Berliner Szenen
: Wir kannten uns kaum

Die Beerdigung

Ja, ist ja gut. Ich steh schon auf. Und geh hin

Beerdigungen sind kein Stoff für Kolumnen. Vor allem dann nicht, wenn die Toten im Alter der Lebenden sind, nein, waren, die um das Grab herumstehen und nicht wissen, was sie den Hinterbliebenen Tröstendes sagen sollen, die allesamt älter sind, als die Tote geworden ist, (Generationen älter!), – bis auf: „Es tut mir so leid!“

Keine Großmutter sollte ihre Enkelin beerdigen müssen. Das ist einfach nicht richtig. Das ist nicht die richtige Reihenfolge! Eigentlich sollte ihre Enkelin sie an dieser Stelle, an diesem sonnigen Morgen im ansonsten bis jetzt verregneten Sommer 2017 begraben. Sie sollte da unten liegen. Und sie, die andere, sollte hier oben stehen und Querflöte spielen. Für sie. Nicht andersrum.

Eigentlich wollte ich gar nicht hingehen. Ich kannte sie kaum. Sie lebte eines der tausend Leben parallel zu meinem. Selbe Schule, selbes Jugendzentrum. Mein erster Freund war ihr bester. Ich glaube, sie mochte mich nie besonders. Wir uns. Ist halt so. Manchmal. Nicht schlimm. Wir mochten uns auch nie nicht. Wir waren uns einfach egal. Und dann kam die Nachricht von D. über Messenger.

Ich saß auf der Terrasse eines weiß getünchten No-name-Ferienhauses an der Ostsee und sah in den Sonnenuntergang, als D. schrieb: „Hallo Lea, hast du gehört, M. ist gestorben?“

Eigentlich wollte ich nicht mal hingehen. Aber dann erwachte ich am Morgen von M.s Beerdigung zu Sonnenaufgang, dachte: „Ich geh nicht hin“ (Ich kannte sie doch kaum!). Und dann träumte ich die folgende Stunde lang so intensiv von ihr, wie sie voll schnippisch meine Radiokolumne kritisierte. Und dann wachte ich auf und dachte: Ja, ist ja gut. Ich steh schon auf. Und geh hin.

Weil man zu Beerdigungen immer gehen sollte. Sie sind der einzige Anlass für öffentliches Traurigsein, den es gibt heutzutage. Lea Streisand