Polen Nach dem Verfassungsgericht will die nationalpopulistische PiS-Regierung jetzt auch noch das Oberste Gericht gleichschalten
: Staatsstreich um Mitternacht

Fassungslos: Małgorzata Gersdorf, Präsidentin des Obersten Gerichts Foto: Alik Keplicz/ap

Aus Warschau Gabriele Lesser

Die schlimmsten Gesetzentwürfe zieht Polens nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) immer kurz vor Mitternacht aus dem Ärmel. So war es auch am Mittwoch. Müde vom Streit über den bislang weitgehend unabhängigen Landesrichterrat und vom Boykott der Abstimmung, mit dem der Rat unter politische Kontrolle gestellt wurde, hofften die Oppositionsabgeordneten, jetzt endlich nach Hause und ins Bett gehen zu dürfen.

Doch urplötzlich änderte der Sejmmarschall die Tagesordnung. Die Abgeordneten sollten noch schnell über das zuvor vollkommen unbekannte Gesetzesprojekt eines PiS-Abgeordneten debattieren. Nicht alle begriffen sofort, worum es ging. Mit dem Gesetz über die Abschaffung des Obersten Gerichts in seiner heutigen Gestalt soll die Gewaltenteilung aufgehoben werden.

Tatsächlich peitschte die PiS mit ihrer absoluten Mehrheit im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, das Gesetz noch spätnachts durch. Wenn dann der Senat, in dem ebenfalls die PiS die absolute Mehrheit hat, zustimmt, steht der Verabschiedung des Gesetzes nichts mehr im Weg.

Die parlamentarische Opposition ist nicht nur vollkommen machtlos gegenüber der PiS, sondern hat auch Schwierigkeiten, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Am Ende muss Polens Präsident Andrzej Duda das Gesetz noch unterschreiben. Nun appellieren aber viele an ihn, sein Veto einzulegen.

Sollte der PiS-Plan dennoch aufgehen, wird Polen nach der Sommerpause kein unabhängiges Gerichtswesen mehr haben. Vielmehr wird es wieder eine Einparteienherrschaft geben wie schon einmal in der Volksrepublik von 1944 bis 1989 – ohne Gewaltenteilung und mit völlig bedeutungslosen Oppositionsparteien im Parlament.

Schon heute sind die Exekutive (Präsident und Regierung) und die Legislative (Sejm und Senat) in den Händen einer Partei: der Partei Recht und Gerechtigkeit unter Jarosław Kaczyński. Die Judikative mit ihren unabhängigen Richtern wehrte sich lange. Doch als Erstes fiel das Verfassungsgericht den Dauerattacken durch neue Gesetze zum Opfer.

Dass die Gewaltenteilung das Fundament jeder Demokratie ist und sich Exekutive, Legislative und Judikative gegenseitig kontrollieren sollen, schien nur noch die Richter und ein paar aufrechte Demokraten zu interessieren.

Das Staats- bzw PiS-Fernsehen TVP half kräftig mit, das Verfassungsgericht in Verruf zu bringen. Heute fehlt ihm jede Glaubwürdigkeit. Dieses ist nur noch ein Schatten seiner selbst, verstehen sich doch fast alle der neu ernannten Richter als Erfüllungsgehilfen der PiS.

„Das Staats- bzw. PiS-Fernsehen half kräftig mit, das Verfassungsgericht in Verruf zu bringen

Mit dem neuesten Gesetz soll nun das Oberste Gericht, das zu den schärfsten Kritikern der PiS-Justizpolitik zählt, unter Regierungskontrolle gebracht werden. Die Oberaufsicht soll Justizministers Zbigniew Ziobro erhalten. Dieser ist auch Generalstaatsanwalt und darf allen Staatsanwälten Weisungen erteilen sowie in alle Verfahren persönlich eingreifen.

Nur einen Tag nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes sollen alle Richter am Obersten Gericht – unabhängig von ihrem Alter – in den Ruhestand versetzt werden. Diejenigen, die dem Justizminister regierungs- bzw. PiS-loyal genug erscheinen, dürfen bleiben. Dann soll Ziobro dem gerade erst „reformierten“ und nun ebenfalls der Kontrolle der PiS unterstehenden Landesrichterrat die neuen Richter für das Oberste Gericht vorstellen. Am Ende soll wieder Polens Präsident Andrzej Duda das Ganze gutheißen und die der Partei genehmen Richter vereidigen.

Małgorzata Gersdorf, Präsidentin des Obersten Gerichts, rang in einem ­Fernsehinterview sichtlich um Fassung. Nie habe sie gedacht, dass sich Polen einmal vom Rechtsstaat verabschieden könnte. Der Tag, an dem die neuesten, wiederum verfassungswidrigen Gesetze von der PiS eingebracht wurden, werde als „schwarzer Mittwoch“ in die Geschichte Polens eingehen.

Noch am Donnerstag legten fünf ehemalige Präsidenten des Verfassungsgerichts eine gemeinsame Erklärung vor, in der sie die Parlamentarier wie auch den Präsidenten Polens dazu aufforderten, keine Gesetze einzuführen, „die der Republik Polen auf Dauer den Status eines demokratischen Rechtsstaats nehmen“.