Merkeln mit Merkel

ARD-Auftritt Die freundliche Kindergärtnerin: Im Dialog mit WählerInnen gab sich die Kanzlerin souverän. Leider immer dabei: Horst Seehofers Obergrenze und besorgte ostdeutsche Bürger

Dem Thüringer frisst die Angst vor „Asylanten“ den Verstand auf

von Johanna Roth

BERLIN taz | Das Leben ist kein Ponyhof und der Wahlkampf leider kein Chemielabor. Die Physikerin Dr. Angela Merkel ist Expertin für so hochkomplexe Dinge wie „bimolekulare Elementarreaktionen“. Die Politikerin Angela Merkel leidet seit Ewigkeiten an einem simplen Naturgesetz: das Seehofer-Paradoxon oder auch „Schrödingers Horst“.

Es besagt Folgendes: Der CSU-Vorsitzende kann noch so weit weg sein – die Kanzlerin wird ihn nicht mal dann los, wenn sie als einzige Politikerin in einem Raum voller ganz normaler Leute steht.

So war’s gedacht am Montagabend in der „Wahlarena“ der ARD: 150 handverlesene Zuschauer aus allen politischen Spektren waren zugegen, um Merkel Fragen zu stellen. Die lächelt in ihrer aparten Mischung aus aufrichtiger Neugier und geduldiger Pflichtschuldigkeit, als der erste Fragesteller das Mikro greift: ein bayerischer Erstwähler mit Gelfrisur.

Der ist allerdings nicht so harmlos, wie Kanzlerin und Moderatoren vermutlich gehofft hatten. Er wolle ja gern für Merkel stimmen, aber in Bayern ginge das nun mal nicht, erklärt er einer zunehmend schmallippig lauschenden Kanzlerin. CSU wählen – unmöglich. Was also tun? Merkel quittiert das mit einem freundlichen Lob für das Interesse – immer eine gute Strategie, um Zeit zu gewinnen – und einem Verweis auf das gemeinsame Wahlprogramm.

Aber der junge Mann lässt nicht locker. Und grillt Merkel besser, als es sämtliche Moderatoren der bisherigen TV-Duel­le hinbekamen: Wie die Kanzlerin ihm denn versprechen wolle, dass die Obergrenze nicht doch käme? Merkel, jetzt auf der Hut: „Meine Haltung zur Obergrenze ist bekannt, also, dass ich sie nicht will.“ Der Erstwähler: „Das haben Sie damals bei der Maut auch gesagt.“

Das sitzt. Für die CDU-Spitzenkandidatin ist diese Erinnerung ein denkbar unsanfter Einstieg in die Fragerunde. Umso besser für die Zuschauer: Die erleben eine wache und reaktionsfreudige Kanzlerin, wie man sie sonst selten bekommt.

Dass die CSU Merkel im Wahlkampf aber nicht nur im unpassendsten Moment ins Date mit dem Wähler platzt, sondern tatsächlich einen Job bei ihr hat, den man in der Münchner Zentrale sehr ernst nimmt, zeigt sich wenig später, als ein besorgter Bürger wie aus dem Bilderbuch an die Reihe kommt: ein Thüringer aus Apolda, dessen Angst vor „Überfremdung“ durch „Asylanten“ ihm den Verstand aufzufressen scheint, sonst hätte er sich kaum zu dem Vergleich hinreißen lassen, Syrer flüchteten vor dem Wehrdienst aus ihrem Heimatland – „hätten unsere Großeltern das 1945 gemacht, dann würde es Deutschland gar nicht mehr geben“.

Anders als Teile des Publikums bleibt die Kanzlerin bemerkenswert ruhig und sachlich. Zeitgleich twittert die CSU: „Damit Deutschland Deutschland bleibt #integration“, dazu ein Video, für dessen Bildsprache eigentlich die AfD das Copyright hält: zum Beispiel ein Foto von einer Frau in Burka, rot durchgestrichen.

So funktioniert die unionsinterne Arbeitsteilung: Die CSU nutzt Merkel, weil sie jene Wähler anflirtet, die schon halb bei der AfD hängen und die die Kanzlerin mit vernünftigen Gesprächen wie in der „Wahlarena“ niemals mehr erreichen wird. Sie kann dafür in Ruhe vor sich hin merkeln und, einer freundlichen Kindergärtnerin gleich, auch die politische Mitte an die Hand nehmen.

Merkel ist in der Sendung noch einmal davongekommen. Und prompt so gelöst, als könne sie noch mal 75 Minuten dranhängen. Eine derart motivierte Kanzlerin zu toppen wird nicht leicht werden für Martin Schulz, der nächste Woche an der Reihe ist.