„The French love Jerry Lewis“

nachruf Dass Witz auch peinlich, vulgär sein kann, böse sogar, Jerry Lewis spielte damit. Er war die clowneske Störung, nerdig aufdringlich. Bis zuletzt liebte er, der in Las Vegas starb, das Witzereißen vor Live-Publikum

Komisches Ungestüm: Jerry Lewis im TCL Chinese Theatre in Los Angeles 2014 Foto: Dan Steinberg/ap

von Barbara Schweizerhof

Einen Nachruf auf einen Komiker würde man am liebsten mit einem witzigen Zitat beginnen. Bei Jerry Lewis allerdings greift man da ins Leere. Und hat genau damit einen wesentlichen Zug von seiner Version des „Funny Man“ erfasst. Sein langer Weg im Show Business ist nicht gepflastert mit geistreichen Formulierungen, wie das etwa bei Woody Allen der Fall ist. Nein, Jerry Lewis’ Komiker-Persona war schon immer ein „act“, der Auftritt als solcher, der Körper, Stimme und, wichtiger noch, ein bestimmtes Timing involviert. Damit ist mehr gemeint als Slapstick-Stolpern, Gesichter-Verziehen und demonstratives, monströses Schielen – wobei Lewis in all diesen Disziplinen Meisterschaft erreichte –, nein Jerry Lewis hatte eine Präsenz, die das Äquivalent von ohrenbetäubend war.

Daraus folgert auch: Jerry Lewis, 1926 in New Jersey in eine dem Vaudeville verschriebenen Familie russisch-jüdischer Abstammung geboren, war nicht immer und vor allem nicht allen angenehm. Lange bevor die Begriffe „Low Comedy“ und „Grobkomik“ die kindlich-monsterhaften Späße seiner Filme wie „Aschenblödel“, „Der verrückte Professor“, „Hallo, Page!“ oder „Der Tölpel vom Dienst“ adelten, gab es die gewöhnliche Herablassung, mit der die „kritische Öffentlichkeit“ diese Art von Humor behandelte: Man duldete sie, hielt sie aber für keinerlei analytische Anstrengung wert.

Irgendwann, wahrscheinlich in den theoriewütigen 70er Jahren, änderte sich das, woraus einer der schönsten Legenden der Filmkritik, unwiderlegbar und unbeweisbar zugleich, entstand: Während Mitte der 60er Jahre, nach zwei Jahrzehnten des Erfolgs, zuerst an der Seite von Dean Martin, dann in Soloauftritten in jeweils unzähligen Filmen, sein Ansehen in den USA zu sinken begann, sei er in Frankreich weiter von enthusiasmierten Massen begrüßt worden, heißt es. Was ohne weiteres Hinterfragen von Zeit und Ort und innereuropäischer Vergleichbarkeit zum Diktum führte: Jerry Lewis werde nirgendwo so geschätzt wie in Frankreich.

In den USA wurde daraus ein oft wiederholter Standardwitz – „The French love Jerry ­Lewis!“ –, der so weit führte, dass Franzosen erzählen, bei Amerikareisen darauf angesprochen worden zu sein. Die Filmkritik untermauerte die Legende mit Thesen wie, dass aus französischer Sicht in Jerry Lewis’ Grobhumor etwas von der wahrhaftigen Vulgarität der Amerikaner sichtbar werde, das den Amerikanern selbst banal erscheine oder gar peinlich sei.

Popularität, die mit Missachtung einhergeht

Die wahre Größe von Jerry Lewis zeigt sich denn auch darin, dass er sich der ­ambivalenten, ­unangenehmen Seite seiner Komiker-­Persona bewusst war

Die Legende spiegelt auf faszinierende Weise ein System kultureller Vorurteile, sagt aber im Kern recht wenig über Jerry ­Lewis aus. Anders als es die Theorie vorgibt, gefällt nicht jedem, der Geschmack an der visuell gebauten Komik der Filme von ­Jacques Tati findet, die Gag-Abfolgen des sabbernden, hasenzähnigen „Verrückten Professors“. Lewis erfreute sich auf beiden Seiten des Atlantiks einer Popularität, die mit einer gewissen Missachtung einhergeht, auch weil die meisten sie mit Kindheit in Verbindung bringen. So mancher wird sich erinnern, als Zehnjähriger über Lewis heftig gelacht zu haben – um dann als Erwachsener darüber zu staunen, wie anstrengend und unlustig viele seiner Filme heute erscheinen. Was eben nicht bedeutet, dass sie schlecht sind; im Gegenteil, dem schlecht gelaunteren Blick offenbaren sie oft eine gesellschaftskritische Bösartigkeit, die manche geistvolle Satire in den Schatten stellt. Das übertriebene komische Ungestüm, mit dem Jerry Lewis in Frank Tashlins „Tölpel vom Dienst“ (1964) agiert, ermöglicht im Hintergrund eine ziemlich ungeschminkte Darstellung der Korruption im Klinikbetrieb.

Hinzu kommt, dass Jerry ­Lewis’Komikerkarriere sich in einem medialen Zeitalter abgespielt hat, das uns heute altmodisch und abgeschmackt erscheint. Die Talk- und Spielshows des 40er- und 50er-Jahre- Fernsehens waren das Milieu, in dem Lewis an der Seite von Dean Martin zunächst groß wurde. Wobei man die Wirkung eines Komikerduos, wie Lewis und Martin es bildeten, heute fast mühsam erklären muss, weil sich mit dem hedonistischen Macho-Bild, wie es Martin verkörperte, auch die clowneske Störung, die Lewis ergänzend dazu gab, in seiner nerdigen Aufdringlichkeit überlebt hat.

Die wahre Größe von Jerry Lewis zeigt sich denn auch darin, dass er sich der ambivalenten, unangenehmen Seite seiner Komiker-Persona bewusst war. Man sieht es den beiden Auftritten, in denen er Varianten seiner selbst spielt, an: In Martin Scorseses „King of Comedy“ (1983) und in Peter Chelsoms unterschätztem „Funny Bones“ (1995) spielt er jeweils Komiker, die ihre besten Zeiten hinter sich haben. Er stellt ihre Kleinlichkeit, ihre Zwangsneurosen, ihre klägliche Eitelkeit in einer Weise aus, die nicht nur preiswürdig war, sondern einen noch im Nachhinein wünschen lassen, dass Lewis öfter auch ernste Rollen gespielt hätte. Er selbst muss das anders gesehen haben – das Witzereißen vor dankbarem Livepublikum blieb bis zuletzt sein bevorzugtes Genre. Er starb am 20. August 91-jährig in Las Vegas.