Gut lebt es sich im Fenster

Kurz vor der Sanierung: 42 Künstler sind in ein leer stehendes Haus auf der Kastanienallee eingezogen – und inszenieren für die Passanten ihr Alltagsleben

Der Hometrainer im Erker gehört allen Mietern. Giftgrünes Licht quillt durch das Fenster hinaus auf die Straße. Die Leute bleiben stehen und schauen nach oben, wie da einer in die Pedale tritt, den Blick konzentriert auf die Kastanienallee gerichtet – als wäre da eine Startbahn und der Erker ein Cockpit. Um die Hausecke schreitet eine projizierte Wildkatze wieder und wieder über eine Scheibe. Nebenan hängt Damenwäsche im geöffneten Fenster. Die Mädchen darin schunkeln zu deutschen Schlagern.

In das alte Haus in der Kastanienallee ist wieder Leben eingekehrt. Über drei Jahre stand es leer. Die neuen Mieter sind Berliner Künstler wie Olf Kreisel und Stefan Rummel, außerdem Studenten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (KHB). Der Vermieter ist Wolfgang Krause, ein Künstler, der zur Oderberger Straße gehört wie die Platanen und die Feuerwache. 1991 schon gründete er die Galerie O zwei, einen virtuellen Ideenraum, der immer wieder zur Eroberung des städtischen Raums aufrief. Bis 2001 entstanden in Höfen, Hausfluren, auf Fassaden und Baustellen u. a. Installationen von Via und Pina Lewandowsky, Arnold Dreyblatt und Durs Grünbein.

Von 2002 bis 2004 intervenierte Krause mit Studenten der KHB gegen die Verdrängung der Gustave-Eiffel-Oberschule aus der Kastanienallee. Ein Jahr später hat ein Privatinvestor das Gebäude gekauft – ein großes Plakat kündigt an der Fassade eine Sprachschule mit Hotel für ausländische Manager an.

Krause ist weitergezogen. Nicht viel, aber immerhin. „Das ist jetzt mein Haus“, erzählt er stolz einer Nachbarin, die vorübergeht und grüßt. Noch bis zum 27. September dürfen die Künstler bleiben, dann wird saniert: Das Haus an der Oderberger Straße bekommt den Turm zurück, der im Krieg abgefallen ist, und neue schalldichte Fenster. Die Hälfte der Wohnungen ist bereits verkauft. Wie alle Projekte von Krause verwirrt „daheim“ den Blick auf feststehende Eigentums- und Nutzungsverhältnisse. Die Normalität driftet für einen poetischen Moment ins Surreale.

Schläuche hängen aus der Wohnung des Chemikers im ersten Stock auf die Terrasse des Cafés darunter. Weißer Dampf tritt aus. Hinter einer schmutzigen Scheibe lehnt eine Kalaschnikow. Vielleicht als Abschreckung, denn das Haus ist für den Publikumsverkehr gesperrt – eine Bedingung des „wahren“ Besitzers. So bleiben den temporär zwischenschaffenden Künstlern lediglich Fenster und Balkone, um ihre Arbeiten nach draußen zu kommunizieren. Oder Kopfhörer: Im Café Godot gegenüber kann man über diese Küchentischgespräche in einer der kunstbesetzten Wohnungen belauschen.

Mit Klang- und Lichtinstallationen leben die Künstler gegen das schrille Vergnügungs- und Shoppingangebot der Kastanienallee an – und gegen die rasante Veränderung eines Stadtraumes. Genaues Hinschauen ist ausdrücklich erwünscht.

KATHRIN SCHRADER

Kunstaktion „daheim“ in der Kastanienallee 15/Ecke Oderberger Straße, noch bis zum 27. 9.; Info: www.daheim-berlin.deTipp: Klang- und Stimmperformance mit Monika Lilleike am 26. 9. ab 19 Uhr