So geht Demokratie

Selbst-Auflösung

Am Montag trifft sich Niedersachsens Landtag zu einer Sondersitzung mit nur zwei Tagesordnungspunkten: Fünf Minuten sind für Mitteilungen des Präsidenten vorgesehen. Um 11.10 Uhr beginnt dann die Abstimmung über Antrag 17/8541 mit dem schnörkellosen Titel: „Auflösung des Niedersächsischen Landtags“. Aussprache? Gibt’s nicht. Von den 137 Abgeordneten haben den Antrag 75 unterzeichnet.

Für einen erfolgreichen Abschluss des Selbstzerstörungsverfahrens bedarf es laut Artikel 10 der Landesverfassung einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Anwesenden. Davon, dass die zustande kommt, ist auszugehen. Alles andere würde schon so etwas wie eine Staatskrise auslösen und wäre entweder altersbezügetechnisch selbstsüchtig oder aber extrem anarchisch. Und das liegt den meisten niedersächsischen Landtagsabgeordneten eher nicht so, außer vielleicht Elke Twesten (derzeit CDU).

Ein Parlament, das sich selbst auflöst, ist eine sehr demokratische Angelegenheit: Anders als beim Bundestag, dem das Recht dazu fehlt, und der deshalb alle 20 bis 30 Jahre mithilfe machttaktischer Kanzlerspielchen vor der Zeit exekutiert wird, sind es hier die freien Abgeordneten, die ihre Legitimation in Zweifel ziehen. Die Selbstauf­lösung ist kein Verwaltungshandeln, sondern Teil des politischen Prozesses.

Das ist kein kleiner Unterschied. Und das scheint sich interessanterweise auch aufs Wahlverhalten auszuwirken. So haben bei den infolge der Selbstauflösung ihrer Landtage angesetzten Neuwahlen sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Saarland die bisherigen Ministerpräsidentinnen Hanelore Kraft (SPD) und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) 2012 Triumphe gefeiert. Gegenprobe: Selbst eine rein symbolische, absichtliche Niederlage bei der Vertrauensfrage scheint 2009 in Schleswig-Holstein Peter-Harry Carstensen so sehr beschädigt zu haben, dass Schwarz-Gelbs bis dahin in Umfragen prognostizierte satte Mehrheit am Wahltag auf ein Plus von einer einzigen Stimme abgeschmolzen war – in einem laut Landesverfassungsbericht durch Überhangmandate ungerechtfertigt zugunsten der Union verzerrten Parlament. bes