Richter vertrauen dem Assad-Regime

ASYL Wer nach Syrien zurückkehrt, habe durch das Assad-Regime grundsätzlich nichts zu befürchten, so das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Es lehnte ab, einem Syrer den besseren Flüchtlingsstatus zuzusprechen. Er darf deshalb seine Familie nicht nachholen

Gefängnis in Aleppo: Regelmäßig berichten Menschenrechtsorganisationen über Folter und willkürliche Verhaftungen von Rückkehrer in Syrien Foto: Sana/dpa

von Lena Eckert

Syrischen Schutzsuchenden steht nicht grundsätzlich der Flüchtlingsstatus zu. Das hat das niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg am Dienstag geurteilt. Asylanträge von Syrern müssen weiterhin einzeln geprüft werden. Die Richter bezweifelten, dass das Assad-Regime in Damaskus Rückkehrer nur deshalb verfolgt, weil sie illegal ausgereist sind und einen Asylantrag im Ausland gestellt haben. Eine Revision ließen sie nicht zu. Der sonst eher zurückhaltende Niedersächsische Flüchtlingsrat kritisierte die Entscheidung scharf und nannte sie „politische Justiz“.

Die Lüneburger Richter hätten sich über Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen hinweggesetzt, die den staatlichen Terror des Assad-Regimes beklagten, erklärte der Flüchtlingsrat. Er verwies auf einen Bericht von Amnesty International vom 7. Februar, der das syrische Zentralgefängnis Sadnaya als „menschliches Schlachthaus“ bezeichnet. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe beklagt in einem Gutachten vom 21. März 2017 „Willkür, Verhaftungen, Folter, Verschwinden-Lassen“ durch syrische Grenzbeamte und stellt fest: „Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehrt, verhaftet und misshandelt werden kann.“

Verhandelt wurden vor dem OVG die Fälle von zwei syrischen Asylbewerbern. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatten ihnen lediglich einen „subsidiären Schutz“ wegen des Bürgerkrieges zugesprochen, der zunächst nur ein Aufenthaltsrecht für die Dauer von einem Jahr vorsieht. Die Syrer klagten dagegen auf eine bessere Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention, weil sie bei einer Rückkehr nach Syrien individuell verfolgt würden.

Zwar droht Syrern derzeit keine Abschiebung aus Deutschland. Der Schutzstatus entscheidet aber unter anderem darüber, ob sie ein Recht auf Familiennachzug haben. Dies wurde für „subsidiär“ Schutzberechtigte mit dem Asylpaket II im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt. Derzeit wird eine Verlängerung dieser Aussetzung diskutiert.

Wie mehrere Verwaltungsgerichte in anderen Fällen hatte auch das Verwaltungsgericht Oldenburg den Syrern in erster Instanz den Flüchtlingsstatus zugesprochen. Das BAMF hatte dagegen in Lüneburg Berufung eingelegt.

Nachdem einer der beiden Syrer schilderte, dass sich Vertreter des Assad-Regimes nach seiner Ausreise immer wieder bei seiner Schwester in Syrien nach ihm erkundigt hatten, zog das BAMF die Berufung zurück und sah eine politische Verfolgung.

Im Fall des zweiten Syrers aber fällten die OVG-Richter ein Grundsatzurteil: Auch, dass er sich durch seine Ausreise dem Militärdienst entzogen hat, ist für sie kein Indiz für eine Verfolgung. Er sei „in den Augen der syrischen Machthaber nicht verdächtig, über die Flucht vor der Bürgerkriegssituation hinaus politische Opposition betreiben zu wollen“.

Flüchtlingsschutz erhält, wer etwa als Angehöriger einer bestimmten Gruppe verfolgt wird.

Eine Aufenthaltserlaubnis gibt es damit zunächst für drei Jahre.

Subsidiärer Schutz“ gilt für Menschen, die etwa von einem Bürgerkrieg bedroht sind.

Der Aufenthalt wird hier für ein Jahr erlaubt und dann verlängert, solange kein Frieden im Herkunftsland eingekehrt ist.

Das Recht auf Familiennachzug wurde bei „subsidiärem Schutz“ bis 16. März 2018 ausgesetzt.

20.684 Gerichtsurteile gab es dazu im ersten Quartal 2017.

4.934 Mal wurde statt des „subsidiären Schutz“ der Flüchtlingsstatus anerkannt.

Von 333 Urteilen von Obergerichten fielen hingegen nur zwei positiv im Sinne der Schutzsuchenden aus.

Seine Anwältin hingegen betonte die „willkürliche Gefahr“, die vom syrischen Regime ausgeht. Auch sei ihrem Mandanten in der Einzelanhörung durch das BAMF gesagt worden, er solle sich kurz fassen und Fragen möglichst nur mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Er sei dadurch eingeschüchtert gewesen und habe seine Situation nicht ausführlich schildern können. Eine adäquate Einschätzung durch das BAMF sei damit kaum möglich.

Das BAMF hatte Syrern bis 2016 meist den Flüchtlingsstatus zuerkannt, diese Praxis jedoch im Frühjahr 2016 schlagartig geändert – mit Inkrafttreten des Asylpakets II. Erhielten 2015 bundesweit nur 61 Syrer den „subsidiären“ Schutzstatus, waren es 2016 dann 121.562..

„Der Familiennachzug zu hier lebenden Geflüchteten soll eingeschränkt werden“, erklärte der Flüchtlingsrat zu dem OVG-Urteil. „Betroffen sind auch Hunderte unbegleitete Minderjährige, deren Eltern nicht nach Deutschland einreisen dürfen.“ Diese Tendenz müsse „bedenklich stimmen“.