Hausbesuch Ja, Paula Passin ist gerne Hausfrau. Obwohl: Nur Hausfrau ist sie nicht. Sie hat ihren Garten undsie will die Geheimnisse der Pflanzen kennen. Welche heilen, welche schmecken. Ihr Wissen gibt sie weiter
: Sie liebt die Kiefern licht

„Einige Nachbarn spritzen Glyphosat in ihren Gärten und lassen hinterher ihre Kinder barfuß laufen.“ Sie muss die Eltern erziehen, nicht die Kinder, sagt Paula Passin

von Elisabeth Meyer-Renschhausen
und Luciana Ferrando
(Text) und Amélie Losier (Fotos)

Paula Passin, eine Gärtnerin und Kräuterfrau, wohnt in Gniest. Der Ort, in dem 80 Leute leben, liegt in Sachsen-Anhalt.

Draußen: Überall im Garten blüht die Akelei, die nickend die Zunge rausstreckt. Sie blüht in allen Farben. Auch die ihre Blütenblätter toupierende Iris will bewundert sein und die Heckenrosen, die über alles ihren süßen Duft legen. 4.000 Quadratmeter ist der Garten groß und es blüht noch mehr. Schöllkraut, das manche ohne Gnade ausrupfen, obwohl der Saft gegen Warzen hilft. Oder Beinwell, dessen Blätter wie Schnitzel paniert werden können und fischig schmecken – die Bienen indes ziehen den Nektar von Beinwellblüten vor. In sauber angelegten Beeten sprießen Salat, Kartoffeln, Zwiebeln, Mangold. Eine Reihe hoher Bäume und eine Streuobstwiese sind dahinter angelegt, dazu Totholz- und Brennnessel-Ecken für Vögel, Lurche und Insekten. Im Schatten einer Eiche steht eine Hütte – der Seminarraum. Dann das Gatter zur Heide, dahinter der Wald.

Drinnen: Der Seminarraum ist mit Holz verkleidet, geheizt wird mit einem Holzofen. In der Küchenzeile stehen Kräutergläser und schwarzes Geschirr. Alles minimalistisch. Zwei Poster mit Heilkräutern hängen an der Wand. Das Wohnhaus am anderen Ende des Gartens ist voller Bücher des Ehemanns, eines Philosophen, der mit Jugendlichen über das gute Leben nachdenkt.

Lebensphilosophie: Paula Passin wollte nicht in der Stadt leben, schon gar kein Kind dort großziehen. Zu dreckig, zu laut, zu ungesund, zu weit weg von der Seele. „Wir wollten in der Natur wohnen, uns selbst versorgen“, sagt Passin. Als ihr Sohn im Jahr 2001 geboren wird, zieht sie mit ihrem Mann aus Erfurt weg. Sie kaufen sich ein halb verfallenes Haus in der Nähe von Wittenberg – des Gartens wegen. Die alte Besitzerin war gestorben, voller Asbest sei es da gewesen, die Renovierung habe Jahre gedauert. Egal, sie fühlten sich auf dem Dorf wie im Urlaub an der Ostsee, wo sie sich kennen gelernt hatten. Außerdem war da das mit den Kiefern – sie liebt sie licht, in Thüringen, wo sie herkomme, seien „die Fichtenwälder zu dunkel“.

Der Plan: „Ja, ich bin Hausfrau“, sagt Passin. Sie sagt es selbstbewusst. „Das haben wir uns von Anfang an so überlegt.“ Ihr Mann sollte das Geld verdienen, sie würde sich um den Garten, den Haushalt, das Kind kümmern. „Mein Mann tickt so verrückt wie ich, daher war das möglich.“ Dass die Leute sie deshalb kritisieren, dass sie möglicherweise sogar denken: „wie schrecklich, zurück in die Frauenunterdrückung“, macht ihr nichts aus. Sie störe es auch nicht, „ganz konventionell“ jeden Tag mittags zu kochen. „Ich gehe durch den Garten und gucke, was es gibt.“ Frischkäse mit Blümchen, Wildkräutersuppe, Salate. Als Hausfrau fühle sich Passin frei. „Nicht alle können die Arbeit selbst einteilen oder nichts machen, wenn sie keine Lust haben.“ Im Garten zu arbeiten sei Beruf und Leidenschaft.

Zitronenmelisse, Hopfen, Goldrute – schmecken sie oder heilen sie?

