Katalonien

Früher trafen sich die Oppositionellen im Männerkloster Mont­serrat. Heute kommt der Widerstand aus dem Frauenkloster nebenan

Im Grunde verfolgen Kirche und linke Politik ähnliche Ziele – die Ermächtigung der Benachteiligten und Schwachen, sagt Teresa Forcades Foto: William Minke

„Im Herzen bin ich Anarchistin“

Teresa Forcades engagiert sich für die verfassunggebende Bewegung Kataloniens und ist viel beschäftigt. Sie ist Linke, promovierte Medizinerin – und Nonne bei den Benediktinerinnen. Wie passt das zusammen?

Aus San Benet, Barcelona und BerlinEdith Kresta

Die Nonne Asunta am Empfang des katalanischen Frauenklosters San Benet kann Teresa Forcades nicht erreichen. Teresa selbst, so weiß die 95-Jährige, wird heute Abend zum Gottesdienst kommen. Sie ist wie immer „hier und dort“. Doch heute kommen alle, auch Teresa, denn zum Gedenktag für die Schwarze Madonna von Montserrat, die Schutzpa­tronin von Katalonien, wird eine Messe gefeiert“, sagt Asunta.

Vierzig Kilometer nördlich von Barcelona in den Bergen von Montserrat liegt das Benediktinerinnenkloster San Benet. Vier Kilometer unterhalb des berühmteren Männerklosters Montserrat. Diese gewaltige Klosteranlage oben am Berg verkörpert die widerständige Tradition Kataloniens. Während der Franco-Diktatur trafen sich hier die Oppositionellen. Heute kommt der Widerstand aus dem Frauenkloster darunter.

Schwester Teresa Forcades, die „hier und dort“ ist, engagiert sich für die verfassunggebende Bewegung Kataloniens. Und das mit der Unterstützung ihres Klosters. Forcades Ziel: Für die katalanische Unabhängigkeit soll es einen linken Gesellschaftsvertrag geben. Die Bewegung ist antikapitalistisch und hat mehr als 50.000 Anhänger, darunter viele Akademiker und Intellektuelle.

Vorläufer ist die „Movimiento 15-M“, die Bewegung 15. Mai, die ab 2011 im Zuge der Bankenkrise öffentlich gegen die vielen Wohnungsräumungen protestierte. Um sich bis zu den katalanischen Wahlen 2019 politisch zu engagieren, hat Teresa Forcades vom Vatikan für drei Jahre eine Exklaustration erhalten. Die Nonne ist für diese Zeit vom strengen klösterlichen Leben befreit – und seitdem im Kloster schwer zu erreichen.

Die Nonne Ana hat das Gespräch mit Asunta mitverfolgt. Unaufgefordert bringt sie einen Stapel Bücher von oder über Teresa Forcades i Vila, die 1966 in Barcelona geboren wurde und promovierte Medizinerin und Theologin ist. 2005 veröffentlichte sie das Buch „Verbrechen der Pharmaindustrie“. Als „rebellische Nonne“ wurde sie durch spanische Fernsehshows bekannt wegen ihrer Kritik an der Grippeimpfung. Ihr Vorwurf: Diese Impfung habe keinen Nutzen, sondern beschere den Pharmakonzernen extreme Gewinne. Aber vor allem kritisiert sie das kapitalistische System, das Brot höher besteuert als globale Finanzströme.

Die 85-jährige Ana gibt sich als glühende Verehrerin zu erkennen. „Wenn ich einen Konflikt habe, überlege ich immer: Wie würde Teresa reagieren?“ Man könne nur für oder gegen Forcades sein. Auch im Kloster seien nicht alle nur begeistert, sagt Ana. „Manchen bringt sie zu viel Unruhe ins Kloster.“

