Flucht nach Europa: Die Geschichte von Paul und Jakob

In dem Film „Als Paul über das Meer kam“ erzählt der Dokumentarfilmer Jakob Preuss die Fluchtgeschichte des Kameruners Paul Nkamani.

Inzwischen so was wie Verwandte: Paul Nkamani (links) und Jakob Preuss Foto: David Oliveira

taz: Herr Nkamani, bei welcher Etappe Ihrer Reise hatten Sie am meisten Angst?

Paul Nkamani: Während der langen Stunden bei der Fahrt über das Mittelmeer, ohne Essen und Trinken.

Können Sie schwimmen?

Nkamani: Ja, aber nicht so gut.

"Als Paul über das Meer kam" startet am 31. August in folgenden Berliner Kinos: Moviemento/Kreuzberg, Central/Mitte, Union Filmtheater/Friedrichshagen und Tilsiter Lichtspiele/Friedrichshain.

Am Samstag, 2. September, gibt es im Central (19 Uhr) und im Moviemento (21 Uhr) Filmvorführungen in Anwesenheit von Jakob Preuss und Paul Nkamani, also die Möglichkeit, Fragen an die beiden zu stellen.

Filmtrailer: youtube.com/watch?v=2plCxB1_3rg

Filmlänge: 97 Minuten

Jakob Preuss: Wir haben ihm zu Weihnachten einen Schwimmkurs geschenkt, nachdem wir im Sommer gemeinsam am See waren.

Nkamani: Und nun gehe ich ab und zu schwimmen, aber dieses Jahr gab es ja keinen Sommer dafür ..

Wann hat Ihre Flucht eigentlich begonnen?

Paul Nkamani

„Ich wollte Diplomat werden. Das wird wohl nichts mehr“

Nkamani: Es ist fünf Jahre her, dass ich meine Familie verlassen habe.

Was war Ihr Ziel?

Nkamani: Ich wollte leben. Ich wollte nach Europa, ob Deutschland oder ein anderes Land, das hatte ich gar nicht geplant. Wobei ich eine Idee von Deutschland hatte, da Kamerun ja einmal eine deutsche Kolonie war. Deshalb hatte ich auch ein bisschen Deutsch in der Schule gelernt. Aber ich wollte vor allem dahin, wo ich Arbeit bekommen kann.

Sie hatten in Kamerun Politik und Jura studiert und waren nach politischen Protesten von der Uni geflogen.

Nkamani: Ja. Eigentlich wollte ich Diplomat werden. Aber das wird nun wohl nichts mehr.

Haben Sie, als Sie sich auf den Weg nach Europa gemacht haben, gedacht, dass der so lange dauern würde?

Nkamani: Nein. Ich dachte, das dauert ein paar Monate oder vielleicht sogar nur ein paar Wochen. Jetzt ist er aber immer noch nicht zu Ende.

Jakob Preuss begleitet Sie auf Ihrem Weg über lange Zeit und auf jeder Station. Ob im Zeltcamp der Flüchtlinge im Wald in Marokko oder in Flüchtlingsunterkünften in Spanien, man hat das Gefühl, Sie kommen irgendwie klar mit all den Herausforderungen.

Nkamani: Ich habe viel gelitten auf meinem Weg. Bevor ich Jakob getroffen habe, habe ich zwei Jahre lang in Algerien als Bauhelfer gearbeitet, weil ich das Geld für die Weiterreise über das Mittelmeer nach Europa verdienen musste. Das war eine sehr schwierige Zeit.

Wie sind Sie beiden sich eigentlich begegnet?

Preuss: Ich hatte eigentlich schon einen anderen Protagonisten für meinen Film gewonnen, einen Mann aus Guinea. Ich hatte aber keine Drehgenehmigung von der Regierung von Marokko bekommen. Als ich entschieden hatte, ohne die Genehmigung anzufangen, war der schon über den Zaun gesprungen. Daraufhin bin ich in das kamerunische Camp im Wald in Marokko gegangen, an der Grenze zu der spanischen Enklave Melilla, wo die Geflüchteten leben, die über das Meer wollen. Da habe ich Paul kennengelernt. Da wir ohne Drehgenehmigung nur mit Funkmikrofonen drehten, um unauffälliger zu sein, mussten wir uns entscheiden, wer gut zu hören sein sollte und wem wir die Mikrofone anstecken. Da Paul angeboten hatte zu helfen und sehr interessiert war an den Fragen, die der Film stellt, fiel die Wahl auf ihn. Ich kann bis heute nicht genau sagen, ob ich ihn ausgesucht habe oder er mich. Wir hatten aber auch einige Tage mit anderen Protagonisten gedreht, da ich nicht ahnen konnte, dass Paul während der Dreharbeiten tatsächlich über das Meer kommt. Das Material ist dann nicht im Film gelandet.