Die Gärtnerin: Sie war 35, als sie die Ausbildung machte. Zwölf Jahre ist das her. „Ich war zu alt, um ganz von vorne anzufangen, aber ich hatte Glück und eine nette Vermittlerin beim Arbeitsamt.“ Die sagte, sie solle „Zierpflanzengärtnerin“ werden. Okay, warum nicht. Aber Zierpflanzengärtnerin? Passin kam das am Ende vor, als wäre sie eine Pflanzendompteuse. Deshalb ging sie zu einer kräuterkundigen Frau in Wittenberg. Es sei wie eine Lehre gewesen. Studiert hatte sie in der DDR einst Maschinenbau und Umwelttechnik. Gärtnerin, das klinge unakademisch, klinge einfach, als hätte sie sich absichtlich schwach gemacht. Dabei stecke da so viel drin.

Verein: Um das Gelernte weiterzugeben, gründete sie vor ein paar Jahren mit Freunden den Verein Mischkultur e. V. und bietet Kurse an, zeigt Leuten, wie Wildkräuter aussehen und warum sie wertvoll sind. Sauerampfer, das wissen ja viele noch, ist essbar. Aber Hirtentäschel, Wiesenschaumkraut, Wilder Hopfen, Barbarakraut, Gänseblümchen, da staunen die Leute, wenn sie es hören. Die KursbesucherInnen – meistens Frauen – wollen wissen, wie man giftfrei gärtnern und sich gesund ernähren kann. „Am Anfang hatte ich Bedenken, all diese Menschen in meinen Garten zu holen“, sagt Passin. Doch „bis auf ein paar Neurotische“ waren die Erfahrungen gut. Nur Leute, die auf Esoterik abfahren, will sie nicht unbedingt beherbergen. Bei ihr sei alles wissenschaftlich fundiert.

Meinungen: Passin hält sich für politisch-unpolitisch. Doch ihre Arbeit trage zur Umweltpolitik bei. Und da sei viel zu tun. „Nur Frösche über die Straße tragen reicht nicht.“ Umweltkenntnis, Umwelterfahrung seien so wichtig. „Einige Nachbarn spritzen Glyphosat in ihren Gärten und lassen hinterher ihre Kinder barfuß laufen.“ Sie muss die Eltern erziehen, nicht die Kinder, sagt sie.

Ausflüge: Wenn Passin und ihr Mann nach Berlin oder Leipzig fahren, halten sie es nicht lange aus: sie vier Stunden, er eineinhalb. Danach werden sie ungeduldig und wollen zurück aufs Land. Was die Stadt angeht, vermisst sie nur hin und wieder ein Frühstück in einem Café, einen Drink auf einer sonnigen Terrasse oder ein Konzert. „Unterschiedliche, vielfältige Menschen zu beobachten ist das Schönste an diesen Ausflügen“, sagt sie. „Migranten gibt es bei uns kaum.“

Der Sohn: Der Sohn ist jetzt 16. Nein, nach „mehr Action“ scheine er sich nicht zu sehnen. „Die Jugendlichen der Gegend wollen hier bleiben oder später zurückkommen.“ Wieso denn auch nicht, fünf Seen gibt es in der Nähe, er und seine Freunde gehen dort schwimmen oder feiern. „Wenn er um sechs Uhr morgens nach einer Party nach Hause kommt, trifft er Rehe und Wildschweine auf dem Weg.“ Der Sohn wolle Wildkräuterkoch werden und auch wenn er nie im Garten helfen musste, („ich wollte das nicht wie in der DDR erzwingen“), wisse er viel. „Mutti, hast du Mädesüßtinktur für mich?“, fragt er bei Kopfschmerzen.

Gärtnern, das heißt auch eingreifen in die Natur

Winter: Ob immer alles so harmonisch sei? Ja, meistens. Nur „wenn im November die Schönheit im Garten verfällt, werde ich melancholisch“. Am Anfang habe Paula Passin Depressionen gehabt. Doch sie habe gelernt, meint sie, die Zeit für sich zu nutzen. „Ich plane alle meine Kurse durch.“ Sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren helfe ihr gegen die schlechten, die traurigen Gedanken.

Und wann ist sie glücklich? „Mit meinem Mann und meinem Sohn hier wohnen zu dürfen, überflutet mich mit Glück.“ Es sei nicht übertrieben, dies so zu sagen. Um das Glück zu spüren, gehe sie morgens gleich nach dem Aufstehen nach draußen. Atmen. Das Glück einatmen.

Merkel oder Schulz? „Merkel hat mehr Erfahrung“, sagt Paula Passin. „Der ganze Hype um Martin Schulz gefällt mir gar nicht.“