Fortschritt

Teresa Forcades polarisiert: Sie setzt sich für die Entkriminalisierung der Abtreibung ein, für gleichgeschlechtliche Liebe und für Frauenrechte auch in der katholischen Kirche. Überraschend für ein Benediktinerinnenkloster in den katalanischen Bergen von Montserrat? Nein, sagt Coloma Boada. Sie lebt seit vierzig Jahren im Kloster und ist die Priorin und die Vertreterin der Äbtissin. „Ein Kloster ist immer so fortschrittlich wie die Äbtissin, die es leitet“, sagt Coloma. Und die jetzige Äbtissin sei eine Frau von heute. Sie unterstützte Teresas Engagement sehr, sagt die Prio­rin. „Die jungen Nonnen bringen neue Ansichten. Wenn wir uns diesen verschließen würden, wie sollten wir mit der Gesellschaft kommunizieren?“ Die 60-jährige Schwester Coloma holt zur Erklärung aus. „Ob wir nun Feministinnen sind oder nicht – wir sind unabhängig.“ 28 Nonnen leben hier, die jüngste vierzig Jahre, die ältesten über hundert. „Wir haben unser Keramikwerkstatt, unsere Pension, unsere Kurse über spirituelles Wachstum, Theologie, Philosophie.“ Teresa Forcades, schließt die Priorin, sei eine Schwester unter vielen.

Fernab der Klostermauern von San Benet, im Frauenzen­trum „Ca la Dona“ in Barcelona, ist die 51-Jährige endlich persönlich greifbar – ein jugendliches, freundliches Gesicht, grau melierte Kurzhaarfrisur, schwarze Hose, schwarze Schuhe, grauer Pulli – Nonnenzivil. „In Katalonien verschlingt mich die politische Arbeit“, entschuldigt sie sich. „Ich komme inzwischen zum Nachdenken nach Berlin.“ Dort habe sie mehr Zeit, vertröstet sie.

Hier im Frauenzentrum diskutiert sie im Kreis von zehn Mitstreiterinnen aller Altersgruppen. Es geht um Koedukation, um Sexismus in der Verfassung. Forcades ist Schriftführerin. Nach der Diskussion bleibt Zeit für einen Zwischenruf. Warum soll Katalonien eigentlich unabhängig werden, Teresa ­Forcades? „Wir leben in einer globalisierten Welt, und ich hasse die Uniformität der Städte, die Zerstörung der Artenvielfalt“, beginnt sie, schnell zu reden. „Was die kulturelle Vielfalt betrifft, da habe ich Panik: 95 Prozent der Sprachen sind in Gefahr, zu verschwinden, reden wir dann alle Englisch oder Chinesisch?“ Das politisch aktive Subjekt brauche eine Verwurzelung, ist sie überzeugt. Nur so funktioniere Demokratie. Politische Handlungsfähigkeit brauche kleine Einheiten. Forcades schaut auf die Uhr. Schon muss sie weg.

Weitab des katalanischen Politikgetriebes in ihrem Berliner Stammlokal Emma, deutsche Küche auf gutem Niveau, hat Teresa Forcades tatsächlich Zeit. Der Kellner begrüßt sie erfreut wie eine gute Bekannte. Er serviert unaufgefordert das Tagesmenü mit Mineralwasser. In Berlin hat Teresa Forcades seit 2009 eine Gastprofessur an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität.

Wie wurde sie, die Medizinerin, eigentlich Nonne? „Ich quartierte mich 1997 im Kloster San Benet ein, um mein medizinisches Examen vorzubereiten. Da fühlte ich die Berufung, Schwester zu werden“, sagt sie. „Die damalige Äbtissin, eine fortschrittliche Frau ganz im Geiste des Klosters Montserrat, bremste mich zunächst: Ich sollte erst meinen Weg weitergehen, ich hatte ein Stipendium für Harvard.“ Doch die Zweifel an der Medizin brachte schon die Arbeit in einem New Yorker Krankenhaus. „Kranke werden dort als Erstes mit der Frage nach ihrer Versicherung konfrontiert. Haben sie keine, werden sie abgewiesen. Das habe ich nicht ertragen“, sagt Forcades.