Herr Nkamani, warum haben Sie zugestimmt, bei dem Film mitzumachen?

Nkamani: Am Anfang hatte ich Angst, weil ich nicht wusste, mit welchem Ziel Jakob diesen Film dreht. Vielleicht sollte das ja ein Abschreckungsfilm werden, damit die Leute nicht nach Europa kommen? Dann habe ich ihn kennengelernt und verstanden, dass er zeigen will, wie wir leben, damit die Leute uns verstehen. Ich war damals schon drei Jahre in Nordafrika. Ich habe gedacht, vielleicht bekommen wir Hilfe durch den Film.

Preuss: Das wusste ich zum Beispiel anfangs gar nicht, wie lange Paul schon in Nordafrika ist und dass vielleicht seine Überfahrt nach Europa kurz bevorsteht. Dass wir die dann mitgekriegt haben, hat den Film ja auch noch mal sehr verändert.

Warum überhaupt ein Film zu diesem Thema?

Preuss: Ich wollte eigentlich einen Episodenfilm über Europas Außengrenzen machen, auch angeregt von meiner eigenen Geschichte – ich bin in Westberlin geboren, war 14, als die Mauer fiel, habe dann in Frankreich und Polen studiert, eine Zeit lang in Spanien gelebt – also Grenzen verschwinden sehen. Deshalb wollte ich herausfinden, ob die europäischen Grenzen auch meine Grenzen sind. Ich habe dann anfangs – das war schon 2012 – viel in Griechenland, der Türkei, Polen und der Ukraine recherchiert und gefilmt, ich war bei Frontex in Warschau und hatte da eigentlich schon ziemlich viel Material, aber keine einzelne Geschichte, die mich so fasziniert hat. Dann war Melilla eine weitere Station, für mich wegen meiner Sprachkenntnisse vielleicht auch noch besser, und ich begann mit einer Geschichte über die Geflüchteten im Wald und der Grenzpolizei als Antagonistin. Als Paul dann tatsächlich über das Meer kam, nahm die Geschichte dann noch einmal eine ganz andere Wendung und wurde zu Pauls und meiner Geschichte.

Da ist ja eine enge Verbindung entstanden, nicht nur durch den Film. Herr Nkamani wohnt bei Ihren Eltern, Herr Preuss: Würden Sie sagen, dass Sie Freunde sind?

Preuss: Das ist eine schwierige Frage, die ich mir oft stelle. Ich habe das Gefühl, Paul ist eher so etwas wie ein Verwandter. Jemanden, den man sich nicht ausgesucht hat, weil man die gleichen Filme guckt oder in die gleichen Clubs geht. Dem man sich aber trotzdem sehr stark verbunden fühlt. Paul ist ja auch sehr anders, sehr gläubig und sehr konservativ in vielen Sachen. Es gibt vieles, wo wir uns nicht einig sind.

Nkamani: (lacht) Bei uns ist es üblich, nur das Gute in den Menschen zu sehen. Ich habe nur gute Erinnerungen. Jakob ist eine sympathische Person, sehr hilfsbereit und sehr neugierig. Und er redet viel, das hat mich auch geöffnet. Wie er gesagt hat, wir sind wie Verwandte. Er hat mir sehr geholfen. Aber hätte er mir nicht geholfen, hätte es jemand anders gemacht, da bin ich mir sicher.

Sie arbeiten jetzt als Altenpfleger?

Nkamani: Als Pflegehelfer. Vorher habe ich als Bundesfreiwilliger in einem Seniorenheim gearbeitet und parallel dazu einen Pflegebasiskurs absolviert. Danach habe ich sofort diese Stelle als Pflegehelfer bekommen. Ich lebe von dem Geld, das ich selbst verdiene, ich bekomme kein Geld mehr vom Sozialamt.

Ihre Flucht ist trotzdem noch nicht zu Ende: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt und Sie haben eine Aufforderung zur Ausreise bekommen.

Nkamani: Ja. Ich weiß nicht, wie es mit mir weitergeht. Ich lebe immer noch mit Angst.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.