Die Wahrheit: Geläutert vor der Unisex-Toilette

999 von tausend Männern waschen sich inzwischen die Hände nach dem Pieseln. Ein gemeinsamer Verdienst unseres Kolumnisten und Quentin Tarantinos.

Wo bleibt das Positive?, wurde der Kollege Erich Kästner öfter gefragt. So ergeht es mir auch. Kästner schrieb daraufhin ein Gedicht in acht Strophen. Ich stückele ersatzweise hier und jetzt zwei oder drei gegenwärtige Phänomene zusammen, durch die Fortschritt und das Positive ins Auge springen.

Vor mehr als einem Jahrzehnt habe ich an diesem Ort zwei Studien „in einem Grenzbereich zwischen Sozialverhalten und Hygienestandards“ erläutert. Eine hatte der Regisseur Quentin Tarantino in seinen Spielfilmen angedeutet, und eine hatte ich als Alltagsforscher und Meisterrechercheur betrieben. Unser Fazit, unabhängig voneinander: Viele Männer reinigen sich nicht die Hände, bevor sie den Abort verlassen. „Das prangern wir an, Tarantino und ich.“

Unsere Kritik wirkte. So etwas funktioniert, wenn Intelligenzbolzen wie wir ein Gebaren geißeln. Im Laufe der Jahre hat sich an den Waschbecken der Herrentoiletten viel bewegt. Ob im Multiplexkino, in den finstersten Spelunken, edlen Restaurants oder öffentlichen WCs: Hochgerechnet tippe ich auf mittlerweile 999 von tausend Männern, die sich danach die Hände waschen.

Ob diese Beobachtung irgendwie mit dem Trend zusammenhängt, in vielen Städten und Universitäten Unisex-Toiletten einzurichten, lasse ich offen und umfahre weiträumig den Gender-Dingens-Diskurs, zu dem wohl auch gehört, einigen Mitmenschen, die sich keinem der beiden üblichen Geschlechter zuordnen oder „nicht in das binäre Geschlechtersystem passen“, in der Toilettenproblematik zu helfen.

Auf ein zweites Beispiel aus der Erscheinungsbildwelt von Männern gehe ich nicht ein. Streife nur kurz an die den Globus erschütternde Veränderung des Dresscodes, die in vielen höheren Managementetagen lautet: Man darf die Krawatte weglassen. Uli Hoeneß, Mahmud Ahmadinedschad und ich zählten zu den Avantgardisten. Die Botschaft der jetzigen Mischpoke ohne Binder im Büro könnte lauten, das muss die Sozialpsychologie auswerten: Arbeit ist Freizeit und umgekehrt, und alles läuft extrem locker. Na denn man tau.

Ich wollte beim Positiven verweilen. Es fiel schwer. Am 11. Mai dachte ich im ersten Moment, endlich ein frisches Objekt zu begutachten. Bei der Deutschen Post ist eine neue Briefmarke erschienen, „nassklebend, aus der neuen Dauerserie ‚Schreibanlässe‘ im 10er-Bogen zu je 0,70 EUR, Motiv Trauer“. Zu zwei Dritteln längs ist eine weiße Lilie zu sehen, unten „Zum Gedenken“.

Welche Schreibanlässe außerdem auf einer entsprechend gestalteten Briefmarke gemalt sind? Viermal dürfen sie raten. Genau: Geburtstag, Glückwunsch, Hochzeit, Einladung. Und ab geht die Post.

Für die dritte Sensation fehlt gottlob schon der Platz, deshalb greife ich aushilfsweise nach Kästners Gedicht: „Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln. / Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis. / Es gibt genug Lieferanten von Windeln. / Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.“ So schließt sich der Kreis.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.