Ex-Bürgermeisterin Pforzheims angeklagt: Hochriskante Spekulationen

Christel Augenstein steht wegen Untreue vor Gericht. Sie soll der Stadt Pforzheim mit Swap-Geschäften hohe Verluste beschert haben.

Die frühere Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Christel Augenstein, ihr Anwalt Wolfgang Kubicki und die Anwältin Jennifer Schumacher stehen in Mannheim zum Prozessauftakt im Verhandlungssaal des Landgerichts

FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hat für die Verteidigung seiner Parteifreundin extra den Wahlkampf unterbrochen Foto: dpa

MANNHEIM taz | Wenn sich FDP-Politiker verspekulieren, ist das nicht immer gleich ein Fall für den Staatsanwalt. Anders liegt der Fall bei der früheren Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Christel Augenstein. Sie steht zusammen mit ihrer Stadtkämmerin Susanne Weishaar als Angeklagte vor der großen Wirtschaftsstrafkammer in Mannheim. Außerdem stehen Weishaars Stellvertreter sowie zwei Banker vor Gericht. Am Dienstag war der Auftakt in dem Untreueprozess.

Die FDP-Politikerin soll von 2004 bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt 2008 dafür verantwortlich gezeichnet haben, dass die Stadt Pforzheim durch Spekulationen mit Derivaten Millionen-Verluste erlitt. Die Rede ist von 57 Millionen Euro. Das sei allenfalls einer wirtschaftlichen Fehleinschätzung zuzurechnen, findet ihr Anwalt, der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der für die Verteidigung seiner Parteifreundin extra den Wahlkampf unterbrochen hat. Die Angeklagten hätten aber keinesfalls etwas Strafbares getan.

Die Mannheimer Staatsanwaltschaft sieht das naturgemäß anders. Geschäfte mit „Swaps“ genannten Derivaten sind für Städte laut Kommunalordnung nur dann zulässig, wenn sie zur Absicherung von Krediten dienen. Swaps sind hochspekulative Finanzprodukte, bei denen auf die Marktentwicklung von Währungen Aktien oder anderen Gütern gewettet wird. Da diese Wetten nicht in Abhängigkeit zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung stehen müssen, sind Gewinne und Verluste schwer abzuschätzen und unterliegen enormen Schwankungen.

Spätestens ab 2006 soll die Oberbürgermeisterin laut Anklage zusammen mit ihrer parteilosen Stadtkämmerin, einer studierten Wirtschaftsmathematikerin, Swap-Verträge abgeschlossen haben, die allein der Gewinnerzielung dienten, also der Sanierung des kommunalen Haushalts. Das ist jedoch für Kommunen nicht zulässig, sie dürfen mit solchen Hebelprodukten nur Zinsrisiken absichern.

Wäre alles gut gegangen, hätte die 120.000 Einwohnerstadt schuldenfrei sein können. Doch die meisten Swaps erzielten stattdessen Verluste in Millionenhöhe. Um diese nicht aus dem Stadthaushalt bezahlen zu müssen, versuchte die Angeklagten mit immer neuen Zinswetten Zeit zu gewinnen. Diesem Versuch setzte die Finanzkrise 2008 endgültig ein Ende.

Kein Einzelfall

Pforzheim ist kein Einzelfall. Hunderte deutscher Gemeinden hatten in den nuller Jahren versucht, sich mithilfe von Derivaten von ihrer Schuldenlast zu befreien. Oft mit desaströsen Folgen. Das zog Zivilverfahren gegen Banken nach sich.

Der Prozess in Mannheim ist allerdings der erste in Deutschland, bei dem Amtsträger wegen Untreue angeklagt worden sind. Anders in Österreich. Im Juli wurde dort der langjährige Salzburger Oberbürgermeister Heinz Schaden wegen ähnlich verlustreicher Spekulationen der Untreue für schuldig befunden und zu drei Jahren auf Bewährung verurteilt.

Der Mannheimer Wirtschaftsstrafkammer steht ein langwieriges Verfahren bevor. Die Staatsanwaltschaft hält den Tatbestand der Untreue für erfüllt. Zwei ebenfalls angeklagte Mitarbeiter der Investment-Bank J. P. Morgan sollen Beihilfe geleistet haben. Der Stadt Pforzheim sei durch Gebühren und Aufschläge für die Banken ein Schaden von insgesamt 13 Millionen Euro entstanden.

Außerdem wirft der Staatsanwalt Augenstein und Weishaar vor, den Gemeinderat in all der Zeit über die Spekulationsgeschäfte getäuscht und dafür sogar ein Ausschreibungsverfahren zugunsten von J. P. Morgan manipuliert zu haben. Die Verteidigung hält alle Vorwürfe für haltlos. Ein Urteil wird nicht vor Januar 2018 erwartet.

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