Das Ende der Roboterliebe

UNABHÄNGIG Nordwest wird abgeschafft: Ab Mitte August sendet Radio Bremen sein kulturell informiertes Rundfunkprogramm wieder unter altem Namen

Live-Hörspiele sind das Glück der Radiomacher Foto: dpa

von Benno Schirrmeister

Es ist eine echte Reform, eine mit guten Vorsätzen und viel mehr als bloß der Abschied von einem nie geliebten Namen: Wohl hat sich Radio Bremen (RB) auch dazu entschieden, die Welle Nordwestradio künftig unter dem etwas traditionell anmutenden Titel „Bremen 2“ zu rubrizieren, „weil wir es jetzt können“, wie Programmdirektor Jan Weyrauch am Mittwoch bei einem Pressefrühstück erläuterte.

Denn tatsächlich war ja der Plastikname „Nordwestradio“ ein Zugeständnis an den NDR gewesen. Der musste das hoch kulturell grundierte Programm im Rahmen des ARD-Finanzausgleichs mitbezahlen und wollte es, logisch, nicht als rein bremisch etikettiert wissen. Mit der Neuordnung der Rundfunkfinanzen war jedoch die Zusammenarbeit zu Ende gegangen. RB ist allein zuständig und bringt das, folgerichtig, ab 12. August auch im Claim zum Ausdruck.

Aber für die realen und potenziellen HörerInnen wichtiger als diese rundfunkpolitischen Hintergründe ist, dass man die Gelegenheit auch für eine echte Umgestaltung des Programms genutzt hat. Deren Herzstück ist der große Ausbau des Liveprogramms: Jede Woche soll es gut 30 Stunden weniger automatisierten Rundfunk geben. Zumal, am Wochenende werden Menschen die Studios zurückerobern: Echte ModeratorInnen sollen künftig wieder auch samstags und sonntags bis in die Nacht hinein gestalterisch in den Ablauf eingreifen können und dürfen, während bislang an den Wochenenden ab 14 Uhr die Roboter die Studios dominierten. „Trotzdem lieb ich dich, trotzdem hör ich dich“, hatten zuletzt laut Media-Analyse gerade mal 31.000 HörerInnen gesagt. Den gleichen, etwas antizyklisch wirkenden Impuls setzt man auch, indem montags bis freitags jeweils bis 24 Uhr moderiert wird. „Wir wollen mehr von dem, was Radio ausmacht“, so Programmleiter Karsten Binder, „und das ist: livig sein.“ Das bedeutet: Es kann auch mal etwas sprachlich danebengehen, im Eifer des Gefechts. Vor allem aber ist möglich, auf die Weltlage spontan zu reagieren, sie zu reflektieren und gegebenenfalls den geplanten Sendeablauf umschmeißen.

Aber nur gegebenenfalls: „Wir werden natürlich nicht auf die gebauten, vorproduzierten Formate verzichten“, so Binder. Reportagen etwa würden zwingend ins Programm gehören, ebenso hält man mit Michael Augustins „Fundsachen“ und dem niederdeutschen Hörspiel den wenigen, aufwendig produzierten Garanten einer relativ erhöhten Quote die Treue Und auch wenn Binders Augen einen Moment aufflammen bei der Vorstellung, wie zu Orson Welles Zeiten „Live-Hörspiele zu produzieren mit Geräuschemacher und Unterbrechungen durch Nachrichtensendungen“: Wenigstens jetzt im Anfang setzt man auf Vorproduziertes. So sind die ersten Folgen einer von Wolfgang Sees­ko und Jan Georg Schütte entwickelten Impro-Hörspielserie unter dem Titel „Paartherapeut Klaus Kranitz“ bereits im Kasten. Am 18. August wird Teil eins ausgestrahlt.

Bremen 2 ist ab 12. 8. auf derselben Frequenz wie bisher Nordwestradio zu empfangen: auf UKW 88,3 MHz in Bremen und 95,4 MHz in Bremerhaven.

Nordwestradio hatte diese im Jahr 2001 als paritätisch von NDR und RB finanzierter Nachfolger von Bremen 2 übernommen. Die neue Welle werde die überregionale Wahrnehmung von Radio Bremen erweitern, versprach der damalige Intendant Heinz Glässgen der taz. „Das stärkt den Standort Bremen publizistisch.“

Die Premiere der ersten RB-Hörspiel-Serie „Paartherapeut Klaus Kranitz“ kann man am 18. 8. ab 18 Uhr stilecht am Dampfradio im Rundfunkmuseum Findorff genießen.

Der Umfang des Relaunch ist bemerkenswert, weil Bremen 2 zwar nicht weniger Geld zur Verfügung haben wird, aber auch nicht mehr: „Wir mussten sicherstellen, dass das Ganze nicht einen Euro mehr kostet“, sagt RB-Kulturchef Stephan Cartier. Auch wenn neu akquirierte Formate – unter anderem wird man zwei Erfolgspodcasts, deren Produktionskosten extrem niedrig liegen, ins „lineare Radio“ übernehmen – nicht unbedingt viel gekostet haben, insgesamt bedeutet der Relaunch, dass man mehr Programm mit einem gleich bleibenden Redakteurs- und Mitarbeiterstab zu bewältigen plant. Als RB-MitarbeiterIn könnte man darin auch eine Gehaltskürzung sehen.

Zugleich setzt man sich unter Erfolgsdruck: die Reichweite, den völlig unzureichenden Bekanntheitsgrad, den das Programm nach 15 Jahren erreicht hatte, schnell zu überflügeln. Als Ziel hat man sich gesetzt, in der Region das Kulturradio mit der stärksten Akzeptanz zu werden: Deutschland Radio, Deutschlandradio Kultur und NDR Kultur konkurrieren dabei um HörerInnen, die man sich laut Binder als Angehörige zweier sozialer Gruppen vorstellen muss: Die eine bestehe aus kulturaffinen Digital Natives um 35, die andere aus „extrem weltoffenen“ Menschen im Alterssegment 60 plus, die Hoch- und Popkultur gleichermaßen konsumieren und „nach Futter für den Geist“ ebenso verlangen wie nach dem Konzerttipp für den Abend. „Unser Vorteil ist, dass wir unsere Inhalte spezifisch für die Region ausrichten können“, so Weyrauch.

Nicht ganz eliminiert, aber aufs durch den Staatskirchenvertrag erzwungene Nötigste zurückgefahren hat Radio Bremen die Gottesdienstübertragungen. Man plant, den Bekenntnisfunk-Pflichtanteil in ein Magazin zu gießen, das zu zwei Dritteln von christlichen Kirchen, zu einem Drittel von RB gestaltet wird. Allerdings fehlt der Idee mindestens von katholischer Seite der Segen.