Wie steht die Feministin Forcades zum Kult um die Schwarze Madonna von Montserrat, seit 1881 die Schutzheilige Kataloniens? „Ich komme aus keinem religiösen Elternhaus, aber das Bild der Jungfrau von Montserrat war auch bei uns zu Hause. Als ich ins Kloster eintrat, war mir klar: Sie war eine diskrete Begleiterin meines Lebens.“

Und was hält die Medizinerin Forcades von der Jungfrauengeburt? „Ich verstehe die Muttergottes als die Schöpferin des Göttlichen. Denn Gott ist nichts, das von oben kommt. Jeder auf der Welt gebärt Gott auf verschiedene Weise. Gott, das ist ein Ja zur Wahrheit, zur Schönheit, zur Liebe. Franz von Assisi hat gesagt, wir müssen Muttergottes werden. Jeder von uns. Gott existiert durch uns in der Welt. Die Jungfräulichkeit Marias heißt für mich: Mutter werden, aber auch sich selbst bleiben, seine Integrität bewahren. Und nicht nach dem patriarchalen Modell in der Aufopferung für andre sich aufzulösen.“

Die aufgeklärte Nonne setzt auf die Modernisierung der katholischen Kirche, auch auf Papst Franziskus. Sie hat ein Buch über ihn geschrieben. „Seine Amtszeit muss danach bewertet werden, wie die Stellung von Frauen in der katholischen Kirche verbessert wird“, sagt sie. Im Grunde verfolge die Kirche ja ähnliche Ziele wie linke Politik – die Ermächtigung der Benachteiligten und Schwachen. „Ich bin nicht allein mit dieser Meinung“, sagt Forcades. „Die Schwestern und mein Bischof stehen hinter mir.“ Und eine ganze Tradition – von der Bergpredigt über die Armutsorden bis zur Theologie der Befreiung.

Kranke ohne ­Versicherung wurden im Krankenhaus abgewiesen. Das hat Forcades nicht ­ertragen

Dass der Berliner Tagesspiegel sie als kommunistische Nonne bezeichnet hat, ärgert sie: „Ich bin für Privateigentum, aber im Sinne der Soziallehre der Kirche, im Sinne so­zia­ler Gerechtigkeit. Im Herzen bin ich Anarchistin.“ Veränderung komme immer von unten.

Kritik und Anfeindung begleiten sie. Nach ihrem Buch „Verbrechen der Pharmaindustrie“ verunglimpften sie Vertreter von Pharmakonzernen als Verschwörungstheoretikerin. „Fake-Nonne“ wurde sie von der immer stromlinienförmiger werdenden Zeitung El Pais genannt. „Ich belege meine Vorwürfe mit Fakten“, kontert Forcades. „Die wurden nie widerlegt.“

Schnellschritt

Teresa Forcades, 1966 in Barcelona geboren, spricht schnell, denkt schnell, sie wechselt mühelos vom Spanischen ins Deutsche oder Englische. Genauso mühelos verbindet sie Kapitalismuskritik, Spiritualität, Feminismus, das Evangelium und die katalanische Unabhängigkeitsbestrebungen. Teresa Forcades ist offen, überlegt, direkt. Keine Eiferin, keine Rechthaberin: eine radikal Suchende.

Das fängt die politische Stimmung so vieler auf: das Misstrauen gegen etablierte Parteien, die Hilflosigkeit traditioneller Politik, die Kritik an der Entrechtung der Abgehängten und der grassierenden Korruption. Es ist die intellektuelle Mittelschicht Kataloniens, die zu ihren thematisch breit angelegten Kursen ins Kloster kommt: von der „Revolution heute“ über „Simone Weil“ über „Karl Marx“ bis zur „feministischen Theologie“.

Eine aus dieser Mittelschicht ist die Architektin Fina; mit Religion hat sie nichts am Hut. Die Faszination, die Teresa Forcades ausübt, erklärt sie so: „Sie hat mich wieder in Schwung gebracht, ­Denkprozesse angeregt und vor allem verknüpft. Wie sie sich ­dabei verkleidet, ist mir egal.“