Schule, hurra?

Start Heute haben 31.880 Erstklässler ihren ersten Schultag – meist ein Grund zur Freude. Doch für Schulpolitiker und Lehrer bleiben die Herausforderungen groß. Und was sagen die Eltern? Über schwieriges Loslassen und Bauchschmerzen mit der Kiez-Schule

Am Anfang war die Zuckertüte Foto: Daniel Naupold/dpa/picture alliance

Text und Protokolle Anna Klöpper

Was treibt Grundschuleltern 2017 um? Vor allem der Kampf um die „richtige“ Schule ist härter geworden. Dort, wo die sozialen Milieus besonders krass aufeinanderstoßen, ist der Run auf die Grundschulen mit einem guten Ruf – beziehungsweise um die Schulen mit einem geringeren Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund – enorm. Die jahrelang gestiegenen Schülerzahlen, in diesem Jahr stagnieren sie bei den Erstklässlern erstmals leicht, bedeuten: Es bleibt kaum noch Luft für ein Wahlverhalten der Eltern.

Man kann es mit einer Schulplatzklage vor dem Verwaltungsgericht probieren, dort registrierte man in diesem Jahr mit 292 Klagen doppelt so viele Verfahren wie im vergangenen Schuljahr – oder sich im gewünschten Einschulungsbereich zum Schein wohnhaft melden. Falls man bei einer Stichprobe dem Schulamt auffällt, ist der Schulplatz allerdings wieder weg, wie erst vor einigen Wochen ein Urteil des Verwaltungsgerichts in einem Fall an der begehrten Kreuzberger Reinhardswald-Grundschule zeigte.

Schulpolitisch wird es 2017/18 insbesondere in der Grundschule um die Quereinsteiger gehen. Mehr als die Hälfte der 974 neu eingestellten Grundschullehrer in diesem Jahr haben diesen Beruf nicht studiert. Ob das ein Problem ist, wird sich künftig zeigen: Bei den letzten Ländervergleichsarbeiten der Achtklässler schafften 80 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund nicht die Mindestanforderungen in Mathe, mehr als ein Drittel blieb in Deutsch dar­unter. Der Grundstein dazu wird in der Grundschule gelegt. Und solange das so ist, wird sich auch am Wahlverhalten der bildungsorientierten Eltern nichts ändern.

Eine Mutter aus Kreuzberg: „Die behütete Zeit ist vorbei“

„Gerade hat unser Kleiner einen Brief bekommen. Jetzt fange der Ernst des Lebens an, schrieb die Oma aus Süddeutschland. Wobei sie hinzufügte, dieser Ernst möge hoffentlich sehr lustig werden. Trotzdem klang die Formulierung irgendwie bedrückend.

Ein bisschen stimmt es wohl: Die behütete Zeit in der kuscheligen Kita ist vorbei, jetzt wird etwas von ihm erwartet. Statt immer an die Hand genommen zu werden, muss sich der Kleine auch viel mehr selbst seinen Weg suchen. Wir Eltern rücken ein Stück weiter weg – auch für uns eine Umstellung.

Gleichzeitig ist da diese Vorfreude. Unser Sohn ist stolz, endlich groß genug zu sein für die Schule. Er will zeigen, was er schon alles kann. Er weiß genau, es passiert etwas Wichtiges. Genau so war die Formulierung der Oma wahrscheinlich gemeint.“

Ein Vater aus Wedding: „Das war uns zu krass“

„Wir haben uns die Statistiken auf den Webseiten der Schulen angeschaut und gesehen, dass fast alle Schulen bei uns im Kiez zu 90 Prozent Kinder haben, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Das war uns zu krass. In der Grundschule wäre unser Sohn in der absoluten Minderheit gewesen. Erzieher und Lehrer, die dort an den Schulen arbeiten, haben uns gesagt, dass die deutschen Kinder auf dem Schulhof gemobbt würden und im Unterricht eher zurückstehen müssten, bis das Sprach- und Lernniveau einigermaßen einheitlich ist.

Unser Sohn geht jetzt in Pankow zur Schule, die Schule ist in der Nähe. Kürzlich hatten wir die erste Elternversammlung. Unser Sohn hat eine Lehrerin, die macht das schon jahrelang. Die Diskussion über die vielen Quereinsteiger haben wir deshalb auch nur am Rande verfolgt. Wahrscheinlich macht man sich erst dann Gedanken, wenn es einen betrifft.“

Eine Mutter aus Wedding: „Da hinterfragt man Klischees“

„Wir wohnen in einem Teil von Wedding, wo es nicht so einfach ist: An den Schulen haben 80, 90 Prozent einen Migrationshintergrund. Ich habe mich schon gefragt: Wenn fast alle erst noch gut Deutsch lernen müssen, wie soll das gehen?

Dann habe ich mir in den letzten Jahren die Schulen genauer angeschaut. Und viele waren gut: Die Schulleitungen haben etwas vor mit ihrer Schule und die Kinder, die uns an den Tagen der offenen Tür herumgeführt haben, waren super kompetent. Klar, da hinterfragt man schon die gängigen Klischees im Kopf.

Unser Kind wächst auch zweisprachig auf, Englisch und Deutsch. Wir hatten uns deshalb eigentlich die Humboldt-Schule am Humannplatz in Prenzlauer Berg ausgesucht. Die Schüler lernen sehr selbstbestimmt, und man hat viel Erfahrung mit altersgemischtem Unterricht. Da würde man unseren Sohn in Englisch vielleicht besser fördern können.

Aber man sagte uns, die Schule habe doppelt so viele Bewerbungen wie Plätze gehabt. Von einer Klage hat uns unser Anwalt abgeraten, das sei aussichtslos.

Wir sind jetzt an einer Schule bei uns im Kiez. Es gibt hier eine Elterninitiative, die ihre Kinder geschlossen an dieser Schule angemeldet hat. Dass es hier also eine engagierte Elternschaft gibt, beruhigt mich. Gleichzeitig denke ich mir: schon erschreckend, dass man überhaupt plötzlich so auf die Herkunft der anderen Eltern schaut.“