Überfrachtet am Nil

KINO „In den letzten Tagen der Stadt“ dokumentiert Kairo vor dem Sturz Mubaraks

Ein Blick aus dem Fenster auf eine der Nilbrücken Kairos. Dezember 2009. 14 Monate vor dem Sturz Husni Mubaraks, 25 Monate bevor die Muslimbrüder mit Mohammed Mursi den ägyptischen Präsidenten stellten, 54 Monate bevor sich das ägyptische Militär mit Abdel Fattah al-Sisi an die Macht zurückputschte.

Es wird viel aus dem Fenster geblickt in „Die letzten Tage der Stadt“, dem Langfilmdebüt von Tamer El Said. Als könnte der Blick in die Welt Auskunft geben über das eigene Befinden. Im Zentrum von El Saids Film steht Regisseur Khalid, der einen Film über Kairo dreht und dazu Geschichten von Bewohnern sammelt. Khalid driftet durch Kairo auf der Suche nach Bildern, einer neuen Wohnung.

Die Arbeit an dem Film im Film überlagert sich mit Trennungsprozessen im Leben des Regisseurs: von Freunden, von seiner Freundin, von seiner kranken Mutter. Während Khalid versucht, ein Bild von Kairo zu gewinnen, zerrinnt es ihm immer wieder: Das Bild der Freunde im Ausland lässt sich nicht mehr mit dem in Deckung bringen, was Khalid bei der Arbeit am Schneidetisch sieht; die Sehnsucht einer der Frauen, die Khalid interviewt, für ein verlorenes Haus in Alexandria ähnelt der Sehnsucht nach jenem Kairo, das Khalid entgleitet.

Die Schauspieler in El Saids Film schieben sich monadisch durch die Großstadt, beobachten das Geschehen wie zu Beginn durch Fensterscheiben, mit weit aufgerissenen Augen und wirken zugleich in sich gekehrt. Die Bilder des Films schwanken zwischen Aufnahmen mit den Schauspielern, bei denen die Kamera seltsam dazugequetscht wirkt, und Aufnahmen der Stadt, bei denen sich der Blick weitet. Die nächtlichen Straßen, das Ufer des Nils wirken gleichermaßen ewig und seltsam illustrativ erstarrt.

Die Idee zu „Die letzten Tage der Stadt“ entstand 2006 aus dem Wunsch, das Ende der Ära Mubarak in einem Film einzufangen. Es folgten fast zehn Jahre Produktionszeit mit einer Vielzahl internationaler Geldgeber, um aus den Aufnahmen einen Film zu machen. „Die letzten Tage der Stadt“ wirkt als Film etwas gewollt: das Wissen, einen historischen Moment einzufangen, überlädt den Film merklich. Radiokommentare verorten jeden kleinen Moment des Handelns in einer globalen Landschaft der Politik.

Diese Überfrachtung schwächt die zarten Momente der Interaktion zwischen den isolierten Figuren des Films und gibt den Totalen von Kairo einen Dreh ins Kitschige. Die von Sehnsucht und Melancholie geprägte Stimmung im Film ähnelt jener in Ahmad Abdallas „Décor“ von 2014. Mit „Décor“ gelang es Abdalla, die politische Lage Ägyptens in einem poetisch-politischen Film zu fassen. Während Abdalla mit „Décor“ einen der wichtigsten Filmen des Jahrzehnts gedreht hat, ist „Die letzten Tage der Stadt“ an der Verarbeitung des Filmmaterials in einen fertigen Film an den eigenen Ansprüchen gescheitert. Die Anpassung an die Erwartungen der zahlreichen Geldgeber dürfte nicht unerheblich dazu beigetragen haben. „Die letzten Tage der Stadt“ zu sehen lohnt sich dennoch: Die Dokumentation des Lebens in Ägypten während der letzten Jahre Mubaraks lehrt einen als Zuschauer einiges über die Gegenwart unter Mubaraks Wiedergänger al-Sisi.

Fabian Tietke

„Akher ayam el madina“ („Die letzten Tage der Stadt“). Regie: Tamer El Said. Ägypten, Deutschland, Großbritannien, Vereinigte Arabische Emirate u. a. 2016, 118 Min. Termine in Anwesenheit des Regisseurs: 7. 9. Wolf Kino, Neukölln; 8. 9. Klick Kino, Charlottenburg