Bergidyll auf Elba: Zwischen Minen und Meer

Einst war der Monte Calamita für Erzabbau berühmt. Die Zechen prägten die Region. Jetzt ruft der Berg Urlauber, die auf Elba nicht nur Strand suchen.

Eine Erzmine

Harte Vergangenheit: Der Erzabbau hat die Region geprägt Foto: Bertrand Rieger

ELBA taz | Wenn auf dem Monte Calamita die Sonne untergeht, beginnt das Eisenerz zu funkeln. Die schwarzroten Steine liegen überall auf dem Boden, dazwischen wächst duftendes Helichrysum, auch Currykraut genannt. Über allem ragt das Skelett eines verrosteten Förderturms. Im Hintergrund breiten sich vom Erzabbau zerfurchte Hügel aus. Unter ihnen liegen versteckte Buchten mit Kiesstrand. Davor das blaue Meer und mittendrin die kleine Insel Monte Christo.

Das Bergidyll zwischen Minen und Meer ist bizarr. In den Bergwerken von Capoliveri wurde einst wertvolles Magnetit und Hämatit abgebaut. Der Magnetstein hat dem Berg im östlichen Teil der Insel seinen Namen gegeben, denn Calamita heisst auf italienisch Magnet. Der Blutstein sorgt auch heute noch dafür, dass alles, was hier wächst, immer ein wenig nach Eisen schmeckt – auch der Wein und die Kräuter.

Die Zechen auf der Insel Elba gehörten zu den wichtigsten Erzbergwerken Europas. Seit 1981 sind sie stillgelegt. In der enormen Kaverne der Mine Calamita wird heute „La Traviata“ gesungen. Für das jährlich stattfindende „Magnetic Festival“ bietet der Krater eine Naturbühne der besonderen Art – vor allem an Abenden, an denen der Förderturm in blutrotem Licht erstrahlt.

Der Tourismus hat dem Erzberg ein zweites Leben eingehaucht und mit ihm auch den Zechen, die jetzt – wie schon länger im Ruhrgebiet – besucht und erforscht werden. Einzigartig ist allerdings die leichte Meeresbrise in der Luft und der Blick auf das glitzernde Wasser, wenn man auf der Hüttenhalde steht.

Die Geschichte der Deutschen ist mit dem Erzberg verknüpft

„Die Geschichte der Insel beginnt mit den Eisenminen“, erklärt Caterina Signorini. Sie ist Reiseführerin und erforscht seit Jahren die Geschichte des Erzbergs. Dieser wurde schon vor 2.500 Jahren von den Etruskern angegraben, die dann das Festland mit Eisen, sprich Waffen, versorgten. Auch die Römer bauten das wertvolle Erz ab und gaben der Insel den Namen Ilva, nach dem sich bis heute einer der größten italienischen Stahlkonzerne nennt.

Auch die Geschichte der Deutschen, die seit Jahrzehnten die zahlreichsten und treuesten Touristen auf der Insel sind, ist mit dem Erzberg verknüpft. Die ersten Reisenden, die im 19. Jahrhundert nach Elba kamen, hatten keine Badehose, sondern technische Pläne in der Tasche. 1903 beschrieb ein gewisser J. Nebelung in der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure die Hochofenanlage auf der Insel Elba, die er besichtigt habe. Die Pläne stammten von einem Ingenieur aus Osnabrück.

Für Mineralien-Fans ist der Berg auch heute noch ein Paradies

Nach den Ingenieuren kamen deutsche Monteure mit Einzelteilen für Bagger und Pressluftbohrmaschinen. Aus Troisdorf brachten sie das Dynamit zur Sprengung der Stollen. „Viele Deutsche kehrten mit ihren Familien zurück, um Ferien zu machen, und kamen dann immer wieder“, sagt Caterina und erklärt so die langandauerende und überaus glückliche Liason zwischen deutschen Urlaubern und der Insel.

