Eine Frage des Gefühls

Drei türkischstämmige Kandidaten wollen in den Bundestag – in verschiedenen Parteien. In ihrer Community kommen sie gut an: Sie gelten als ehrliche Vertreter der Interessen von Migranten

von CEM SEY

Es hörte sich an wie bei der Gründungspressekonferenz einer nationalen Front, als die drei türkischstämmigen Bundestagskandidaten Berlins kürzlich gemeinsam im türkischen Theater Tiyatrom in Kreuzberg auftraten: „Wenn wir in den Bundestag kommen, werden wir alle zusammenarbeiten, um die Interessen der türkischen Migranten gemeinsam zu vertreten.“

Die drei gehören unterschiedlichen Parteien an. Was Ahmet Iyidirli, Özcan Mutlu und Hakki Keskin miteinander verbindet, ist nur ihre Herkunft – und dass bei allen das Herz links schlägt. Doch dass kein konservativer Kandidat mit am Tisch sitzt, liegt nur daran, dass die Christdemokraten ihren Widerwillen, einen türkischstämmigen Migranten ins Rennen zu schicken, noch nicht überwinden konnten.

Deutsche Medien zeigten kaum Interesse an der Veranstaltung, obwohl dort etwas Neues entstand. „Ab jetzt müssen wir unsere Rechte selber erkämpfen. Den Deutschen kann man diese Aufgabe nicht mehr anvertrauen“, fasste ein junger Mann die Gefühle im Saal zusammen.

Zwar machte die Diskussion deutlich, dass die Kandidaten auch sehr unterschiedliche Positionen vertreten – vor allem, wenn es um die Themen geht, die auch ihre deutschen Nachbarn bewegen: Hartz IV, Arbeitslosigkeit, Ausbildungsplätze. Hitzig wurde die Debatte jedoch erst beim Thema Armenier. Vor allem der jüngste Kandidat, der Grüne Özcan Mutlu, wurde vom Publikum hart angegriffen: Er sei kein richtiger Türke mehr, lautet der klassische Vorwurf. Mutlu reagierte sofort – und er reagierte stark emotional.

Für seine Emotionalität ist er bekannt. Für viele ist gerade sie der Beweis, dass er doch ein echter Türke ist. „Er ist ein Kind Anatoliens“, sagen viele Türken in Kreuzberg, wo Mutlu zu Hause ist. „Er lässt sich schnell provozieren.“

Özcan Mutlu demonstriert diese Schwäche auch bei einer Wahlkampfaktion im Wedding. Er verteilt Infomaterial in türkischen Läden, als plötzlich ein Verkäufer laut wird: „Ihr Politiker seid alle gleich. Vor den Wahlen kommt ihr, aber wenn ihr gewählt seid, sieht man euch nicht mehr.“ Nur kurz versucht Mutlu zu argumentieren, dann verliert er die Nerven: „Du kannst auch keine Alternativen nennen“, schnauzt er den Mann an.

Sonst ist der grüne Politiker der professionellste der drei Kandidaten. Er weiß, welche Bilder die Medien lieben, er genießt das Interesse an seiner Person und tritt den türkischen Geschäftsleuten fast väterlich gegenüber, obwohl er erst 37 Jahre alt ist. Mutlu diskutiert selten mit den Wählern, er drückt ihnen nur das Infomaterial in die Hände und wünscht einen guten Tag. Das tut er am liebsten da, wo im Schaufenster Joschka-Plakate hängen, auf denen der Außenminister auf Türkisch für den EU-Beitritt der Türkei wirbt.

Ganz anders ist die Lage von Hakki Keskin. Er hat die aussichtslose Aufgabe, den Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg für die Linkspartei.PDS zu erobern. Auf dem Türkenmarkt in der Crellestraße fällt es manchmal schwer zu beurteilen, wer eigentlich hier der Kandidat ist: Keskin oder die Menschen, die er anspricht. Denn meistens erklären die ihm, wie die Welt funktioniert – und wünschen ihm dann beim Abschied noch viel Glück.

Dem Professor für Migrationspolitik aus Hamburg fällt es schwer, seine Zurückhaltung zu überwinden. Sein Thema ist der Doppelpass, den aber zumindest auf dem Markt gar keiner haben will: „Wir wollen Türken bleiben“, hört Keskin oft. Die Wähler erkennen in ihm zwar oft den Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Deutschlands, ordnen ihn aber politisch falsch ein. Eine ältere Frau strahlt ihn an: „Natürlich werde ich Sie wählen, Herr Professor. Ich werde wieder Schröder wählen!“ Keskin, SPD-Mitglied bis Juli diesen Jahres, versucht die Frau aufzuklären: Er sei doch jetzt aber Kandidat der Linkspartei! Ihre Antwort: „Ja eben, die SPD!“ verwirrt den Professor, bis er darauf kommt, dass die Türken sich unter dem Namen Linkspartei ganz einfach nichts vorstellen können.

Auch der SPD-Kandidat in Kreuzberg-Friedrichshain, Ahmet Iyidirli, hat noch nicht viel Erfahrung damit, Wähler auf der Straße anzusprechen. Er verteilt Flugblätter auf Kreuzbergs Straßen, in den Cafés. Alle kennen ihn: Sein Schnauzer ist sein Trumpf. Türken wie Deutschen fällt er auf. Mit seiner höflichen Art kommt Iyidirli bei allen, die er anspricht, gut an. Eine Münchnerin, die seit langem in Berlin lebt, freut sich ihn zu treffen: „Ich dachte, nur Ströbele geht zu den Wählern. Es freut mich, Sie zu sehen.“

Der Ökonom Iyidirli musste seinen Weg nach oben hart erkämpfen. In der SPD gab es viele reservierte Reaktionen, auch deshalb, weil er eben ein Migrant ist. Als er zum Kandidaten gekürt wurde, trat der gesamte Kreisvorstand daraufhin zurück. Die Türken in Kreuzberg aber freuen sich über ihn. Auch wenn er oft auf Hartz IV angesprochen wird, wird ihm das nicht persönlich angelastet. „Er kann vielleicht nicht viel ausrichten“, meinen vier Männer mit ganz ähnlichen Schnauzern vor einem Imbiss, „aber er kann unsere Gefühle im Bundestag ausdrücken. Das war noch nie der Fall.“