Die Wahrheit: Fetzt wie Sex

Autoaggressives Training als Chance für Selbstmordattentäter: Ein Verein will Betroffene jetzt in die Gesellschaft integrieren.

Ein Mann steht an der Tür zu einem beschädigten Gebäude, auf dem Boden vor ihm Schuhe und Bretter

Schluss mit dem unnötigen Blutvergießen bei Attentaten! Foto: reuters

Markus Krüger ist oft traurig in diesen Tagen. Fast jede Woche gibt es irgendwo auf der Welt ein feiges, blutiges Selbstmordattentat. Nicht nur im arabischen und afrikanischen Raum, inzwischen auch in Europa. Nach London, Paris und Brüssel wurde im letzten Jahr auch Berlin zum Anschlagsziel.

Markus Krüger, ein stämmiger Finanzfachwirt aus dem Fränkischen, will etwas dagegen tun. Mit seinem Verein Heros statt Zeros e. V. will er Selbst­mord­attentäter wieder in die Gesellschaft integrieren. „Selbstmordattentäter“, sagt er, „haben den Blick für das Wesentliche verloren. Die Idee, für eine größere Sache zu sterben, also zum Beispiel für eine Religion, ist im Ansatz nicht schlecht, nur ist die Ausführung oft nicht gut durchdacht. Selbstmordattentate sind wie Sex – man sollte das nicht in der Öffentlichkeit tun. Ich finde es gut, dass Fanatiker für ihren Glauben sterben, doch sie müssen ja dafür keine anderen Menschen töten. Deshalb haben Selbstmordattentate momentan einen schlechten Ruf. Niemand würde aber etwa auf die Idee kommen, japanische Kamikazeflieger des Zweiten Weltkriegs in eine Reihe mit den Attentätern des 11. September zu stellen.“

Genau hier will Markus Krüger ansetzen. Sein Verein verfolgt zwei Hilfestrategien: Sinngebung und Imageverbesserung. „Ganz wichtig ist die PR, die Außenwirkung“, sagt Krüger. „Selbstmordattentäter müssen wieder als Helden angesehen werden, nicht als Schurken. Selbstmordattentate sind ja nichts Neues, das gab’s schon vor Jahrhunderten. Aber religiöser Fanatismus unterliegt auch immer gewissen – wie soll ich sagen – Moden.“

Vorbilder: Vietnam und DDR

Er holt eine Mappe mit Fotos heraus, auf allen sind brennende Menschen zu sehen. „In den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts etwa“, fährt er fort, „waren Selbstverbrennungen sehr beliebt. Junge Menschen setzten sich an einen öffentlichen Ort, übergossen sich mit Benzin und zündeten sich an. Hier, auf dem Bild, protestiert der vietnamesische Mönch Thich Quang Duc in Saigon gegen die Unterdrückung der Buddhisten in Südvietnam. Er zündet sich an. Das war 1963. Und das hier ist ein berühmter deutscher Fall. 1976 verbrannte sich Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Protest gegen die politischen Verhältnisse in der DDR. Da haben die Menschen fasziniert wochenlang drüber geredet, zu Hause, am Arbeitsplatz, abends in der Kneipe.“ Markus Krüger packt die Fotos wieder ein.

„So“, fragt er, „wie ist nun die Wirkung von Selbstmordattentaten? Die Bevölkerung ist entsetzt, hat Angst, aus dem Haus zu gehen, die Presse heizt diese Angst an, die Politiker verschärfen die Gesetze. Es kommt zu tagelangen Ausgehverboten, Sicherheitsstufen drei bis vier, die Wirtschaft geht in den Keller, der Tourismus leidet. Das muss nicht sein. Wie hingegen reagiert die Öffentlichkeit auf eine Selbstverbrennung? Mit Empörung, Mitleid, Trauer, Empathie. Das ist doch alles viel positiver.“

Der Islam hätte ein neues Image, würden sich die Attentäter verbrennen und nicht sprengen

Markus Krüger räuspert sich. „Selbstverbrennungen sind ja auch, im Vergleich zu Selbstmordattentaten, viel schmerzhafter, der Verbrennende leidet, das macht ihn in den Augen der Öffentlichkeit noch viel mehr zum Märtyrer als ein reiner Attentäter, der in Sekunden­bruchteilen – puff – einfach tot ist. Das ist ja nun auch keine Leistung, die mit 72 Jungfrauen belohnt werden müsste.“ Er nickt bedächtig, lauscht seinen Worten hinterher und nippt an seinem Tee.

