Eine Spur in die Vergangenheit

debatte Bei Bauarbeiten wurden am Laagberg in Wolfsburg Fundamente einer Außenstelle von Neuengamme gefunden. Darf auf einem einstigen KZ Gelände nun ein Einkaufszentrum entstehen?

Sieht nur auf den ersten Blick idyllisch aus: Blick vom Laagberg in Wolfsburg Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Eigentlich sollte es tabu sein, auf einem einstigen KZ Gelände ein Einkaufszentrum zu errichten. Einfach eine glatte Benutzer- bzw. Konsumoberfläche über die Vergangenheit zu legen. Denn eine KZ-Gedenkstätte ist zwar kein heiliger, aber doch ein Ort des Leidens und Sterbens, gebaut auf Menschenverachtung und Rassenwahn des NS-Regimes.

Aber so war es in Wolfsburg ja auch nicht gedacht; die KZ-Reste wurden vielmehr überraschend während der Bauarbeiten gefunden. Entsprechend hilflos waren erste Ideen, die Steine irgendwo hinzubringen, wo sie weniger stören. Das klang so pragmatisch wie zynisch, und deshalb taten KZ-Überlebendenverbände gut daran, zu protestieren.

Das Wolfsburger Kompromissangebot, die Fundamente liegen zu lassen und mit einem nahen Gedenk- und Bildungsort zu verbinden, wirkt indessen so besonnen wie modern. Besonnen, weil es Respekt vor dem Original-Ort zeigt, der vielen etwas bedeutet. Modern, weil er das Gedenken – pädagogisch geschickt – in den Alltag integriert.

Ähnlich ist man beim Mercado-Einkaufszentrum in Hamburg-Altona auf einem einstigen jüdischen Friedhof sowie beim Hamburger Gedenkort Hannoverscher Bahnhof verfahren, wo sich Park-Ästhetik und Deportations-Gleise treffen.

Und unabhängig davon, warum man das Gedenken jeweils in den Alltag zog: Die Folge war nicht etwa eine Missachtung der Opfer oder das Einebnen der Erinnerung, sondern erhöhte Aufmerksamkeit durch Präsenz. Und das ist ja letztlich auch die Botschaft: Der Holocaust geschah nicht nur psychologisch, sondern auch geografisch genau hier und Antisemitismus und Rassismus sind noch immer nicht gebannt.

Abgesehen davon erreicht man durch dieses niedrigschwellige Erinnern weit mehr – und vor allem auch andere – Menschen als mit einem abgeschotteten Gedenkort, zu dem man eigens anreisen muss. Letztlich braucht man also beides: den auratischen Gedenkort mit eigenen Ritualen sowie den nahen Stolperstein, das KZ-Fundament auf der Straße, vorm Geschäft. Sie werden sich – gerade weil sie unsere tägliche Gedankenlosigkeit stören – umso nachhaltiger ins Gedächtnis fräsen. Petra Schellen

Hört man den Menschen in Wolfsburg nur ein paar Minuten zu, wird deutlich, warum kein Einkaufszentrum auf KZ-Mauerresten gebaut werden darf. Der NDR hat Leute auf der Straße gefragt, was sie von der Idee halten. Da sagt eine Frau: „Man muss nicht andauernd vor Augen geführt kriegen, was mal gewesen ist.“ Und ein Mann: „Das ist schon so lange her und ein Einkaufszentrum wäre für mich natürlich optimal. Nicht nur ein Lidl, sondern auch mal was anderes.“ Und er setzt noch nach: „Ich möchte darüber gar nicht nachdenken, was da früher war. Wenn das weg ist, ist es weg und alles ist gut.“

Ein Ort zum Shoppen und alles ist gut? So einfach ist es natürlich nicht. Immer weniger Zeitzeugen leben. Wenn sie von ihren Erinnerungen an die grausamen Zustände in Konzentrationslagern wie dem in Wolfsburg-Laagberg sprechen, von der Zwangsarbeit und dem Hunger, können sie ein solches Desinteresse vielleicht durchbrechen und Emotionen in ihrem Gegenüber wecken. In Zukunft aber, wenn die letzten Überlebenden tot sind, müssen die Orte für sie sprechen, an dem die Menschen solches Leid erfahren haben.

Dafür, solche Plätze zu Erinnerungsorten zu machen, an denen Schüler und Schülerinnen lernen zu begreifen, welche Dimension die Verbrechen der Nazis hatten, haben wir eine große Verantwortung. Es ist ein großes Glück, dass diese Mauerreste gefunden und erhalten geblieben sind. Eine Spur der Vergangenheit die man greifen kann.

In der Außenstelle des KZ Neuengamme in Wolfsburg wurden fast 800 Deportierte zur Arbeit gezwungen. Mindestens 144 Menschen haben sich dort entweder zu Tode geschuftet oder wurden wegen Erschöpfung zurück ins Stammlager geschickt und gegen kräftigere Häftlinge ausgetauscht. Ihren Todesort kann man nicht einfach verlegen. Auch nicht um ein paar Meter, damit das Einkaufszentrum wie geplant gebaut werden kann. Erinnerung geht vor Konsum. In Auschwitz wird auch nicht geshoppt.

Was spricht dagegen, das Einkaufszentrum um ein paar Meter zu versetzen? Das wäre trotz der sicher anfallenden Mehrkosten besser, als eine KZ Gedenkstätte an einen Ort zu verschieben, der ohne Bezug zur Geschichte ist. andrea Scharpen