Ständig was zu tun: Margarita Richard vor ihrem Computer in Hamburg Foto: Knut Henkel

Margarita macht’s möglich

BILDUNG Margarita Richard ist die Gründerin der Schule Jesús de Nazareth im ecuadorianischen Guayaquil. Doch statt vor Ort zu unterrichten, kümmert sich die Lehrerin von Hamburg aus um die Finanzierung ihrer Schule. Ein Projekt mit unsicherer Zukunft

von Knut Henkel

Neben einem der Klassenräume im zweiten Stock steht ein Schreibtisch, dahinter befindet sich eine kleine Tür. Natasha Espinosa, Rektorin der Schule Jesús de Nazareth, sieht den fragenden Blick: „Hier hat sich die Gründerin der Schule, Margarita Richard, einen kleinen Raum eingerichtet, wo sie unterkommt, wenn sie uns besucht“, sagt Espinosa beim Rundgang durch die Schule im Stadtteil Pascuales von Guayaquil.

Die Küstenmetropole Ecuadors ist in den letzten Jahrzehnten kräftig gewachsen und mit ihr auch die Schule in dem Arbeiterviertel. Dort ist Margarita Richard überall präsent. Ihr Foto prangt über dem Schreibtisch von Rektorin Espinosa, kein Tag vergeht, an dem die beiden sich nicht per Skype austauschen. Im Computerraum hängt eine Danksagung und auch die neuen Stühle für das English-Sprachlabor sollen einmal aus Hamburg finanziert werden.

„Ohne Margarita hätten wir schon lange dicht machen müssen“, sagt Espinosa. „Die Schule ist ihr Baby. Sie hat sie 1988 gegründet, ist 1992 ins Ausland gegangen, um für die Finanzierung zu sorgen und dafür ist sie bis heute verantwortlich.“

Espinosa wiederum ist vor Ort dafür verantwortlich, dass die 15 Lehrer ihr Gehalt bekommen, dass das Licht brennt und der Wasserhahn läuft und die Eltern der neuen Kinder jede noch so aberwitzige Frage beantwortet bekommen.

Darunter auch jene, warum Margarita Richard ins fast 11.000 Kilometer entfernte Hamburg gezogen ist, um von dort aus „ihre“ Schule zu finanzieren. „Ich habe damals keinen anderen Weg gesehen. Ich fühlte mich nach der Gründung der Schule in der Verantwortung gegenüber den Eltern und Lehrern. Also habe ich in Hamburg Geld gesammelt, um die Schule über Wasser zu halten“, sagt die ausgebildete Grundschullehrerin.

Putzjob in Hamburg finanziert Schule in Equador

Anfangs hat sie in Hamburg illegal gelebt, geputzt, Kinder gehütet und jeden Pfennig, der am Ende des Monats übrig blieb, nach Guayaquil transferiert. Daran hat sich nichts Wesentliches geändert – auch heute lebt die Pädagogin mit den schwarzen Dreadlocks nur für die Schule. Allerdings gibt es heute den Trägerverein „Ojala“, dem die Schulpaten angehören und über den jeden Monat ein paar Tausend Euro von Hamburg nach Guayaquil fließen.

Sitz des Vereins ist die Dachgeschosswohnung in der Kieler Straße, wo Richard mit ihrem Mann Fernando Delgado, einem Argentinier, lebt und wo die Schule und vor allem das Geld für die Schule latent ein Thema ist. Manchmal wird nämlich mehr, oft weniger als vor Ort benötigt wird, überwiesen. Und wenn es nicht reicht, ist es Margarita Richard, die als Generaldirektorin der Schule für jede offene Rechnung haften muss.

Daran hat sich seit 1988 nichts geändert. Damals baute die Grundschullehrerin, in dem gerade erst gegründeten Stadtviertel, wo auch ihre Familie lebt, eine einfache Hütte, um die Kinder zu unterrichten. Pascuales lag noch außerhalb der Stadtgrenzen von Guayaquil, am Rande von Zuckerrohrfeldern. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Gepflasterte und geteerte Straßen dominieren das Viertel und die Hütten sind stabilen, aber einfachen Häusern aus Beton und Backstein gewichen.

Lehrer, Schüler, Eltern: Filadelfia Reyes Méro (3. v. l.) mit José , Rektorin Natasha Espinosa (r.) Foto: Knut Henkel

Die älteste Lehrerin, Petita Sánchez, kann sich noch gut erinnern, wie das Wasser bei Regen durch die Hütte lief. „Heute unterrichten wir in einem Schulkomplex mit Gebäuden beiderseits der kleinen Stichstraße“, sagt sie und der Stolz in ihrer Stimme ist kaum zu überhören. Auf der einen Seite sind die Jüngeren untergebracht, auf der anderen die Älteren der Klassen vier bis sieben. Dort befindet sich auch das Sprachlabor, wo English unterrichtet wird, die neue Klimaanlage und ein ­Beamer installiert sind.

