Portfolio Die Fotografin Amélie Losier ist nach Ägypten gereist, um dort Frauen zu fotografieren. Ihre Arbeit zeigt, wie diese dort leben – und wie sie es trotz aller Widrigkeiten vermögen, sich gegen ihre Unterdrückung zu stemmen
: Sayeda, das a so offen, das e beseelt und leicht

Nour Gaber Mahfouz aus Kairo, geschieden und eine der wenigen Taxifahrerinnen der Stadt. „Zwei meiner Schwestern sagten, mein Beruf sei nicht akzeptabel. Am Anfang schämten sich meine Kinder meinetwegen – jetzt sind sie stolz. Ich will einen Verein für Taxifahrerinnen gründen, der geschiedene oder verwitwete Frauen ins Geschäft brächte. Wir brauchen eine Frauenrevolution!“

von Waltraud Schwab

Rawiya Abdel Kadr, 37, lebt auf einem Bauerndorf in der Oase Fayoum. Mit 12 lernte sie das Töpferhandwerk. Sie brachte es ihrem Mann, zwei Brüdern und zwei ihrer drei Töchter bei. „Ich bin eine Gamda, eine starke Frau. Ich bin Vater, Mutter und große Schwester gleichzeitig. Im Guten und im Schlechten bin ich diejenige, die alles stützt“

Sayeda ist ein Vorname für Mädchen in arabischen Ländern. Ein Name wie gesungen, weiche Konsonanten, klingende Vokale, das a so offen, das e beseelt und leicht. Dann allerdings wird die Übersetzung ins Deutsche gesucht – Sayeda, das heißt: die Frau. Ein Wort wie eine Verletzung, ein trockener, scharfer Laut im Maul. Wer soll da verstehen, dass Frauen in Deutschland es doch irgendwie geschafft haben, sich in Ansätzen eine gleichberechtigte Wahrnehmung zu erkämpfen (wenngleich manchmal nur auf dem Papier), den Frauen in Ägypten aber die Gleichberechtigung nicht als Geschenk in die Wiege gelegt wird? Ist auf den Klang der Sprache kein Verlass?

Dounia Mersel aus Kairo, 53, hier auf einer Hochzeit in Alexandria, arbeitet als Tagesmutter. „Ich habe mir meinen Mann nicht ausgesucht, musste ihn heiraten. Mit ihm geht es heute absolut nicht mehr, er hat zwei Gesichter, wir reden nicht miteinander, leben aber unter demselben Dach. Ich könnte mich scheiden lassen, würde dann alles verlieren, die Wohnung, alles, habe aber das Geld für die Scheidung nicht. Trotzdem: Ich beweine nicht mein Schicksal. Ich gehe mit Freundinnen aus, reise viel. Ich finde, dass Frauen Männer nicht ­brauchen“

„Sayeda“ heißt ein Projekt der in Berlin lebenden, vielfach ausgezeichneten Fotografin Amélie Losier. Sie hat Frauen jeden Alters, aller Schichten in Ägypten in ihren privaten Umfeldern porträtiert. Sie zeigt sie in bescheidenen Zimmern oder opulent möblierten, auf blumengemusterten Kissen oder gepolsterten Sesseln, mit Schleier oder ohne. Ihre Gefühle sind in ihren Augen zu lesen, ihre Geschichten in Interviews.

Hala Mustafa ist Politikjournalistin und lehrt an der Universität Kairo. Sie war zwölf Jahre mit einem Amerikaner verheiratet. Heute ist sie geschieden und wohnt im Familienhaus in Giza. „Das größte Problem für eine Frau in Ägypten ist, dass sie ständig bewertet wird: dein privates Leben, dein Verhalten – alles wird nach den von der Gesellschaft aufgezwungenen Kriterien beurteilt. Erforderlich wäre eine Reform, eine Modernisierung des religiösen Diskurses über Frauen, damit dieser mehr unserer Zeit entspricht“

Amélie Losier reiste für dieses Projekt seit 2014 mehrfach für Wochen nach Ägypten. Die Revolution, die 2011 begann, die den Muslimbruder Mursi an die Macht gebracht hatte und wieder stürzte, war schon vorbei. Von der Revolution war eine Militärdiktatur übrig. Jenseits der großen Umwälzungen allerdings wurden die Vergewaltigungen auf dem Tahrirplatz in Kairo, die während der revolutionären Platzbesetzungen dort zuhauf stattgefunden hatten, allmählich öffentlich.

Zwei junge Frauen während eines Moled, eines religiösen Festes, im Kairoer Stadtteil Zayyeda Zeinab

„Ich war vorher nie in einem arabischen Land“, sagt Amélie Losier. Dass es nun Ägypten war, war fast zufällig. Sie hatte sich mit einer Ägypterin angefreundet, und sie hatte das Buch „Warum hasst ihr uns so“ der ägyptisch-US-amerikanischen Journalistin Mona Eltahawy gelesen, das von der Frauen­verachtung in arabischen Ländern berichtet. „Da ich selbst eine Frau bin“, war ihr, einmal in Kairo, klar: Auch hier wird sie Frauen ins Zentrum ihrer Arbeit stellen, wie sie es andernorts getan hatte.

Nada Elissa, 26 Jahre, lebt in Kairo. Sie ist Fotografin, DJane, Designerin. „Auf der Straße hörst du ständig: ‚Hey Hübsche’ – ‚Schau mich an‘ – ‚Komm her‘. Mehrmals wurde ich fast geschlagen, weil ich grob antwortete. Wenn man auf verbale Angriffe antwortet, braucht man auf jeden Fall Selbstbewusstsein“

Nun legt sie ein Portfolio vor, das die kulturelle, traditionelle, strukturelle Unterdrückung der Frauen in Ägypten thematisiert, indem mit licht- und farbstarken Porträts deutlich wird, mit wie viel Fantasie und Vehemenz, mit wie viel Subversion, Durchhaltevermögen und Zuversicht sich die Frauen dagegen stemmen. Jede der Porträtierten findet Wege, sich ihres Werts und ihrer Selbstachtung zu versichern in dem, was sie tut – sei es, dass Mütter ihre Töchter nicht beschneiden lassen, dass Frauen sich selbstständig machen – auch in Männerberufen –, dass Mütter Söhnen und Töchtern gleiche Ausbildungen ermöglichen, dass sich Frauen von gewalttätigen Männern trennen. „Wir brauchen eine Frauenrevolution“, sagt Nour, die Taxifahrerin.

Amélie Losier: „Sayeda – Frauen in Ägypten“ erscheint im Oktober bei Nimbus Kunst und Bücher