„Die Politik ist natürlich nicht verpflichtet, jeder Forderung aus der Bevölkerung nachzugehen“

Das bleibt von der Woche Der RBB will mit einer Programmreform mutiger sein, die Radbahn Berlin sammelt Geld, die Bundeskanzlerin mischt sich in die Flughafendebatte um Tegel ein, und die Arbeitsagentur verkündet, dass immerhin jeder sechste Geflüchtete einen Job hat

Oft lässt man sie schlicht nicht

ARBEIT UND INTEGRATION

Eine Menge Hürden stehen auf dem Weg zur Integration, vom Staat aufgestellt

Endlich mal wieder eine gute Nachricht: Jeder sechste Geflüchtete in Berlin zwischen 15 und 65 hat einen Job. 40.000 Geflüchtete in dieser Altersspanne sind der regionalen Arbeitsagentur gemeldet – rund 7.000 davon arbeiten, die meisten sozialversicherungspflichtig. Das verkündete am Donnerstag der Chef der Behörde – und ergänzte mit Stolz, das sei „überdurchschnittlich“ im Bundesvergleich.

Nun mag so mancheR sagen: Pfff, so viel ist das nun auch nicht. Denn das heißt ja umgekehrt, die allermeisten haben eben keine Arbeit.

Natürlich kann man auch dieses Glas so oder so betrachten: halb leer oder halb voll? Es stimmt, viele Geflüchtete werden auf absehbare Zeit nicht arbeiten gehen – nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können. Viele haben keine oder eine schlechte Ausbildung, lernen nur langsam Deutsch – kurz: sind für den hiesigen Arbeitsmarkt aktuell kaum zu gebrauchen. Es wird noch ein hartes Stück Arbeit werden, sie in die Arbeitsgesellschaft zu „integrieren“.

Dies gilt umso mehr, als eine Menge Hürden auf diesem Weg stehen, die die von der Mehrheitsgesellschaft angeblich dringend gewünschte Integration der Neuankömmlinge erschweren oder gar verunmöglichen. Und diese Hürden stellt großteils der Staat selbst auf.

So passiert es immer wieder, dass Flüchtlinge von der einen staatlichen Stelle gefördert werden, damit sie Arbeit finden, etwa über das viel gelobte Projekt Arrivo, dann aber von der anderen Stelle (Ausländerbehörde) keine Arbeitserlaubnis oder gar gleich die Aufforderung zur Ausreise bekommen. Oder sie rennen monatelang von Pontius zu Pilatus, um ihre gelernten Berufe anerkennen zu lassen. Oder sie laufen sich die Hacken ab, um eine Wohnung zu finden – und wenn sie eine in Aussicht haben, braucht das Flüchtlingsamt so lange, um die Kostenübernahme zu bestätigen, dass die Wohnung wieder weg ist.

In diese Reihe passt auch die neue Ankündigung von Bundesinnenminister de Mazière, den Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz, also vor allem von Syrern, auch in Zukunft verbieten zu wollen. Wer Flüchtlinge kennt, die teils seit zwei Jahren in der Stadt und von ihren Liebsten getrennt sind, weiß, was das bedeutet. Die Menschen fiebern dem Tag entgegen, an dem sie ihre Familien in Sicherheit wissen – um endlich ein neues Leben beginnen zu können, mit Wohnung, Arbeit, Schule und allem. Wenn man sie nur ließe.

Susanne Memarnia

Ein nettes Vorwort ist arg wenig

Initiative Radbahn Berlin

Man müsste sich doch die Finger lecken nach so einem ausgearbeiteten Plan

In einer Crowdfunding-Kampagne, die am Montag endete, hat „Radbahn Berlin“ rund 31.000 Euro gesammelt. Radbahn, das sind diejenigen Menschen, die ein Konzept für einen Radweg unterhalb der U1-Trasse vorgeschlagen und ihn auch konzipiert haben. Vom Bahnhof Zoo bis zur Warschauer Straße soll er gehen, 9 Kilometer lang sein und größtenteils überdacht und geschützt vor dem übrigen Verkehr zwischen den Stahlträgern hindurchführen – freie Fahrradfahrt quer durch die Stadt also. Mit dem Konzept gewann Radbahn den Bundespreis für Ecodesign.

In den Reihen der Verkehrspolitik und -verwaltung müsste man sich doch eigentlich die Finger lecken nach einem ausgearbeiteten Plan, der sogar frei Haus geliefert wird. Könnte man meinen. Dass nun eine Crowdfunding-Kampagne nötig war, um die Ergebnisse in einer 140-Seiten-Studie zu drucken und dem Projekt damit mehr Gehör zu verschaffen, lässt jedoch daran zweifeln.

Die Politik ist natürlich nicht verpflichtet, jeder Forderung aus der Bevölkerung nachzugehen. Und komplett dichtgemacht hat die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz ja auch nicht. Sie begrüßte das Engagement, sponserte ein bisschen Geld für die Publikation der Studie. Und ein nettes Vorwort von Jens-Holger Kirchner, dem Staatssekretär für Verkehr, gibt es auch.

Umso verwunderlicher ist es – nicht nur für die Menschen hinter Radbahn, sondern für alle, die sich eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in Berlin wünschen –, dass der Vorschlag nicht engagierter in die Planung aufgenommen wurde.

Politisch legitimiert wäre die Prüfung der Idee gewesen: durch den Volksentscheid Fahrrad, durch die viel besprochene Verkehrswende.

Für die Initiatoren sind nicht Lippenbekenntnisse hilfreich, hilfreich wäre, wenn jemand den Vorschlag ernsthaft auf Machbarkeit prüfen würde – dabei könnte man auf das Knowhow von Radbahn zurückgreifen. Dann wäre die Arbeit nicht umsonst gewesen, und es wäre ein Signal an andere Initiativen: Seht her, wir hören euch, nehmen euch ernst.

