Tapetenwechsel für die Kunst

Kunst-Spielplätze Schluss mit White Cube: In Delmenhorst und Oldenburg suchen zwei Ausstellungen ein neues Verhältnis von Vorder- und Hintergrund der Präsentation

Tapeten-Affront gegen die White-Cube-Idee im Oldenburger Horst-Janssen-Museum (oben) und Janssens „Papageientulpen“, bearbeitet von Helene von Oldenburg Fotos: Franziska von den Driesch, Layout: Andrea Dilzer © (Horst Janssen) VG Bild-Kunst Bonn, 2017

von Jens Fischer

Ausstellungen, die lineare Kunst- oder Künstlergeschichten erzählen, systematisch Sammlungen präsentieren oder durch szenografische Interpretationen Wirkungen manipulieren: Schluss damit, hieß es seit den 1980er-Jahren. Die Folge: In neutralisierten Räumen werden auf weißen Wänden die Kunstwerke horizontal in Augenhöhe aufgereiht und mit einem Objektschild versehen. Aber immer wieder sorgt das White-Cube-Konzept auch für Widerspruch. Statt Maler oder Zeichner sind dann Wanddesigner und Innenarchitekten die gefeierten – oder gehassten – Künstler der Ausstellungen. Die Inszenierung der Werke – ist das Werk: Blickwechsel dank Tapetenwechsel.

Zerlegte Körper

Was gerade in der Städtischen Galerie Delmenhorst besonders harmonisch funktioniert. Bildender Künstler, Kurator und Gewandmeister ist in Personalunion Christoph Ruckhäberle. Er absolvierte die Neue Leipziger Schule und steht für figürliche Abstraktion, die sich aber nicht auf eine andere Realität bezieht, sondern ihre eigene behauptet.

Zu sehen sind zweidimensionale Puppenbilder, die auf nichts verweisen als auf die elementaren Formen und Farben ihrer Gestaltung. Es sind Zirkus­akrobaten mit verwunden tanzenden Schlangenbeinen, auch Varieté-Clowns und balkanische Volkstänzerinnen hat Ruckhäberle per Linolschnitt farbintensiv auf Tapetenpapier gebracht und damit die Ausstellungsräume ausgekleidet. Für den Hausgebrauch verkauft er die Drucke auch: ein Meter mal 70 Zentimeter bekommt man für 300 Euro.

Auf den formstrengen Wandbespannungen platziert Ruckhäberle seine gerahmten Lack-auf-Leinwand-Studien zur Zerlegung von Körpern und Bewegungen in geometrische Einheiten. Vielfach posieren nackte Frauen, deren Körper in geschwungene Matisse-Linien, kantigen Picasso-Kubismus oder fließende Farbflusslandschaften zerfallen – aber in diesem Auflösungsprozess bestrebt sind, ihre Klitoris annähernd zentriert ins Bild zu rücken, die vom Künstler als schwarzes Löchlein gestaltet ist – eine geheimnislose Variante von Gustave Courbets Schamgemälde vom „Ursprung der Welt“?

Und als wären das der Reize nicht genug, stellt der Leipziger noch Bastelarbeiten mit rechteckigen Holzplatten aus, die er als Farb- und Spiegelflächen mit kreisrunden Aussparungen zu 3-D-Objekten arrangiert. Dank der verstaubten Kolorierung wirken sie historisierend wie konstruktivistische Scherze.

Boykott von Konventionen

Im Oldenburger Horst-Janssen-Museum wiederum durfte Helene von Oldenburg die Erstpräsentation von 315 Werken des Hausheiligen gestalten, die 2016 für knapp 1,5 Millionen Euro vom Hamburger Sammler Stefan Blessin erworben wurden. Die Medienkünstlerin erweist sich dabei weniger als Liebhaberin der Janssen-Kunst, denn als Boykotteurin musealer Konventionen. Das ist unbequem und polarisiert. Die Schau „Janssen Revisited“ sei ein „Ärgernis“, ist noch eine der freundlicheren Kritiker-Anmerkungen im Gästebuch. Wenige Fans fanden alles „wow“ und meinten damit „mutig“ bis „anregend“.