„Tagelang das Dunkel der Grube“

Ein passendes Bild der Lage auf der Ferieninsel zeichnete der Zeit-Journalist Thomas von Randow bereits 1974. „Im Sommer wird, das lässt sich nicht verschweigen, hier mehr Deutsch als Italienisch gesprochen. Aber so romantisch ist das Bild des Weinstädtchens, dass die Touristen darin wie bunte Flecken wirken, die zwar dort nicht hingehören, aber auch nicht sonderlich stören“, schrieb er über das mittelalterliche Örtchen Capoliveri.

Capoliveri ist das Zentrum des Erzbergs. In den 70ern lebten hier noch viele Minenarbeiter. Von dort fuhr damals ein Bus in die acht Kilometer entfernte Miniera di Ginevro, wo unter Tage abgebaut wurde. „Wir standen im Morgengrauen auf und sahen tagelang eigentlich nichts außer dem Dunkel der Grube“, erzählt Filippo Boreali. Er ist einer der wenigen noch lebenden Zechenarbeiter auf Elba.

Hin und wieder begleitet Boreali Schulklassen oder andere Gruppen in den dunklen Schlund der Mine, wo hauptsächlich Magnetstein abgebaut wurde. Bis zu ihrer Schließung war sie die modernste Mine Italiens. Der Tunnel führt bis 54 Meter Tiefe unter dem Meeresspiegel. Die erste Etappe ist der Aufenthaltsraum der Kumpel. Auf dem Tisch stehen Blechschüsseln und Flaschen. Selbst zum Essen blieben die Zechenarbeiter unter Tage.

Das Licht draußen hätte sie nur geblendet. Viele von ihnen waren blind und auch taub vom dauernden Geplätscher des Wassers, das gegen den Staub durch die Mine geleitet wurde. Hinter dem Aufenthaltsraum öffnet sich der Tunnel, der in die Tiefe führt und im Rahmen der Führungen besichtigt werden kann.

Anarchistische Tradition

Die Minen-Führungen beginnen in einem kleinen Museum, das früher das Werkhaus des Erzabbaus gewesen war. Es liegt sechs Kilometer von Capoliveri entfernt und kann im Auto oder auch mit dem Mountainbike erreicht werden. Hier wurden die Gesteinsproben analysiert und auf ihre Qualität geprüft. Filmdokumente und handgeschriebene Unfallregister zeugen vom harten Leben der Kumpel. Sie haben den herrlichen Blick von Aussichtspunkt des Museums über die Küste und das unendliche Meer wohl kaum genossen.

Den Zechenarbeitern ist das Festa dei Cavatori gewidmet, das jedes Jahr im Juni in Capoliveri stattfindet. Frühsommer und Herbst sind die idealen Zeiten, um die Welt des Magnetbergs kennenzulernen. Wer Glück hat, trifft auf dem Fest Filippo Boreali oder einen der anderen wenigen Zechenkumpels, die noch auf der Insel leben. Sie erzählen, wie es damals war in der dunklen Grube.

Zwischendrin spielt aber auch die Musik. Auf dem Programm stehen Gruppen mit Namen wie „Die Rebellen“. Immerhin gibt es auf der Insel Elba eine lange anarchistische Tradition. Giovanni Passannante, einer der berühmtesten Anarchisten Italiens, darbte jahrelang in einer feuchten Zelle in einem Turm in Portoferraio.

Vier Personen auf einem Moped

Leichtere Gegenwart: Viele Familien genießen heute die eindrucksvoll zerfurchten Hügel Foto: Raffaele Celentano

Sogar hinter den gemeinsamen Essen der Minenarbeiter argwöhnten die Zechenbesitzer anarchistische Konspirationen und ließen sie kurzerhand verbieten. Wie zum Beispiel das traditionelle Krakenkochen, bei dem alle um den Topf herumstehen und schließlich den gegarten Tintenfisch gemeinschaftlich zerteilen und mit einem Glas Rotwein hinunterspülen. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sich die Kumpels an Feiertagen trafen.

