„Es sind Bilder, die abschrecken und an die wir uns anscheinend gewöhnen sollen“

Das bleibt von der Woche Eine martialisch anmutende SEK-Truppe räumt eine leere Fabrik, ein Marzahner Neonazi wird nur mit Glück verurteilt, die roten Schokoherzen von Air Berlin sind in Gefahr, und der Finanzsenator mahnt die Bezirke, sich gegen Immobilienhaie zu wehren

Die Angst wird bleiben

Urteil gegen Neonazi

Der Streifenpolizist sah nicht einmal den Anfangsverdacht einer Straftat

Das Urteil, das am Mittwoch vor dem Kriminalgericht Moabit gegen den Marzahner Rechts­ex­tre­men Patrick Krüger gefällt wurde, klingt eindeutig: Wegen Bedrohung wurde Krüger zu 150 Tagessätzen verurteilt, das ist eine hohe Zahl für diesen Straftatbestand. Nur knapp habe er sich gegen eine Haftstrafe entschieden, sagte der Richter dazu in der Begründung.

Bis zu diesem Urteil war es jedoch ein weiter Weg. Im Herbst 2015 hatte Krüger mehrere Menschen verfolgt und bedroht, die zuvor bei dem Bezug eines neuen Flüchtlingsheims geholfen hatten. Nachdem er und seine Kameraden sich verzogen hatten, riefen die Bedrohten die Polizei – aus Angst, ohne deren Hilfe nicht sicher nach Hause zu kommen. Dem Streifenpolizisten schilderten sie dann ihre Erlebnisse: Krüger habe die Hände zu einer Pistole geformt, die er auf sie richtete, dazu habe er Schussgeräusche imitiert.

In dieser Handlung, die aus Sicht des Richters eindeutig den Straftatbestand der Bedrohung erfüllt, sah der Polizist nicht einmal den Anfangsverdacht einer Straftat gegeben. Erst ein Beamter des Landeskriminalamts entschied später, doch noch Ermittlungen einzuleiten.

Die Opfer selbst entschieden sich gegen eine Anzeige. Aus Angst, schließlich leben sie im gleichen Bezirk wie Krüger und seine Kameraden. Auch vor Gericht sagten sie nur widerwillig aus – was den Staatsanwalt nicht davon abhielt, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln, schließlich habe es man hier mit einer „Grundsituation rechts gegen links zu tun“, in der jede Aussage im Verdacht stehe, politisch motiviert zu sein. Der Prozess war zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahr lang unterbrochen gewesen, weil der Anwalt des Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt hatte, der später zurückgewiesen wurde.

Dass Krüger am Ende doch noch für seine Tat verurteilt wurde, ist gut. Doch es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn der Fall zeigt, wie schwer es ist, Straftaten von Neonazis zu ahnden, wenn ihre Opfer eingeschüchtert und noch dazu von der Polizei nicht ernst genommen werden. Und die Angst der Opfer wird auch nach dem Urteil nicht verschwinden.

Malene Gürgen

Polizeilich geräumte Träume

Besetzte Teppichfabrik

Für die Räumung der besetzten Fabrik verdient die Berliner Polizei Lob

Für die Räumung der besetzten Alten Teppichfabrik am Dienstag verdient die Berliner Polizei Lob. Anders als vergangenes Jahr bei der Autonomenkneipe Kadterschmiede in der Rigaer Straße und anders als bei vielen besetzten Häusern seit der Wiedervereinigung, wartete sie mit ihrem Einsatz geduldig ab, bis der Eigentümer vor dem Landgericht einen Räumungstitel erwirkt hatte. Willkommen zurück im Rechtsstaat, liebe Polizei.

Dass der Rechtsstaat jedoch seine Stärke gleich mit 200 Polizisten und einem Spezialeinsatzkommando (SEK) präsentierte, ist schon wieder weniger lobpreisungswürdig. Denn die Gegner waren – eigentlich – überschaubar: Es waren sechs Besetzer, die sich in zweieinhalb Monaten Besetzung ein Nutzungsrecht erworben hatten.

Sie allein durften die Polizeisperren, die seit mehr als einer Woche vor der Räumung das Haus abriegelten, passieren. Bei ihrem Eindringen ins Haus traf die Polizei dann, zu ihrer eigenen Überraschung, niemanden mehr an. Die Träumer einer gerechteren Welt waren den Träumern in Uniform einfach entwischt.

Gebracht hat der Polizeieinsatz dennoch etwas: Zuallererst dem Eigentümer, der aus der alten Fabrik bald mächtig Profit schlagen wird. Freuen dürfen sich auch die Verteidiger von law and order: Mit Bildern der schwer bewaffneten und vermummten SEKler demons­trier­te die Polizei – nach G20 erneut – ihren Willen, konsequent gegen linke Störer vorzugehen. Es sind Bilder, die abschrecken und an die wir uns anscheinend gewöhnen sollen.

Die linke Kritik, die sich nun über die Kommentarspalten ergießt, geht aber weiter, und das durchaus populistisch: Herausgepulvertes Steuergeld für die Profite von Privatinvestoren; martialisches Abschreckungsgebaren gegen linke Hausbesetzer, während Rechte etwa in Neukölln seit Monaten Anschläge verüben; ein Senat, aus dessen Reihen Polizeieinsätze wie in der Teppichfabrik, gegen die Friedel54 oder die rückreisenden G20-Demonstranten zwar kritisiert, aber nicht verhindert werden. All das mag tatsächlich vereinfachend sein. Falsch ist es allerdings nicht.

