Türkische Opposition uneins über Merkel und Schulz

TV-Duell-Nachklapp Forderung nach Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen sorgt für Diskussionen

ISTANBUL taz | Das Wahlduell zwischen Merkel und Schulz am Sonntag schlägt weiter Wellen in der Türkei. Dass sich sowohl die CDU-Kanzlerin als auch ihr SPD-Herausforderer für den Abbruch der EU-Beitrittverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen haben, hat bei den Oppositionsparteien CHP und HDP ein unterschiedliches Echo hervorgerufen.

Merkel und Schulz würden in die „Falle des verehrten Staatspräsidenten tappen“, sagte Öztürk Yılmaz, stellvertretender Generalsekretär für Außenbeziehungen der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP. Beide würden ihre persönlichen Differenzen mit Erdoğan auf die gesamte Türkei übertragen. Sie betrieben eine Politik, die sich zwar gegen den Staatspräsidenten richten soll, deren Konsequenzen aber die türkische Bevölkerung betreffen, kritisierte der ehemalige Diplomat.

Yılmaz merkte ferner an, dass die EU seit Beginn der Beitrittsverhandlungen Vorbehalte gegen den Beitritt der Türkei habe und den Zypernkonflikt oder die Armenierfrage als Ausreden benutzt habe. „Zum ersten Mal geht es jetzt aber um echte Gründe“, sagte Yılmaz. Die AKP-Regierung habe mit dem Referendum am 16. April die Demokratie in der Türkei abgeschafft und sich auf diese Weise von der Erfüllung der politischen Anforderungen des Kopenhagener Vertrags vollends entfernt. „Erdoğan hat der EU in die Hände gespielt.“

In der Türkei gebe es jedoch eine starke Opposition derer, die Nein zu dem Referendum gesagt haben. Unter einer Isolierung der Türkei würden die Opposition und ein Großteil der türkischen Bevölkerung leiden, warnte Yılmaz. Erdoğan werde dabei der ­Gewinner sein. Er werde die deutsche Position zu seinen Zwecken innenpolitisch einsetzen und sich und die Türkei als Opfer der EU-Politik darstellen. Nicht vergessen werden dürfe, dass die AKP ohnehin keinen Beitritt zur EU mehr anstrebe.

Auch glaubt Yılmaz, dass wirtschaftliche Sanktionen Wasser auf die Mühlen von Erdoğan sein könnten. „Embargos stärken autokratische Regime, leidtragend ist stets die Bevölkerung“, so Yilmaz. Außerdem schätzt der CHP-Abgeordnete, dass deutsche Unternehmen nicht den türkischen Markt verlassen wollen und diesbezüglich ihre eigene Regierung unter Druck setzen werden.

Die prokurdische HDP, deren Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sich neben zehn weiteren ihrer Abgeordneten in Haft befinden, ist anderer Meinung als die CHP. Hişyar Özsoy, Mitglied in der Parlamentskommission für Außenbeziehungen, betont, dass die HDP unbedingt und mit Nachdruck für einen EU-Beitritt der Türkei ist. Trotzdem hätte die EU viel früher mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen oder über wirtschaftliche Sanktionen nachdenken müssen: „Die EU hat mit ihrer steten Beschwichtigungspolitik in den vergangenen drei bis vier Jahren dazu beigetragen, dass sich die Türkei zu einem nahezu diktatorischen Regime entwickelt hat.“ Banu Güven