Der Tourismus bringt Fischküche

„Trotz oder vielleicht sogar wegen des Verbots hat sich das Ritual gehalten und ist immer noch fester Bestandteil unserer Inselküche“, erklärt Michele Nardi, Chef des Restaurants Bitta 20 in Portoferraio. Nardi kocht bis heute die Gerichte der Minenarbeiter – manchmal für den modernen Geschmack verfeinert, manchmal aber auch ganz traditionell. Typisch sind Eintöpfe wie Stockfisch mit Kartoffeln und Tomaten oder Brotsuppe mit Ei, Zwiebeln, Saubohnen, Zucchini, Stangensellerie und was sonst noch so wächst auf der Insel.

Die Inselküche ist, bis auf den allgegenwärtigen Tintenfisch, eigentlich keine Fischküche. Die kam erst mit dem Tourismus auf. Auch Nardi bietet in seinem Restaurant vor allem Fisch, denn Brotsuppe ist meist nicht die erste Wahl der Feriengäste. Früher ernährten sich die Insulaner vor allem von Ziegen, Schafen, Wildschweinen, Gemüse, Getreide und den duftenden Kräutern der Insel. Diese sind auch die Lieblingszutat von Chefkoch Nardi. Er schätzt vor allem das Currykraut vom Magnetberg. „Es passt wunderbar zu Reis und Risotto“, verrät er.

Auf dem Monte Calamita gedeihen aber nicht nur Kräuter, sondern auch ein besonderer Wein. Im Weingut Tenuta delle Ripalte werden unter anderem der rote Aglianico und ein Roséwein gewinzert, beides typische Inselweine. Zum Weingut gehört auch ein Ferienkomplex mit Bauernhöfen und einem Luxushotel. Dies wurde in der ehemaligen Villa Tobler eingerichtet, die früher dem Schweizer Schokoladenfabrikanten gehörte, der im 19. Jahrhundert den halben Berg aufgekauft hatte.

Ein Paradies für Steinesammler

Ein guter Freund Toblers und häufiger Besucher der Villa war Rudolf Steiner, Begründer der Anthroposophie und begeisterter Steinesammler. Mit Sicherheit war der Erzberg ein Paradies für ihn. Auch wegen seiner magnetischen Anziehungskraft, die angeblich schon die Schiffe der antiken Römer angezogen und vom Kurs abgebracht hat. Steiner und seine Anhänger vermuteten, dass auf dem Monte Calamita eine Pforte in eine andere Dimension existiert.

Für Mineralien-Fans ist der eiserne Berg noch immer ein Paradies. Man kann sich einer organisierten Tour anschließen oder auf eigene Faust loswandern – vorbei an rot schimmernden Steinbrüchen, Weinfeldern und Schatten spendenden Pinienhainen. Neben den Steinesammlern kämpfen sich aber auch immer mehr Mountainbikes durch das Gebüsch. Das Gebiet zwischen Capoliveri und Monte Calamita ist auf der Touristenkarte inzwischen als „Bikepark“ ausgezeichnet, der einzige auf der Insel. Die Tour führt hinunter bis zur Küste und endet bei der Bucht von Calanova.

Wer dann noch Kraft hat, kann zurück nach Capoliveri und über die Hauptstraße den Küstenort Porto Azzurro erreichen. Dort bieten Souvenirläden Steine an – für die Faulen, die oben auf dem Berg nicht selbst gesucht und gehämmert haben. Die Touristendichte ist hier deutlich höher als oben bei den Minen. Aber eines haben alle Orte dieses Teils der Insel gemeinsam. Hier spricht man noch über das Erz und nicht über Napoleon, der ansonsten noch immer die Insel beherrscht. Der strenge Blick des Imperators ist allgegenwärtig, er ziert Taschen, Speisekarten und Bieretiketten. Nur auf dem Monte Calamita ist man vor ihm noch sicher.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.