Erik Peter

Eine ganz harte Landung

Insolvenz von Air Berlin

Air Berlin war seit geraumer Zeit nur noch eine Schön­wetter-Airline

Viel verbindet die Fluggesellschaft mit dem Berlin im Namen nicht mit der Stadt selbst. Die Firma agiert längst international, nutzt Düsseldorf als Drehkreuz, die Hauptversammlungen fanden in London statt. Aber immerhin arbeiten hier knapp 3.000 Menschen für Air Berlin, und es gibt wenige Berliner, die – sofern sie überhaupt fliegen – noch nie Kunde bei der rot-weißen Gesellschaft waren. Sie war also doch irgendwie ein Teil der Stadt. Und auch einer ihrer Hoffnungsträger: Am BER sollten ihre Flugzeuge eine wichtige Rolle spielen.

Dazu wird es nicht mehr kommen: Nicht, weil der „Fluchhafen“ nie fertig werden wird (zumindest ist das nicht die Meldung der Woche), sondern weil Air Berlin am Dienstag beim Charlottenburger Amtsgericht Insolvenz in Eigenverwaltung anmeldete. Das heißt, sie hat noch ein paar Monate Frist, um ihre Zukunft – sprich ihren Verkauf oder ihre Abwicklung – selbst zu organisieren.

Die Nachricht überraschte, obwohl sie eigentlich nicht überraschend kam. Seit fast einen Jahrzehnt fliegt Air Berlin in den Miesen; lediglich ihr Teil­finanzier Etihad Airlines hatte sie am Leben gehalten. Doch auch dem war die Gesellschaft letztlich zu teuer.

Und schon lange lief wenig rund bei Air Berlin, was auch die Passagiere in Tegel zu spüren bekamen. Die Gepäckabfertigung war nach dem Wechsel zu einem billigeren Anbieter im Frühjahr regelmäßig ein Chaos; bereits verkaufte Flüge wurden reihenweise einfach so storniert, was für noch mehr Unmut bei den Kunden sorgte. Und der Service war in diesen Fällen kaum als solcher zu bezeichnen.

Tatsächlich handelte es sich bei Air Berlin bereits seit geraumer Zeit um eine Schönwetter-Airline: Wenn alles gut lief, war alles gut, die Kunden waren happy und froh über das Lindt-Schokoherz zur Landung. Aber wehe, der Himmel trübte sich ein und irgendwas klappte nicht wie geplant: Dann lief gern alles schief, was schieflaufen konnte. Und man wünschte sich, Kunde einer anderen Fluggesellschaft gewesen zu sein – die entweder billiger ist oder service­orien­tier­ter.

So war das Vertrauen in Air Berlin erschüttert – keine gute Grundlage auf einem umkämpften Markt. In den nächsten Tagen und Wochen wird das Unternehmen zerlegt werden. Die Auswirkungen auf Tegel und irgendwann den BER lassen sich bisher kaum abschätzen.

Bert Schulz

Gute Bezirke, schlechte Bezirke

Zum Vorkaufsrecht

Will ein Bezirk sich selbst schützen, dann muss er halt in Vorleistung gehen

Die Ansage konnte man als Aufmunterung verstehen, aber auch als Kritik. Für die Anwendung des kommunalen Vorkaufsrechts, sagte Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) am Mittwoch, brauche es auch den „politischen Willen“. Recht hat der Mann, denn dieser Wille ist in den zwölf Berliner Bezirken durchaus verschieden ausgeprägt.

Das zeigt vor allem die Ausweisung von Milieuschutzgebieten, die die Voraussetzung dafür sind, dass ein Bezirk bei einem spekulativen Hauskauf an die Stelle des Käufers treten kann. 39 solcher Milieuschutzgebiete gibt es in Berlin, davon entfällt die Hälfte auf zwei Bezirke, zehn in Pankow und neun in Friedrichshain-Kreuzberg.

Auf der anderen Seite der Skala stehen Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf mit null Milieuschutzgebieten. Allerdings sollen demnächst in Charlottenburg-Nord zwei Gebiete ausgewiesen werden. Zwar liegen die Ergebnisse einer Untersuchung bereits seit Ende 2016 vor. Doch fehlt dem Bezirk das Personal, Bauanträge auf ihre Sozialverträglichkeit zu überprüfen. Erst wenn neue Stellen im Herbst besetzt seien, könne die förmliche Ausweisung erfolgen, so der grüne Baustadtrat Oliver Schruoffeneger.

Noch düsterer sieht es in Steglitz-Zehlendorf aus. Zwar hat die schwarz-grüne Zählgemeinschaft auf Drängen der Grünen beschlossen, eine Untersuchung in Auftrag zu geben. Das aber nur, wenn der Senat diese bezahle. Was natürlich Quatsch ist, weil das der Senat nirgends macht. Will ein Bezirk sich selbst schützen, muss er halt in Vorleistung gehen, auch das gehört zum von Kollatz-­Ahnen bemühten politischen Willen.

Schließlich zahlte der Bezirk doch und gab die Studie in Auftrag. Die kam zum Ergebnis, dass es rechts und links der Schlossstraße gar nicht so schlimm sei. Blöd nur, dass die Studie auf den Daten des Sozialindex von 2011 und 2013 beruht. Nun soll, auf Druck der SPD, eine neue Studie in Auftrag gegeben werden. „Sollte es sich erweisen, dass die Mieten seitdem gestiegen sind“, so der grüne BVV-Abgeordnete Sebastian Serowy, „werden wir dem Antrag der SPD wohl zustimmen.“ Die SPD setzt sich schon seit Längerem für Milieu­schutzgebiete im Bezirk ein.

Aber auch dort, wo es viele dieser Gebiete gibt, gilt der Satz des Finanzsenators. Oder was anderes soll es sein als eine politischer Wille (oder der Mangel an selbigem), dass in Friedrichshain-Kreuzberg sechsmal vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht wurde, in Pankow dagegen kein einziges Mal?! Uwe Rada