Die Dolmetscherin für den Umweltschutz

ENGAGEMENT Gülcan Nitsch hat eine Mission: TürkInnen für Umweltschutz interessieren. Seit Kurzem ist die Berliner Biologin verantwortlich für die erste vom Umweltministerium geförderte Kampagne zum Energiesparen auf Türkisch

„Nur wer sich als Teil der Gesellschaft fühlt, übernimmt auch Verantwortung“

VON ANNE ONKEN

Über den Topfpflanzen im Schaufenster klebt ein Plakat, das man in einem Seniorentreff nicht unbedingt erwarten würde: Von der Morgensonne angestrahlt zeigt ein Heizthermostat auf Stufe drei. Doch heute ist Gülcan Nitsch zum Vortrag in den türkischen Verein Huzur in Schöneberg gekommen: Ihr Thema ist der Umweltschutz – und wie jedermann mit einfachen Mitteln Energie sparen kann. Die zierliche Frau mit der Bobfrisur wartet geduldig, bis sich ihre Zuhörerinnen – Damen mit gefärbten Haaren und bunten Kopftüchern – beim Frühstücksbuffet im Nebenraum bedient haben. „Merhaba“ ruft sie den Frauen zu. Als alle 21 an den hufeisenförmig angeordneten Tischen sitzen und sie erwartungsvoll anschauen, legt sie los.

Die 37-jährige Berlinerin findet auch dort noch Zuhörer, wo ihre deutschsprachigen Kollegen wegen sprachlicher Barrieren aufgeben: In türkischen Vereinen und Begegnungsstätten erzählt die Deutschtürkin MigrantInnen, dass sie ausrangierte Toaster und kaputte Energiesparlampen nicht einfach in die Mülltonne werfen dürfen. Sie tut dies freundlich, aber mit Nachdruck. Spricht mit den Händen, stellt ihrem Publikum immer wieder Gegenfragen.

Das Interesse türkischer Frauen an Umweltschutz sei groß, sagt Nitsch. „Vielen fehlt aber das Wissen, was sie tun können.“ Die Frauen, denen sie Tipps gibt, sind meist aus einfachen Verhältnissen, sprechen schlecht Deutsch. „Sie sollen lernen zu verstehen, dass sie selbst etwas davon haben, wenn sie in ihrer Wohnung Energie sparen.“ Geld zum Beispiel. Viele türkische Familien hätten zu hohe Heizkosten und wüssten nicht, was sie dagegen tun könnten.

Ende 2006 hat Gülcan Nitsch ihre türkische Umweltgruppe Yeșil Çember („Grüner Kreis“) beim Bund für Umwelt und Naturschutz Berlin (BUND) gegründet – eine strategische Entscheidung. „Der BUND hatte bisher keine Möglichkeit, Migranten zu erreichen“, erklärt sie. Und Nitsch konnte auf Strukturen des Vereins zurückgreifen, den sie noch von ihrem freiwilligen Engagement während des Studiums kannte.

Inzwischen sind zwölf BerlinerInnen mit türkischem Hintergrund regelmäßig bei Yeșil Çember aktiv; im vergangenen Jahr wurde die Umweltgruppe mit der Berliner Tulpe für Integration ausgezeichnet. Auf einmal stand Gülcan Nitsch im Rampenlicht, die Zeitungen berichteten, und selbst Radio Bremen griff die Geschichte auf. Plötzlich riefen auch Journalisten an, die Nitsch als Umweltexpertin hören wollten, oft zu ganz speziellen Themen wie dem Klimaschutz. „Ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt sie heute.

Nitsch sitzt im Feinkostladen Knofi in Kreuzberg und trinkt schwarzen Tee. „Vieles habe ich mir selbst beigebracht“, erzählt sie und klingt dabei recht zufrieden. Nach ihrem Biologiestudium arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität. Gruppendiskussionen moderieren, Flyer entwerfen und Pressemitteilungen schreiben musste sie dabei nicht. Bei Yeșil Çember ist all dies entscheidend für den Erfolg der Gruppe.

Die meiste Zeit wende ihre BUND-Gruppe dafür auf, den des Türkischen Umwelttag vorzubereiten, sagt Nitsch. Er findet seit drei Jahren einmal jährlich in Berlin statt, Ziel ist es, türkischsprachige Migranten über alltägliche Umweltfragen zu informieren. In Vorträgen und Podiumsdiskussionen erfahren die Teilnehmer, wie sie Energie sparen und sich gesünder ernähren können. Nitsch scheint ihre Umweltgruppe fest im Griff zu haben. Als sich die Gruppenmitglieder im vergangenen Monat erstmals ohne Nitsch trafen, stellte sich plötzlich die Frage, wer die Diskussion moderieren sollte. Nach fast drei Jahren.

