Das Medienhaus an der Rudi-Dutschke-Straße | Mittendrin. Hoch genug. Kollektivsinn zeigen.

Boulevard der Besten
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Foto: taz

Reinfried Musch

Er sah 2003 eine Zeitungsannonce für einen interessanten Job: Reinfried Musch, 1947 in Tschöppichen, Sachsen, geboren, hatte schon viel in seinem Leben gemacht. Eine Biografie, die zu erfahren man als aus der alten Bundesrepublik kommender Mensch nur begierig sein kann. Gelernt hat er in der DDR den Beruf des Baumaschinisten, wurde Diplom-Wirtschaftler und Doktor der Ökonomie. Der „erste Westtitel“, so sagt er stolz, war der des Diplom-Controllers.

So bewarb er sich aber auf Grundlage der Stellenanzeige – auf den Posten des Ressortleiters Inlands. Irre genug, denn als Journalist hatte Musch, von 1968 bis 1990 Mitglied der SED (und letztens PDS) und einige Jahre im VEB Schnellflechter in Berlin-Weißensee stellvertretender Parteisekretär, noch nie gearbeitet. Die taz aber ließ sich von dieser – im bürgerlichen Sinne – abwegigen Bewerbung nicht verwirren: lud stattdessen den Ökonomen zum Gespräch und hatte ihn auf der Stelle als Controller angeheuert. Controller, das heißt Prüfung der Zahlen, Checks zur akkuraten Einhaltung der finanziellen Gegebenheiten – aus seiner Sicht sagt er: „Ein Controller kontrolliert nicht, er steuert vielmehr.“

Über sein Leben in der DDR gibt es Gerüchte: War er mal Privatsekretär von Lotte Ulbricht? Hat er Heiner Müller in ästhetischen Fragen beraten? War er mit Markus Wolf per Du? Alle Fantasien besagen, dass in ihm Glamour erkannt wird, der sich nicht in bunten Textilien erschöpft.

Ein interessanter Mann, der Karl Marx, Rudi Dutschke und Ralf Dahrendorf als seine wichtigsten geistigen Inspiratoren angibt. Dahrendorf ist für Reinfried Musch ein Stichwortgeber, weil der taz-Controller ein, wenn man so will, marxianischer Liberaler ist – ein freundlicher Mensch, den die Eigenheiten seiner Freunde, Nachbarn und Zufallsbekanntschaften lieber sind als jeder Mainstream, und sei es ein alternativer.

Er kann herzhaft lachen. Und fotografieren, dass es nur staunen macht. Der Vater dreier Söhne („alle zwölf Jahre einen“) hat glühendes Interesse an Religion und der Frage, warum Menschen glauben; schreibt für taz in Blogs und pflegt keine verzickten Feindschaften. Einer, der alt genug ist, um das Gerechte vom Richtigen unterscheiden zu können – und insofern seinen Sinn verfeinert hat, Fehler und Misslichkeiten als Markierungen späteren Geglücktseins zu erkennen. Kommenden Donnerstag wird er 70 Jahre alt. Wüsste man dies nicht, hat jede*r die Freiheit, in ihm einen Eigenbrötler mit starkem Kollektivsinn zu erkennen – und höchstens 31 Jahre jung. Jan Feddersen