Opfer kriegen Wahlgeschenke

Wahlkampf I Die neue Mehrheit in Niedersachsen will vor der Neuwahl zehn Gesetze durchs Parlament bringen, auch ein paar Millionen extra für Hochwasseropfer

Immer ein Wahlkampfschlager: Hochwasserhilfe Foto: Swen Pförtner/dpa

Aus Hannover Andrea Scharpen

Schon wieder eine schnelle Pressekonferenz auf dem Flur der CDU-Fraktion. Mit hochrotem Kopf tritt Spitzenkandidat Bernd Althusmann vor die Kameras, neben ihm Fraktionschef Björn Thümler. Sie kommen gerade aus dem großen Sitzungssaal der Fraktion. „Irgendwann wird darin der Sauerstoff knapp“, heißt es vor der Tür. Die erste Fraktionssitzung am Dienstag, an der auch Neumitglied Elke Twesten teilgenommen hat, war arbeitsreich. Nach Tagen der Ungewissheit steht nun ein politischer Fahrplan bis zur Neuwahl am 15. Oktober.

Twesten hatte am Freitag mit ihrer Entscheidung, von den Grünen zur CDU zu wechseln, die Mehrheitsverhältnisse im niedersächsischen Landtag verschoben und die Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) entmachtet. Dem blieb nichts, als zerknirscht Neuwahlen zu fordern und zu verkünden, dass er „einer Intrige nicht weichen würde.“ Entscheiden aber kann seine Koalition nichts mehr. Das übernehmen nun CDU und FDP mit ihrer Einstimmenmehrheit.

Formal kann der Betrieb im Landtag noch bis zur Konstituierung der neuen Regierung weiter gehen, also bis spätestens 30 Tage nach der Neuwahl. „Die Fraktionen sprechen sich ab, welche Projekte sie vor Ende der Legislaturperiode noch beschließen wollen“, sagte Landtagssprecherin Anne-Ly Do.

Thümler kündigte nun an, dass die Ausschüsse weiter tagen und auch die Plenarsitzungen im August und September stattfinden sollen. Eigentlich sollten noch 46 Gesetzesvorhaben den Landtag passieren, doch nur wenige davon finden auch bei den neuen Mehrheitsparteien Zustimmung. Zudem wird die Zeit knapp. Rund zehn Gesetze sollen bis Oktober noch verabschiedet werden, sagte Thümler.

So sind auch CDU und FDP für die von Rot-Grün auf den Weg gebrachte Hochwasserhilfe – die ist für die Betroffenen nicht nur notwendig, sondern auch ein gutes Wahlkampfthema. Das Geld ist nicht nur als Soforthilfe für die Hochwassergeschädigten vorgesehen, auch die Kommunen sollen damit Schäden beseitigen. Allerdings wollten die Christdemokraten auf die geplanten 25 Millionen Euro noch einmal acht bis 15 Millionen Euro drauf packen. So zumindest kündigte es Thümler an.

Am Ende überboten sich alle Parteien noch einmal. Gestern einigten sich die Fraktionen im Finanzausschuss auf stolze 50 Millionen Euro Soforthilfe, die noch vom Parlament beschlossen werden müssen. Auch das Niqab-Verbot an Schulen sowie das Krankenhausinvestitionsgesetz stehen auf der Liste der CDU. Was hier allerdings fehlt, ist die Novelle des Niedersächsischen Gleichstellungsgesetzes (NGG).

Die hat eine gewisse Brisanz, hatte sich doch eben Elke Twesten, die nun die Neuwahlen notwendig gemacht hat, als frauenpolitische Sprecherin der Grünen für die strikteren Vorgaben bei der Besetzung von Führungspositionen im Öffentlichen Dienst ausgesprochen.

„Die freiwilligen Selbstverpflichtungen von Wirtschaft und Verwaltung sind gescheitert – nur mit der Quote ist Niedersachsen auf dem einzig richtigen Weg, der Frauen langfristig zu mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt verhilft“, hatte Twesten im Januar gesagt.

Die Novelle sieht vor, dass Frauen bei gleicher Eignung bevorzugt werden müssen, so lange ihr Anteil in der jeweiligen Dienststelle unter 50 Prozent der Beschäftigten liegt.

Nun ist Twesten jedoch nicht nur in eine Partei eingetreten, die auf ein Frauenquorum von 33,3 Prozent statt einer echten Gleichberechtigung bei der Verteilung von Parteiämtern und Listenplätzen setzt, sie wird auch damit leben müssen, dass die Novelle des NGG platzt. Zumindest ist die Gleichstellung der Frauen nicht unter den zehn Gesetzesvorhaben, die Thümler angesprochen hat.

Das Geld ist nicht nur als Soforthilfe vorgesehen, auch Kommunen sollen damit Schäden beseitigen

So sagte eine CDU-Abgeordnete der taz, dass „die 50-Prozent-Quote die Kommunen vor unlösbare Probleme“ stelle. „In der Praxis ist sie nicht umsetzbar.“

Vom Tisch sind auch das Wassergesetz, das Landwirte stärker beim Ausbringen der Gülle auf ihren Feldern eingeschränkt hätte und zunächst auch das Polizeigesetz, in dem Innenminister Boris Pistorius (SPD) umstrittene Maßnahmen wie Fußfesseln für Gefährder vorgesehen hatte.

Doch das Gesetz sei nach derzeitigem Stand nicht seriös umsetzbar, sagte Althusmann und kündigte für einen möglichen Wahlsieg der CDU an, dass das Gesetz zu seinem 100-Tage-Programm gehören werde.

Erst einmal stehen aber die Neuwahlen an: Heute werden die Parteien dafür in einer Sondersitzung des Landtages gemeinsam die Auflösung des Parlaments beantragen.