Big Bois neue Platte „Boomiverse“: Bis die Kollegen die Grippe kriegen

Big Boi ist eine Hälfte des Rap-Duos OutKast. Sein neues Soloalbum gleicht streckenweise einem Familientreffen der Atlanta-Szene.

Big Boi bei einem Auftritt

Schafft ein Refugium für alle, die sich zwischen Tradition und Moderne verloren fühlen: Big Boi Foto: dpa

Wie muss es sich anfühlen, Nick Mason zu sein, wenn man mit Syd Barrett Pink Floyd gegründet hat? Und wie geht es wohl Capadonna, im Wu Tang Clan seit zehn Jahren, neben seinem prominenten Kollegen RZA? Kein leichtes Los, wenn sich die Welt dazu entschlossen hat, den musikalischen Partner eines Künstlers zum Genie zu stilisieren – ihn selbst hingegen zum stillen Sidekick.

Zugegeben: Ein Schattendasein in der Rapwelt fristete Big Boi nie. Doch wenn der 42-Jährige am Freitag „Boomiverse“ veröffentlicht, sein neues Soloalbum, wird man erneut Schwierigkeiten haben, nicht an seinen langjährigen Wegbegleiter zu denken: Andre3000.

Mit ihm gründete Big Boi Anfang der neunziger Jahre OutKast, eines der verspultesten HipHop-Duos aller Zeiten, stilprägend wie kaum eine kommerziell erfolgreiche Crew des Genres: Der Disco-Ära entliehen Big Boi und Andre3000 den Hedonismus und das lustvolle Spiel mit Camp-Ästhetik, beim Afrofuturismus borgten sie sich den ge­nia­lischen Forscherehrgeiz. OutKast standen stets mit einem Bein auf der Straße, mit dem anderen in der Requisitenkiste der Muppet Show.

Die Füße auf den Boden bekam dabei stets Big Boi alias Antwan André Patton. Nachdem er Andre3000 schon als Jugendlicher in Atlanta kennengelernt hatte, gab er sein Vorhaben, Kinderpsychologe zu werden, zugunsten einer Rapkarriere auf, begann eine Pitbullzucht und avancierte zu einer Schlüsselfigur des „Dirty South“, des spezifischen Sounds der Südstaaten und seiner bedeutenden lokalen Szenen in Memphis, New Orleans und eben Atlanta.

Großer Aufschlag?

Dirty South, das ist neben Eastcoast und Westcoast die „Third Coast“ des US-HipHop. Und Dirty South nennt man jene Spielart von HipHop, mit der Künstler wie Timbaland, Ce-Lo Green und Bubba Sparxxx – mit OutKast Teil des Rap-Kollektivs Dungeon Family – in den Neunzigern mit Funk- und Synthie-lastigen Produktionen bewiesen, wie es in der HipHop-Szene jenseits von New York und Los Angeles brodelt.

Während OutKast das Kunststück gelang, an der Entstehung von Südstaaten-Rap gleichsam mitzuwirken und ihn mit ihrem Irrsinnsprogramm zu dekonstruieren, kultiviert Big Boi als Solokünstler das Image des Dirty-South-Veteranen. Mit „Boo­mi­verse“, seinem dritten Soloalbum nach „Sir Lucious Left Foot: The Son of Chico Dus­ty“ (2010) und „Vicious Lies and Dangerous Rumors“ von 2012, kündigt er nun sein Opus magnum an; seine Antwort auf die Urknalltheorie – Big Bois „Big Boom Theory“ – sei das Werk.

Tatsächlich ist „Boomiverse“ ein Star-Vehikel, das nach einem großen Aufschlag zu verlangen scheint: Kollegen wie Snoop Dogg unterstützen Big Boi am Mikrofon, Produzenten-Hotshot L. A. Reid steuerte Beats bei. Und an der Produktion wirkte unter anderem das Producer-Team Organized Noize mit, das bereits OutKasts Debüt „Southernplayalisticadillacmuzik“ von 1994 verantwortete.

Nach dem Indie-verliebten „Vicious Lies . . .“ und der EP „Big Grams“, erschienen 2015, die aus einer Kollaboration mit dem Electro-Rock-Duo Phantogram hervorging, gleicht „Boomiverse“ streckenweise einem Familientreffen der Atlanta-Szene.

Talent zum Crooning

Dungeon-Family-Mitglied Killer Mike und der ebenfalls in Atlanta verwurzelte Jeezy unterstützen Big Boi im vorab veröffentlichten Track „Kill Jill“. Dieser bietet sich mit Stakkato-Raps und hochgepitchten, auf B-Movie-Trash programmierten Backing-Vocals als Hit an, während die zweite Single „Mic Jack“ mit Maroon-Five-Sänger Adam Levine beinahe rührend unhip anmutet. Dafür jedoch wie geschaffen fürs Formatradio.

Big Boi: „Boomiverse“ (Sony Music)

Kein Airplay hingegen wird es für „In The South“ geben, schenkt man den Reimen des Songs Glauben. Schwer vorstellbar, liefert der Track doch genau jenen Sound, den man sich von einem Atlanta-Allstar-Track verspricht: Gitarren und Trap-Beats helfen dem zurückgelehnten Song in die Sneakers, die Südstaaten-Kollegen Gucci Mane und Pimp C springen Big Boi am Mikrofon bei – um klarzustellen, wie es läuft in ihrem Reich südlich des Bible Belt. „My jewels so cold that you might get the slight flu“. Big Boi und Kollegen protzen so eiskalt, dass sich ihre Rivalen mit Sicherheit die Grippe holen.

Neben „Chocolate“, einem Club-Hit mit sägendem Bass, hebt vor allem „All Night“ das Tempo auf „Boomiverse“. Beflügelt von einem gutgelaunten Piano, beweist Big Boi sein Talent zum Crooning. Kontrastprogramm hingegen: „Made Man“, ein retroseliger Track, für den sich Big Boi mit seinen Kollaborationspartnern Killer Mike und Kurupt in Gang-Pose wirft.

Die Kritik an Big Bois letztem Album, es sei eher Nummernrevue als kohärentes Werk, liegt auch hier nicht ganz fern. Und doch hält die Unaufgeregtheit, mit der Big Boi seine Experimente durchführt, „Boomiverse“ zusammen. Einen eigenen ästhetischen Kosmos kreiert der Rapper mit seinem neuen Album nicht; eher schafft er ein Refugium für alle, die sich zwischen Tradition und Moderne verloren fühlen. Bei Big Boi, unten im Süden, ist die Welt noch in Ordnung. Auch ganz ohne seinen Überpartner Andre3000.

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