Dass Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, auf die Kritik von Radbahn mit einem Verweis auf komplexe Verwaltungsstrukturen zwischen Verkehrslenkung, Bezirken und Senatsverwaltung verweist, wird der Arbeit, die in dem Projekt steckt, jedenfalls in keinster Weise gerecht.

Fabian Franke

Tegel und BER beflügeln den Wahlkampf

FlughafenDebatte

Es könnte beim Volksentscheid doch spannender werden als gedacht

Gäbe es die fertigen und unfertigen Berliner Flughäfen nicht, wäre der Wahlkampf wohl niemals in Schwung gekommen. Dank BER und Tegel erhielt die politische Debatte diese Woche aber ordentlich Auftrieb.

Am Montag stellte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup einen Masterplan zum Ausbau des BER vor. 2035 sollen dort 55 Millionen Passagiere abgefertigt werden können. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) erklärte am Mittwoch, für welche tollen Sachen man das Tegel-Gelände nutzen könnte – als Technikstandort und für 5.000 Wohnungen. Und dann gab es auch noch einen neuen Terminplan für den BER – der demnach frühestens 2019 eröffnet. Wenn alles klappt.

Vor allem aber mischte sich Kanzlerin Angela Merkel herself in die Flughafendebatte ein – erst im „ZDF-Sommerinterview“, dann in der Bundespressekonferenz. „Dass Tegel geschlossen werden muss, das ist die Rechtslage“, sagte sie.

Die Berliner CDU bringt die Parteivorsitzende mit ihren knappen Statements heftig in Bedrängnis. Bis vor Kurzem, als sie noch mitregierten, hatten die Berliner Christdemokraten ja selbst behauptet, Voraussetzung für die Genehmigung des BER sei die Schließung Tegels. Erst in diesem Jahr schwenkte die hiesige CDU-Führung um: Man könnte die Dinge auch ändern, die rechtlichen Risiken seien überschaubar.

Wenn die Kanzlerin nun selbst an der Schließung festhält, verstärkt das den Eindruck, die Berliner CDU habe ihr Fähnchen wider besseres Wissen nach dem Wind gehängt – weil sie viele TXL-Fans in den eigenen Reihen hat, weil sie der FDP den Triumph nicht allein gönnt. Und weil ein erfolgreicher Volksentscheid für die Offenhaltung Tegels dem rot-rot-grünen Senat tatsächlich ziemlichen Ärger machen würde.

Für den Senat und alle anderen Tegel-Gegner sind Merkels Äußerungen unverhoffter Rückenwind. Die erneute Verschiebung der BER-Eröffnung bläst ihnen wiederum frontal ins Gesicht, gibt sie doch all jenen Recht, die sagen, Berlin brauche den innerstädtischen Flughafen noch.

So beflügelt das Flughafenthema den Wahlkampf. In einer im Mai veröffentlichten Umfrage sprachen sich 59 Prozent für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel aus. Ende August sank der Anteil auf 55 Prozent. Auch wenn den TXL-Freunden noch nicht der Wind aus den Segeln genommen ist: Es könnte beim Volksentscheid doch spannender werden als gedacht. Antje Lang-Lendorff

Selbstironisch zum Einschalten

Programmreform RBB

„Bloß nicht ­langweilen“ – dieses neue Motto ist fast schon genial

Der RBB will, dass sich seine ZuschauerInnen in Zukunft „Bloß nicht langweilen“. Dass die Berlin-Brandenburgische ARD-Anstalt ihrer Programmreform dieses Motto anheftet, ist fast schon genial. Zwar ist das in etwa so, als würde Edeka mit „Hauptsache, nicht verhungern“ werben oder Car2Go mit „Immerhin besser als zu Fuß“ – aber schließlich spielt der Slogan auf das trutschige Image des RBB an.

Dem versucht Intendantin Patricia Schlesinger mit ihrer Programmreform zu entkommen. „Mutiger, kantiger, auffälliger, relevanter“ wolle sie den Sender, sagte sie diese Woche bei einem Pressetermin.

Bisher ist der RBB der quotenschwächste ARD-Sender: Von den Menschen, die in seinem Sendegebiet fernsehen, schalten verhältnismäßig wenige ein. Das soll zum einen am Mangel an Identifikation liegen (was nicht so leicht zu ändern ist), zum anderen daran, dass es zu wenige frische Eigenproduktionen gibt (was sich jetzt ändern soll). Im Mai startete so „Super.Markt“, ein neues Verbrauchermagazin, und „Täter-Opfer-Polizei“ bekam ein neues fancy Studio. Als Nächstes startet am Donnerstag um 20.15 Uhr die „Abendshow“, eine Satiresendung, direkt aus dem BER, in der „sogar über Spandau“ berichtet werde. Bei so viel Selbstironie sollte es zumindest die Identifikation der BerlinerInnen stärken – Ironie können die ja ganz gut.

Am Montag startet außerdem ein neues Geschichtsmagazin. In der ersten Folge geht es um Pracht, in der zweiten um Herkunft: „Waschechte Berliner und Brandenburger haben oft schwäbische, sächsische oder schlesische Vorfahren.“ Ach ja? Da sollte jemand noch mal genauer nachschauen – so in Sachen Identifikation mit dem Sender. Aber bestimmt ist eine Folge über die schwäbischen, türkischen, französischen und vietnamesischen Vorfahren der nicht so ganz „waschechten“ Berlin-Brandenburger schon geplant. Peter Weissenburger