In der ersten Museumsetage seziert die Ausstellungsmacherin jeweils eine Linienführung aus Janssen-Zeichnungen und stilisiert diese zu eigenständigen Zeichen – 26 insgesamt. Ein geheimes Alphabet? Jedenfalls behauptet das Museum, Helene von Oldenburg kritisiere so, Janssens künstlerische Handschrift ließe sich auf schlichte 26 Linien reduzieren. Was natürlich Unsinn ist, denn fast endlos weitere lassen sich in jedem der Werke finden.

Zum Glück bleibt es nicht beim Extrahieren. Die an selbst kreierten Ordnungssystemen interessierte Ausstellungsmacherin weist den Zeichen die Buchstaben A bis Z zu und bekommt so ein interaktives Element in ihre Janssen-Dekon­struktion. Die Linienformen werden in Stempeln verewigt – so kann jeder Besucher in dieser Geheimschrift einen Text chiffrieren oder die Zeichen als rein grafisches Vokabular nutzen für ein abstraktes Stempelbild.

Eine Etage höher klebt Oldenburg einige Janssen-Werke ab oder besprayt die schützende Glasscheibe mit Farbe. Nur winzige Blickluken zum Bild bleiben offen. Kenner des Janssen-Œuv­res können ein lustiges Ratespiel starten und von der Teilansicht aufs Bildganze schließen. Alle anderen müssen die Ausschnitte als Ganzes nehmen. Leider haben sie nicht die Qualität, als eigenes, neues Bild zu faszinieren. Und sie taugen auch nicht so recht zur Fokussierung von Details der Janssen-Kunst, da sie selten dorthin blicken lassen, wo zeichnerische und malerische Mittel beispielhaft Anwendung finden, sondern zumeist auf Abrisskanten verweisen oder Bildorte, wo künstlerisch wenig los ist.

Vollkommen unkenntlich macht Oldenburg schließlich 76 Werke, indem sie diese auftürmt. Der Museumsbesucher sieht statt der Bilder nur ihr Rahmenholz und soll sich laut Museum an dessen dezenten Farbnuancen und Gebrauchsspuren erfreuen. Ein recht kümmerlicher Ersatz. Auch weil dieser Turmbau von und zu Oldenburg bestenfalls eine konzeptionelle Idee manifestiert.

Optische Attacke

In der dritten Etage schließlich heizt Oldenburg mit ihrem Tapeten-Affront gegen die White-Cube-Idee das Spannungsfeld von Museumsraum und Kunstobjekten auf. Sie hängt sie zu hoch oder zu tief, versteckt sie hinter Stellwänden, stapelt sie von der Decke bis zum Fußboden, sodass sich die Bilder gegenseitig ihre Wirkung nehmen.

Zumeist aber hängen sie an grell bemalten Wand- oder brachial gemusterten und übelst bunten Tapetenbahnen: barocke Ornamentik, Tierfellmuster, Blütenblätterorgien, Ledercouch- oder Bücherregal-Fotos oder wellenartig eingedätschtes Wabenmuster. Vor solch optischen Attacken haben es gerade skizzenhafte Werke und verspielte Porträts schwer.

Während Ruckhäberle Vorder- und Hintergründe seiner Präsentation inhaltlich und ästhetisch aufeinander bezieht, setzt Oldenburg auf Widersprüche, den Kampf um Aufmerksamkeit. Den Janssen zumindest mit seinen gezeichneten Reisetagebüchern gewinnt, für die Oldenburg die Wandfarbe als Passepartouts nutzt. In beiden Museen aber gelingen Ansätze zum Bedeutungswandel – weg von der Kunst-Kirche, hin zum Kunst-Spielplatz.

„Christoph Ruckhäberle. Volkskunst Fabrik“: Städtische Galerie Delmenhorst, Di–So, 11–17 Uhr, Do, 11–20 Uhr. Ausstellung bis 6. August

„Helene von Oldenburg: Janssen Revisited“: Horst-Janssen-Museum Oldenburg, Di–So, 10–18 Uhr. Ausstellung bis 24. September