sind die beiden Parteien noch drin in der Parteienfinanzierung.

Für die Linke in Leipzig abgeräumt: Sören Pellmann Foto: Die Linke

Lutze gegen Lafontaine

Thomas Lutze, Linken-Spitzenkandidat im Saarland, schafft es trotz Oskar Lafontaine, seinem großen internen Gegner, ins Parlament. Lutze zählt im Gegensatz zu Lafontaine zum Reformflügel der Linken. Im Saarland schnitt seine Partei mit 12,9 Prozent deutlich besser ab als im Bundesschnitt. Lafontaine, Chef der saarländischen Landtagsfraktion, und große Teile der Basis hatten Lutze die Unterstützung verweigert.

Sachsen rotblau

Erstmals in Sachsen gewinnt die Linke ein Direktmandat auf Bundesebene. Der Grundschullehrer Sören Pellmann liegt rund 1.000 Stimmen vor dem CDU-Kandidaten Thomas Feist. Der verliert viel an die AfD, und auch Pellmanns regio­nal bekannter Name half wohl – sein Vater Dietmar Pellmann, einst SED-Genosse, war lange für die Linke im Landtag. Bundesweit holt die Linke fünf Direktkandidaten, die restlichen davon in Berlin.

Mit Kohle: Die PARTEI Foto: F. Boillot

Essig mit Einzug

Ein flüchtiger Sieg: Im Netz steht der SPD-Kandidat Tim Renner fälschlicherweise kurz als Gewinner des Berliner Direktmandats in Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Exberliner Kultursenator, der den umstrittenen Chris Dercon zum neuen Chef der Volksbühne machte, gibt sich wenig später doch seinem CDU-Kontrahenten Klaus-Dieter Gröhler geschlagen. Auch der sechste Platz auf der SPD-Landesliste reicht Renner nicht, um in den Bundestag zu kommen.

Kleinstparteien weiter klein …

Falsch: der Bundeswahlleiter kürt Ex-Kultursenator Renner mal eben zum Sieger

. . . und arm: Das Bündnis Grundeinkommen (BGE) erhält 0,2 Prozent, die Demokratie in Bewegung (DiB) kann lediglich 0,1 Prozent der Wähler*innen von sich überzeugen. Beide Parteien liegen somit unter der magischen Schwelle von 0,5 Prozent, die ihnen öffentliche Gelder zusichern würde. Mit einem Mangel an Aufmerksamkeit für die Newcomer korreliert das Wahlergebnis dabei nicht.

Annika Maretzki
Tanya Falenczyk