CONTRA
Nein, sagt Stefan Alberti
Jamaika nicht mit mir, nicht mit uns? Canan Bayram und die Kreuzberger Grünen können es sich nicht guten Gewissens leisten, eine Koalition mit der Union und der FDP zu torpedieren und für ein Nein zu werben, wenn die Grünen bundesweit darüber abstimmen. Guten Gewissens? Ja, es ist eine Gewissensfrage: Jamaika oder möglicherweise Neuwahlen mit einer dann noch stärkeren AfD. Warum stärker? Weil die Rechtspopulisten dann noch mehr damit werben können, die etablierten Parteien bekämen es nicht hin.
Es gibt das kleine Kreuzberg, den linksgrünen Wohlfühlkosmos, und es gibt das große Ganze. Da kann man natürlich sagen: Was östlich vom Kottbusser Damm und westlich der S-Bahn-Gleise ist, interessiert uns nicht, das ist quasi Ausland und da wollen wir ja sowieso keine Einsätze. Kann man theoretisch. Kann man aber nicht wirklich, wenn man auch nur ein bisschen den Anspruch erheben will, über den eigenen Tellerrand zu gucken. Schon 2013 hatten die Grünen die Chance, das Land vier Jahre lang mitzugestalten, hielten es aber allen Ernstes für besser, das allein CDU und SPD zu überlassen. Wenn denn Union und FDP so schlimm sind und die Sozis nicht viel besser, wo ist da die Logik, nicht selbst mitmachen zu wollen, und zwar besser?
Bayram hat in dieser Thematik bereits mit ihren Wählern argumentiert, denen sie verpflichtet sei. Das mag sie so sehen. Grundgesetzlich aber ist sie nur einer Sache verpflichtet: ihrem Gewissen. Und wenn sie und andere Grüne nicht auf diesem Gewissen haben wollen, dass Neuwahlen die AfD noch stärker machen, dann können sie sich einer Koalition schlicht nicht verweigern.
Wenn es eine Verpflichtung gegenüber den grünen Wählern gibt, dann doch, grünes Programm in Regierungshandeln umzuwandeln – ein Programm, das auch für erfolgreiche Wahlkreiskandidaten wie Bayram gilt. Und natürlich geht das nicht 1:1 – Koalition beginnt nicht umsonst genauso wie Kompromiss.
Völlig daneben wäre es auch, als linker Grüner auf eine Pro-Jamaika-Mehrheit in der Restpartei zu spekulieren und daraus abzuleiten, am alten FDP-Seehofer-Feindbild festhalten zu können. Es gibt so etwas wie den Kant’schen Imperativ, und der sagt sinngemäß: Verhalte und entscheide Dich so, als ob davon das Wohl aller abhängt, mach Dir keinen schlanken Fuß und denk nicht, die anderen würden’s schon richten.
Vor allem nicht die SPD. Die kann tatsächlich mit gewissem Recht sagen, dass sie nicht in der Pflicht zum Koalieren und Regieren ist, weil abgestraft und abgestürzt, statt gestärkt wie die Grünen aus der Wahl herauszugehen. Einspringen würde sie vermutlich dennoch, so erleichtert die Sozis am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus auch angesichts einer Trennung von der Union schienen. Nicht aus Machtgeilheit, sondern weil die SPD als lange staatstragende Partei im Zweifelsfall hat, worüber Bayram und die Kreuzberger hoffentlich auch verfügen: echtes Verantwortungsgefühl, und zwar fürs Ganze.