Die verordnete Versöhnung

Heidemarie Wieczorek-Zeul wollte die Kolonialherrschaft Deutschlands in Namibia aufarbeiten. Weil sie die Zivilgesellschaft nicht einbezog, wird nichts davon bleiben

Eine breite Diskussion über den deutschen Kolonialismus ist nun jedoch dringend nötig

Deutschland sorgt in Namibia für Schlagzeilen, und zwar für ausgesprochen schlechte. Außer Reden nichts gewesen, lautet der Vorwurf der Hereros, deren Volk zwischen 1904 und 1908 Opfer eines Völkermordes des kaiserlichen Deutschlands geworden war. Dabei hatte sich die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im August vergangenen Jahres in einem spektakulären Auftritt im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika offiziell für die Verbrechen entschuldigt. Doch seitdem ist die Situation verfahren: Die Bundesregierung bot Versöhnung an und stellte erst im Mai zögerlich 20 Millionen Euro zusätzliche Entwicklungshilfe in Aussicht. Die Herero wollten materielle Wiedergutmachung im Umfang von mehreren Milliarden Euro, während sich die namibische Regierung völlig passiv verhielt. Sie hatte weder ein Interesse daran, dass finanzielle Zahlungen ihrer Kontrolle entzogen würden, noch dass der Herero-Chief Kuaima Riruako einen prestigeträchtigen Triumph als Anwalt und Vertreter seines Volkes feiern würde.

Mit dem Regierungswechsel droht Wieczorek-Zeuls Initiative nun das Aus. Es rächt sich, dass sie ihren mutigen Worten nur halbherzige Taten folgen ließ, vor allem aber, dass sie es versäumte, in der Frage der Versöhnung und der Wiedergutmachung einen breiten gesellschaftlichen Konsens in der Bundesrepublik herbeizuführen. Stattdessen machte sie Versöhnung und Entschädigung zu einer Staatsaktion, zu einem Verwaltungsakt, konzeptionell begleitet von einer sehr kleinen Gruppe von Veteranen der Bremer Namibia-Solidarität. Aber weil Fragen von Versöhnung und Wiedergutmachung zur Regierungssache erklärt wurden, konnten sie aus dem öffentlichen Bewusstsein entsorgt werden.

Da eine Mobilisierung der deutschen Öffentlichkeit unterblieb, existieren nun keine Strukturen, in denen die deutsche Zivilgesellschaft in repräsentativer Weise eingebunden wäre und aus der heraus eine neue Bundesregierung zum Handeln bewogen werden könnte. So erfreulich es ist, dass sich ein Politiker von Rang, wie Bremens Bürgermeister Henning Scherf, bereit erklärt hat, die Leitung der deutschen Delegation in der Versöhnungskommission zu übernehmen, in einer Unions-geführten Bundesregierung wird sein Einfluss gering sein.

„Versöhnung braucht Erinnerung“, das hatte Wieczorek-Zeul letztes Jahr selbst gesagt, „ohne bewusste Erinnerung, ohne tiefe Trauer kann es keine Versöhnung geben“. Danach gehandelt hat sie nicht. Da die Nachkommen der Opfer in Namibia leben, es dort auch nach wie vor eine deutschsprachige Bevölkerungsgruppe gibt, glaubt man in Berlin, es reiche, wenn man sich auf die dortigen Gruppen beschränke, sich die Bundesrepublik Deutschland auf die Rolle des Moderators und des Geldgebers zurückzieht. Wenn dem so wäre, dass es nur die in Namibia lebenden Menschen anginge, dann stellte sich ja die Frage, warum sich Deutschland überhaupt entschuldigen wollte. Und es waren ja nicht nur die Vorfahren der heute in Namibia lebenden deutschsprachigen Menschen, welche die Verbrechen des Herero- und Namakrieges verübten, vom Genozid, von der Versklavung und vom Massenraub profitierten.