Je länger Nitsch redet, desto mehr wird deutlich, weshalb sie einen Großteil ihrer Freizeit für Yeșil Çember opfert, warum sie freitags am Maybachufer in Neukölln Stoffbeutel verteilt oder mit türkischen Händlern über eine Abschaffung von Plastiktüten verhandelt. Es ist der Antrieb, ein Vorbild zu sein und Denkanstöße zu liefern. Nicht nur um Umweltschutz geht es ihr, sondern auch um Integration: Umweltschutz ist ein Luxusthema für viele MigrantInnen, hat Nitsch festgestellt. „Nur wer sich als Teil der Gesellschaft fühlt, übernimmt auch Verantwortung.“ Der deutsche Zeigefinger, der bei Umweltthemen schnell erhoben werde, sei daher völlig unsinnig.

Bei ihren Vorträgen in türkischen Vereinen versucht Nitsch deshalb auch, ihren ZuhörerInnen auf Augenhöhe zu begegnen, sie nicht zu überfordern. Verantwortung dürfe nicht auf der eigenen Schwelle enden, betont sie immer wieder. Was sie damit meint, illustriert sie mit einem Beispiel. Die Wohnung einer Freundin in Neukölln etwa sei immer „picobello“ aufgeräumt – dafür stapelten sich im Hausflur die Mülltüten und alten Pappkartons. So etwas ärgert sie, doch sie behält es für sich.

Gülcan Nitsch ist eine Frau, die sich selbst wenig sagen lässt. Als Studentin zog sie mit ihrem deutschen Freund, ihrem jetzigen Ehemann, zusammen – für die meisten ihrer studierten türkischen Freundinnen eine kleine Revolution. Ihre Eltern, die 1970 als „Gastarbeiter“ nach Berlin kamen und vier Töchter in Kreuzberg großzogen, konnten sie damals um keinen Preis davon abbringen. Und nun muss ihr Mann seinerseits akzeptieren, dass seine Frau „die Welt verbessern will und wenig Freizeit hat“, wie sie selbst sagt.

Seit Kurzem arbeitet die Biologin für die gemeinnützige Organisation co2online, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums deutschlandweit die Heizspiegel-Kampagne durchführt. Die türkischsprachige Kampagne ist im September angelaufen und liegt in Nitschs Händen. Dieser türkische Heizspiegel, der übersetzt „Isitma Kilavuzu“ heißt, soll bis Ende kommenden Jahres unter die knapp drei Millionen türkischsprachigen Migranten gebracht werden und ihnen helfen, zu einer Einschätzung der eigenen Heizkosten zu kommen. Bei einem kostenlosen Heizgutachten-Service können sich türkischsprachige Verbraucher zudem persönlich beraten lassen und eine schriftliche Analyse anfordern, die detailliert aufschlüsselt, ob die Heizkosten und der Heizenergieverbrauch der eigenen Wohnung angemessen sind.

Es sei die erste Umwelt-Kampagne in türkischer Sprache, die vom Bundesumweltministerium gefördert werde, betont Nitsch – und lässt keinen Zweifel aufkommen, dass sie auch für dieses Projekt 150 Prozent geben wird. Sie reist in der Republik herum, schult Multiplikatoren, spricht mit wichtigen Leuten. Sie ist gut vernetzt. Bundestagsabgeordnete wie Bärbel Höhn und Ekin Deligöz (beide Grüne) gehören zu ihren 200 Facebook-Freunden, Cem Özdemir kennt sie persönlich.

Wirklich etwas bewirken kann Nitsch aber vor allem bei Vorträgen wie dem im Seniorentreff Huzur in Schöneberg. Die Frauen hängen an ihren Lippen, fragen und fragen. Nitsch kennt das schon – und sie ist optimistisch, dass die meisten ihrer Zuhörerinnen künftig schonender mit Ressourcen umgehen werden. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie die Verantwortung haben, ihr Wissen weiterzugeben.“

Wie zum Beweis steht mitten in Nitschs Vortrag eine Zuhörerin auf, geht in den Nebenraum, in dem Huzur-Mitarbeiterin Özlem Topuz hinter ihrem wuchtigen Schreibtisch sitzt, und schaltet die Neonbeleuchtung aus. „Sie sagt, es sei hell genug hier“, übersetzt Topuz.