Selbstverbrennung ist freie Meinungsäußerung

„Stellen Sie sich jetzt vor, welches Image der Islam hätte, würden sich die Gläubigen nicht mit Sprengstoffgürteln in die Luft sprengen, sondern selbst verbrennen. Kein Hass mehr, nur Mitleid, die Menschen würden sich dafür interessieren, was die Muslime wollen. Und in den Himmel und zu ihren 72 Jungfrauen kommen die Märtyrer ja trotzdem oder umso mehr, da sie ja auch mehr leiden.“

Krügers Verein Heros statt Zeros hat ein Programm gestartet, um öffentliche Selbstverbrennungen wieder populärer zu machen. „Natürlich müssen wir mit den potenziellen Attentätern erst mal ins Gespräch kommen, also mit quasi allen männlichen muslimischen Jugendlichen zwischen 14 und 28 Jahren. Dann wollen wir Selbstverbrennungsplätze zurück ins Stadtbild bringen. Selbstverbrennung ist freie Meinungsäußerung. Und die ist ja vom Grundgesetz garantiert. Öffentliche Selbstverbrennungsplätze könnten so was wie der Speakers Corner in London werden. Hier …“

Markus Krüger zeigt auf seinem Notebook ein Bild, wie das Projekt aussehen soll. Im Hintergrund der Kölner Dom, vor dem Dom ist eine etwa drei mal drei Meter große Stahlplatte in den Boden eingelassen. Während Passanten entlangflanieren, kniet im Vordergrund eine kleine menschliche Figur, die sich gerade selbst verbrennt, die ersten Flammen schießen schon in die Höhe.

Rund oder viereckig?

„Das wollen wir in ganz Deutschland machen. In jeder Stadt, an öffentlichen Orten, vor Kirchen und Moscheen, aber auch vor dem Kanzleramt oder vor einem Einkaufszentrum. Lustigerweise war an derselben Stelle vor dem Kölner Dom vor Hunderten von Jahren ein Hexenverbrennungsplatz“, ergänzt er und klappt das Notebook zu. „Wir sind uns noch nicht ganz einig, ob die Platten besser rund oder viereckig sein sollen. Ich bin ja für rund, das steht für die Welt und die Einheit mit dem Universum und ist einfach ästhetischer als ein Quadrat. Da können sich dann Menschen aller Religionen und Weltanschauungen verbrennen. Aber eine quadratische Platte ist natürlich billiger, was die Kosten betrifft.“

Es gibt noch viele Hürden, die es zu nehmen gilt, bürokratische zunächst, aber auch persönliche. Deshalb arbeitet der Verein Heros statt Zerosebenso an anderen Projekten, um Selbstmordattentätern zu helfen. „Viele Gläubige sind ein bisschen scheu und wollen kein großes Publikum. Also schon irgendwie, aber erst nach der Tat. Unsere Umfragen und Gespräche haben ergeben, dass es vielen Männern unangenehm ist, sich bei ihrer Selbstverbrennung zuschauen zu lassen. Für die ist unser zweites Projekt gedacht.“

Markus Krüger klappt das Notebook wieder auf, dann spielt er ein Video ab, wie es zu Hunderten bei YouTube zu sehen ist. Ein heruntergekommenes Fabrikgebäude irgendwo in den neuen Bundesländern. Man hört einen Knall, Staubwolken quellen aus den kaputten Fenstern, das Gebäude fällt in sich zusammen. „Jedes Jahr werden in Deutschland noch immer zig Gebäude gesprengt statt abgerissen. Und in den USA ist die Zahl um ein Vielfaches höher.“

Solide Ausbildung, abgeschlossenes Studium

Heros statt Zeros will die Selbstmordattentäter wieder in die Arbeitswelt integrieren. „Viele haben ja eine richtig solide Ausbildung, sogar ein abgeschlossenes Studium, zumeist in technischen oder Ingenieursberufen. Piloten, Architekten, Physiker, das wäre Verschwendung, wenn man das nicht nutzte. Wenn wir statt der normalen Sprengladungen Selbstmordattentäter nehmen, ist beiden Seiten geholfen. Fachpersonal an der richtigen Stelle, und sinnvoll eingesetztes Märtyrertum.“ Der Islam soll seinen guten, alten Ruf zurückbekommen, weg von der gewaltverherrlichenden Religion, die wir aus den Medien kennen, hin zur Religion der Nächstenliebe. Das wünscht sich Markus Krüger.

„Ich hab sogar schon überlegt, selbst zum Islam zu konvertieren“, sagt der Franke mit glänzenden Augen. „Aber das hat noch Zeit – jetzt müssen wir erst mal ein paar junge Menschen wieder auf den richtigen Weg bringen.“

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