Genauso wenig wie es nur Hereros waren, die Opfer wurden. Kann man überhaupt aussöhnen und vergangenes Unrecht wiedergutmachen, indem man sich auf die Rolle des aseptischen Geldgebers zurückzieht, indem man in einem beinahe kolonial anmutenden Ensemble nur noch die Fragen nach der richtigen Verteilung des Geldes stellt? Ist nicht schon der Begriff der Entwicklungshilfe verfehlt, ist doch Entwicklungshilfe ein freiwilliges Angebot der Gebergesellschaft, ein nobler und moralischer Akt? Wiedergutmachung ist dagegen die Rückübertragung von etwas, was man dem anderen zu Unrecht genommen hat. Es ist keine Hilfe, sondern Anspruch des Geschädigten.

Wiedergutmachung braucht zunächst ein breites öffentliches Bewusstsein der Schuld, und das scheint in Deutschland trotz der erhöhten Medienaufmerksamkeit im Umfeld des Jahres 2004 immer noch nicht gegeben. Die koloniale Amnesie hält weiter an, verbunden mit dem latent rassistischen Bewusstsein, dass koloniale Verbrechen Kavaliersdelikte seien oder notwendige Konsequenzen der Modernisierung weiter Teile der Welt. Nur so ist es wohl auch zu erklären, warum in keiner der großen erinnerungspolitischen Debatten die kolonialen Verbrechen, die hunderttausende von Opfern forderten, auch nur Erwähnung finden. Kein Denkmal erinnert in Berlin an die Opfer dieser deutschen „Menschheitsverbrechen“, auch in der Debatte um ein Vertriebenendenkmal kam niemand auf die Idee, dass auch Hereros Opfer deutscher Vertreibungen wurden, an der Alten Wache in Berlin verweist kein Satz auf die Opfer deutscher Kriege in Afrika oder in China.

Eine breite Diskussion über den deutschen Kolonialismus ist jedoch notwendig, will man einen nachhaltigen Effekt aus der Entschuldigung vom letzten Jahr erzielen. Sie könnte der Beginn einer neuen Debatte über das Verhältnis von Afrika und Deutschland sein, wodurch aus den unseligen Verbrechen des Kaiserreiches hundert Jahre danach ein positiver Impuls werden würde, der ein besseres Gedenken wäre als alle in Stein gehauenen Denkmäler. Entgegen der in einschlägigen Kreisen zu hörenden Meinung, es handle sich um das Ausleben eines typisch deutschen Schuldkomplexes, während andere Staaten jeglichen Hang zur Selbstkritik vermissen ließen, gewänne Deutschland damit Anschluss an die internationale vergangenheitspolitische Debatte. Denn in vielen anderen Ländern wird die koloniale Vergangenheit bereits kontrovers diskutiert, macht man sich Gedanken, wie Unrecht gesühnt, wie unterdrückte und teilweise ermordete Gesellschaften adäquat repräsentiert werden kann.

Gerade diejenigen, die für Deutschland eine erinnerungspolitische Normalität einklagen, müssten sich also freuen, wenn diese mit der Debatte um den deutschen Genozid an den Hereros und Namas und um den Maji-Maji-Krieg nun erreicht würde. Für Deutschland schlösse sich damit zudem ein Kreis, denn in der Tat waren die Entschuldigungen und symbolischen Gesten der Sühne (man denke an Willi Brandts Kniefall in Warschau) sowie die Versuche monetärer Wiedergutmachung das Vorbild vieler dieser Forderungen und Debatten über eine Entschädigung für historisch erlittenes Unrecht und eine Kultur der Wiedergutmachung und Entschädigung.

Wieczorek-Zeul hat Versöhnung und Entschädigung zueiner Staatsaktion gemacht

Wäre es der deutschen Regierung, gestützt und vorsichtig geleitet von der deutschen Zivilgesellschaft, wirklich ernst damit, mit der kolonialen Vergangenheit zu Rande zu kommen, könnte sich dem auch die namibische Regierung auf Dauer nicht entziehen. Sie müsste zulassen, dass die Nachkommen der Menschen stärker eingebunden würden, die unter dem Genozid unmittelbar zu leiden hatten.

JÜRGEN ZIMMERER