„Eine optimale Ausstattung – viele staatliche Schulen können das nicht bieten“, sagt Rektorin Espinosa. Die alleinerziehende Mutter arbeitet wie so viele andere Kollegen auch vormittags an einer staatlichen Schule und nachmittags in der „Jesús de Nazareth“. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass ein Gehalt nicht reicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

„Grundnahrungsmittel für einen Monat kosten rund 500 US-Dollar. Als Lehrerin an einer staatlichen Schule verdiene ich 840 US-Dollar. Das reicht einfach nicht“, sagt die Frau Anfang 50, die drei Kinder zu versorgen hat. Also arbeitet sie am Nachmittag an der Schule von Margarita Richard. Rund 210 Schüler gehen derzeit in die „Jesús de Nazareth“ und ein weiteres Stockwerk auf einem der Gebäude zeugt davon, dass weitere Klassenräume dazukommen sollen.

„Der Bedarf ist da“, meint Filadelfia Reyes Méro. Sie hat ihren sechsjährigen Sohn José Luis hier angemeldet. „Hier im Stadtteil gibt es keine andere Schule. Als Betreiberin eines kleinen Nachbarschaftsladens kann ich mir keine langen Wege leisten und obendrein haben viele staatliche Schulen einen schlechten Ruf“, sagt sie.

Die „Jesús de Nazareth“ hat hingegen einen guten Ruf, weil die Lehrer engagiert sind und die Eltern schon mal Hand anlegen, um der Schule einen neuen Anstrich zu verpassen oder das Geld für die Klimaanlage mit einem Flohmarkt inklusive Kuchentresen einzutreiben. Das sorgt für Zusammenhalt und ist auch ein Grund, weshalb Margarita Richard im 11.000 Kilometer entfernten Hamburg noch nicht das Handtuch geworfen hat.

Trotz latenter finanzieller Nöte: „Ich würde vor Traurigkeit sterben“, sagt sie pathetisch und sitzt wie jedes Wochenende mit ihrem Mann Fernando am Computer und schiebt Zahlenkolonnen hin und beantwortet Anfragen von potenziellen Praktikanten in der „Jesús de Nazareth“. Schulabgänger, die ihr soziales Jahr in Pascuales absolviert haben, hat es schon viele gegeben und einige Paten waren in den letzten Jahren öfter als Margarita Richard in der Schule.

Kaum Geld vom Staat

Warum die Schule nicht ohne sie auskommt, ist auf den ersten Blick nicht leicht zu verstehen, denn schließlich hat die Regierung Ecuadors in den letzten Jahren einiges getan, um das Bildungsniveau zu heben: Mehr Kontrollen durch Schulinspektoren, Auflagen für die Lehrer, sich weiterzubilden, und auch mehr Geld wurden für die Bildung locker gemacht. „Doch anders als in Deutschland erhalten private Schulen kein Geld aus dem Regierungsfonds“, erklärt Richard mit leiser Stimme. „Sie gelten als Unternehmen und das Modell eines gemeinnützigen Schulprojektes existiert nicht.“

Natasha Espinosa, Rektorin

Richard hat mehrfach versucht, mit den Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen. Hin und wieder hat sie eine größere Summe ergattert, um die Schule auszubauen oder das Computerlabor einzurichten, aber stets zweckgebunden. Das Geld für die laufenden Kosten – rund 10.000 US-Dollar im Monat – muss sie durch Spenden aufbringen. Über das Schulgeld von 15,75 US-Dollar pro Kind kommen rund 2.500 US-Dollar zusammen, der Rest muss in aller Regel aus Hamburg kommen. Ein ungewöhnliches Modell, das auf der Kippe steht.

Richard ist gesundheitlich angeschlagen, was sie meist mit einem breiten Lächeln überspielt. Auch die sich anbahnende Schulpartnerschaft zwischen einer Schule in Hamburg-Sasel und der „Jesús de Nazareth“ werde an der finanziellen Schieflage kaum etwas ändern.

Richard war zuletzt im März mit der Vorsitzenden des Trägervereins, Gisela Kopka, in Pascuales. Auch die schwierige finanzielle Situation war dabei ein Thema. „Viele der Eltern sind kaum in der Lage, mehr für die Zukunft ihrer Kinder auf den Tisch zu legen“, erzählt Alvaro Panchana, der als Taxifahrer arbeitet. „Ich habe drei Kinder in der Schule, bin überzeugt von der guten Arbeit der Lehrer, die in Klassen mit rund 20 bis 25 Schüler unterrichten“, sagt er und lässt Rektorin Espinosa einsteigen, die er fast jeden Abend nach Hause bringt.

„Aber auch für mich ist ein höheres Schulgeld kaum drin. Es bleibt nichts übrig am Ende des Monats“, erklärt der Mann von Anfang 40. Argumente, die viele der Eltern vorbringen und die dazu geführt haben, dass Margarita Richard sich nach ihrer Rückkehr aus Ecuador wieder auf die Suche nach neuen Paten für ihr Schulprojekt gemacht hat.