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Raus aus dem Elfenbeinturm

Schreibtisch to rent Koworking-Places: Vom Einzelschreibtisch bis zum Konferenzraum können Interessierte sich hier kurzfristig einmieten

„Viele Menschen wollen nicht mehr abgeschottet vor sich hin arbeiten“

Johanna Pieper, Handelskammer Hamburg

„You‘ll never work alone…“ steht an der Wand des Cafés im „Betahaus“ im Hamburger Schanzenviertel. Vor der Theke im Eingangsbereich des Hauses befinden sich kleine Tische mit Blumenvasen und Sofas, die zum Gespräch einladen, und auch ein Tischkicker ist vorhanden. Im selben Raum, etwas abseits des Cafébereichs, befindet sich eine ruhigere Ecke, an der Nutzer des „Betahauses“ an großen Tischen nebeneinander schweigend auf den Tastaturen ihrer Laptops tippen. An der Wand neben ihnen stehen selbstgebaute Telefonzellen, in denen die Nutzer ungestört vom Lärm des Großraumbüros telefonieren können.

Hier im Erdgeschoss, aber auch in der ersten Etage des vierstöckigen Hauses, befinden sich die sogenannten Flex Desks – mietbare Arbeitsplätze, die jeden Tag neu belegt werden können. Doch das ist nicht alles, was man in den verschiedenen Stockwerken des „Betahauses“ findet: Auch geschlossene Büros, Räume für Meetings, Seminare und andere Fortbildungsveranstaltungen sind buchbar – nur für einen Tag, aber auch für mehrere Wochen.

Große Unterschiede

Das „Betahaus“ ist eine von mehreren Dutzend Koworking-Flächen in Hamburg. Beim Koworking handelt es sich um eine neue Arbeitsorganisation aus den USA, bei der Studenten und Berufstätige sich einen Arbeitsplatz bei Anbietern dieser Spaces zeitlich befristet anmieten. Von Anbieter zu Anbieter gibt es dabei große Unterschiede im Angebot: So kann man sich wie im „Betahaus“ oft einen Flex Desk in einem Großraumbüro oder aber auch Gruppenbüros sowie private, abgeschlossene Einzelbüros mieten. Außerdem besteht die Möglichkeit, Konferenzräume zu buchen. Einige Unternehmen werben auch mit Extras wie Cafés, Relax-Areas, Workshopräumen.

Auch das „Betahaus“ hat einige Besonderheiten zu bieten: So finden hier zum Beispiel regelmäßig freiwillige „Beta-Breakfasts“ und gemeinsame Lunchs sowie Workshops und abendliche Events statt, um die Gemeinschaft der Nutzer zu stärken und den Austausch zwischen ihnen zu fördern.

Diese Gemeinschaft ist neben dem freien Arbeiten der wichtigste Aspekt des Koworkings. So entsteht eine ganz besondere Arbeitsatmosphäre, die viele Freiberufler aus dem Homeoffice oder dem privaten Büro zu einem Koworking-Unternehmen zieht: „Zu Hause hast du einfach nicht diesen kollegialen Austausch. Und auch wenn du mit den Leuten, die hier sind, nicht zusammenarbeitest, hast du trotzdem das Gefühl, dass du nicht alleine bist.“, erklärt Teelke Meyer, Community-Managerin im „Betahaus“, die Besonderheiten.

„Viele Menschen wollen nicht mehr abgeschottet vor sich hin arbeiten – beim Koworking treffen Leute aufeinander, die sich noch nie gesehen haben und daraus entstehen nicht selten gemeinsame Projekte“, ergänzt Johanna Pieper von der Handelskammer. Auch Jenny, die als Designerin ein kleines Gestaltungsbüro im „Betahaus“ angemietet hat, berichtet: „Das Wichtigste ist die Arbeitsatmosphäre. Ich mag dieses Miteinander, auch wenn alle ihr eigenes Ding machen.“

Dadurch, dass Koworking-Spaces für jeden zugänglich sind, findet sich hier eine Vielzahl unterschiedlichster Menschen aus verschiedenen Berufsfeldern wieder. So nutzen einerseits Freiberufler, digitale Nomaden, Künstler und Kreative und die Gründer kleinerer Firmen, andererseits aber auch Studenten und große Unternehmen die Angebote der Koworking Spaces. „Dadurch, dass wir sehr günstig sind, gibt es hier eine sehr große Bandbreite an Menschen und an Menschen in verschiedenen Entwicklungsstufen und auch an Wissen. Es ist sehr spannend, was sich daraus ergibt“, preist Meyer das Konzept an.

Die Kosten für einen Schreibtisch schwanken stark und sind abhängig von Anbieter, der Arbeitsplatzgestaltung und der zur Verfügung stehenden Materialien. Für einen Schreibtisch in einem Großraumbüro kommt man auf circa 190–490€ im Monat. Tageweise sind diese Arbeitsplätze ab etwa 15 Euro zu haben, abgeschlossene Büroräume sind teurer. Im Vergleich zu den Fixkosten eines „normalen“ Büros ist man mit einem Koworking-Schreibtisch in der Regel besser dran – nur zu Hause arbeiten ist kostengünstiger. Doch da, so berichten viele Koworking-Nutzer, „fällt einem schnell die Decke auf den Kopf.“

Adressen und Kaffee

Außerdem bieten viele Koworking-Unternehmen auch spezielle „Flatrates“ an, in denen zum Beispiel Geschäftsadressen und Telefonnummern, manchmal aber auch der unbegrenzte Internetzugang oder so viel Kaffee, wie man trinken kann, enthalten sind.

Im Zeitalter der digitalen Medien wird das Imperium der Koworking-Spaces vermutlich wachsen. Die Möglichkeiten, die dadurch entstanden sind, seien nahezu unbegrenzt, so Wolfgang Lebrecht, Inhaber des „Werkheims“ in Hamburg-Ottensen. Die Nutzer würden sich helfen und ergänzen, Business zu machen und feste Kooperationen würden entstehen – Koworking-Places seien ein „Schmelztiegel“.

Doch trotz der wachsenden Nachfrage sind die mietbaren Arbeitsplätze für ihre Anbieter kein Selbstgänger. Unter großer Medienresonanz eröffnete das Hamburger Unternehmen HC Hagemann im April das erste Büroschiff. Nach 40 Jahren Fährverkehr zwischen Cuxhaven und Helgoland sollte die am Fuße der Elbphilharmonie vertäute „Seute Deern“ Raum zum lernen, arbeiten und netzwerken bieten – mit Elbblick und zu einer Tagespauschale von 16 Euro, wobei Studierende gar nur die Hälfte zahlen mussten. Doch die Nachfrage blieb aus, nach nur vier Monaten lief das maritime Konzept auf Grund. Seit dem 31. Juli ist Koworking auf dem ehemaligen Seebäderschiff Geschichte. „Wir haben keine Erklärung dafür, warum das Interesse so gering war“, sagt Unternehmenssprecherin Kathrin Staehlin ratlos. Ella Carini